Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nißvollen, bis jetzt stets von der geheimen Polizei beobachteten Friedhof ge¬
schehen war. obgleich ihr die Ankunft des Oberhirten aus der Bukowina kein Ge¬
heimniß geblieben sein konnte. Des Metropoliten eigene Schuld war es, daß
das große Friedenswerk, noch bevor es zum Abschluß gekommen, gefährdet wurde:
der vom Concil gewählte Erzbischof von Rußland schien ihm nicht zuverlässig
genug, zeigte von vorn herein Selbständigkcitsgelüste und so geschah es, daß Kyrill
ihn nur provisorisch bestätigte. Diese Maßregel, welcher bereits andere Will¬
kürlichkeiten des Oberhirten vorausgegangen waren, rief eine heftige Opposition
der in Moskau versammelten Prälaten hervor; dieselben erließen einen Collec¬
tivprotest, in welchem sie ihr Oberhaupt vor Abweichungen von den Satzungen
der Väter warnten und das Recht des Concils und der in diesem vertretenen
Gemeinden energisch wahrten. Kyrill suchte dieses Schreiben, dem er die offi-
cielle Giltigkeit absprach, zu ignoriren und es kam alsbald zu so heftigen und
leidenschaftlichen Auftritten, daß die Einheit der Seele gefährdet schien und der
Metropolit mit seiner Abreise drohte; vergegenwärtigt man sich, daß alle das
sogenannte Concil bildenden Personen den unteren Gesellschaftsschichten an¬
gehörten, daß schon die Vorurtheile der Secte jede Theilnahme an der moder¬
nen Bildung unmöglich machten, daß der große Haufe der Gläubigen sich
von einigen reichen Kaufleuten beherrschen ließ, deren Ansehen hauptsächlich
auf ihrer altgläubigen Starrheit und ihrer Abwendung von der europäischen
Cultur beruhte, daß endlich die Bischöfe und hohen Geistlichen, weil sie beson¬
ders rücksichtslos von der Regierung verfolgt wurden, in der Regel waghalsige
Subjecte von zweifelhaftem Ruf, bankerotte Kleinhändler, aus der herrschenden
Kirche ausgeschlossene liederliche Popen, selbst dcsertirte Soldaten waren, daß
selbst der Metropolit nur mühsam lesen und schreiben konnte und sich zu diesen
Operationen in der Regel fremder Hilfe bediente, so wird man sich von dem
Geist und Ton, in welchem die Verhandlungen dieses Concils geführt wurden,
eine annähernde Vorstellung machen können.

Die Verwirrung, welche durch die erwähnten Zwistigkeiten hervorgerufen
worden war, sollte bald in unerwarteter Weise gesteigert werden. Der pol-
nisch-litthauische Aufstand war eben ausgebrochen, und hatte eine Aufregung
der Gemüther hervorgerufen, die sich dank der geschickten Agitation der jungen
moskauer Presse, zu einer Höhe nationalen Fanatismus steigerte, wie sie seit
dem Franzosenknege von 1812 nicht erreicht Worden war und deren Fluth selbst
die Altgläubigen widerstandslos fortriß. Die politischen Köpfe unter den Häup¬
tern der Gemeinde glaubten angesichts der Verlegenheiten, in welchen die Re¬
gierung steckte und der drohenden ausländischen Intervention zu Gunsten der
Aufständigen -- den Augenblick zu einer Aussöhnung mit dem Staat gekommen
und beschlossen den Versuch zu einer solchen um jeden Preis zu machen. Sie,
die sich sonst vor jeder Berührung mit den Organen der (ihrer Ansicht nach


nißvollen, bis jetzt stets von der geheimen Polizei beobachteten Friedhof ge¬
schehen war. obgleich ihr die Ankunft des Oberhirten aus der Bukowina kein Ge¬
heimniß geblieben sein konnte. Des Metropoliten eigene Schuld war es, daß
das große Friedenswerk, noch bevor es zum Abschluß gekommen, gefährdet wurde:
der vom Concil gewählte Erzbischof von Rußland schien ihm nicht zuverlässig
genug, zeigte von vorn herein Selbständigkcitsgelüste und so geschah es, daß Kyrill
ihn nur provisorisch bestätigte. Diese Maßregel, welcher bereits andere Will¬
kürlichkeiten des Oberhirten vorausgegangen waren, rief eine heftige Opposition
der in Moskau versammelten Prälaten hervor; dieselben erließen einen Collec¬
tivprotest, in welchem sie ihr Oberhaupt vor Abweichungen von den Satzungen
der Väter warnten und das Recht des Concils und der in diesem vertretenen
Gemeinden energisch wahrten. Kyrill suchte dieses Schreiben, dem er die offi-
cielle Giltigkeit absprach, zu ignoriren und es kam alsbald zu so heftigen und
leidenschaftlichen Auftritten, daß die Einheit der Seele gefährdet schien und der
Metropolit mit seiner Abreise drohte; vergegenwärtigt man sich, daß alle das
sogenannte Concil bildenden Personen den unteren Gesellschaftsschichten an¬
gehörten, daß schon die Vorurtheile der Secte jede Theilnahme an der moder¬
nen Bildung unmöglich machten, daß der große Haufe der Gläubigen sich
von einigen reichen Kaufleuten beherrschen ließ, deren Ansehen hauptsächlich
auf ihrer altgläubigen Starrheit und ihrer Abwendung von der europäischen
Cultur beruhte, daß endlich die Bischöfe und hohen Geistlichen, weil sie beson¬
ders rücksichtslos von der Regierung verfolgt wurden, in der Regel waghalsige
Subjecte von zweifelhaftem Ruf, bankerotte Kleinhändler, aus der herrschenden
Kirche ausgeschlossene liederliche Popen, selbst dcsertirte Soldaten waren, daß
selbst der Metropolit nur mühsam lesen und schreiben konnte und sich zu diesen
Operationen in der Regel fremder Hilfe bediente, so wird man sich von dem
Geist und Ton, in welchem die Verhandlungen dieses Concils geführt wurden,
eine annähernde Vorstellung machen können.

Die Verwirrung, welche durch die erwähnten Zwistigkeiten hervorgerufen
worden war, sollte bald in unerwarteter Weise gesteigert werden. Der pol-
nisch-litthauische Aufstand war eben ausgebrochen, und hatte eine Aufregung
der Gemüther hervorgerufen, die sich dank der geschickten Agitation der jungen
moskauer Presse, zu einer Höhe nationalen Fanatismus steigerte, wie sie seit
dem Franzosenknege von 1812 nicht erreicht Worden war und deren Fluth selbst
die Altgläubigen widerstandslos fortriß. Die politischen Köpfe unter den Häup¬
tern der Gemeinde glaubten angesichts der Verlegenheiten, in welchen die Re¬
gierung steckte und der drohenden ausländischen Intervention zu Gunsten der
Aufständigen — den Augenblick zu einer Aussöhnung mit dem Staat gekommen
und beschlossen den Versuch zu einer solchen um jeden Preis zu machen. Sie,
die sich sonst vor jeder Berührung mit den Organen der (ihrer Ansicht nach


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191631"/>
          <p xml:id="ID_1170" prev="#ID_1169"> nißvollen, bis jetzt stets von der geheimen Polizei beobachteten Friedhof ge¬<lb/>
schehen war. obgleich ihr die Ankunft des Oberhirten aus der Bukowina kein Ge¬<lb/>
heimniß geblieben sein konnte. Des Metropoliten eigene Schuld war es, daß<lb/>
das große Friedenswerk, noch bevor es zum Abschluß gekommen, gefährdet wurde:<lb/>
der vom Concil gewählte Erzbischof von Rußland schien ihm nicht zuverlässig<lb/>
genug, zeigte von vorn herein Selbständigkcitsgelüste und so geschah es, daß Kyrill<lb/>
ihn nur provisorisch bestätigte. Diese Maßregel, welcher bereits andere Will¬<lb/>
kürlichkeiten des Oberhirten vorausgegangen waren, rief eine heftige Opposition<lb/>
der in Moskau versammelten Prälaten hervor; dieselben erließen einen Collec¬<lb/>
tivprotest, in welchem sie ihr Oberhaupt vor Abweichungen von den Satzungen<lb/>
der Väter warnten und das Recht des Concils und der in diesem vertretenen<lb/>
Gemeinden energisch wahrten. Kyrill suchte dieses Schreiben, dem er die offi-<lb/>
cielle Giltigkeit absprach, zu ignoriren und es kam alsbald zu so heftigen und<lb/>
leidenschaftlichen Auftritten, daß die Einheit der Seele gefährdet schien und der<lb/>
Metropolit mit seiner Abreise drohte; vergegenwärtigt man sich, daß alle das<lb/>
sogenannte Concil bildenden Personen den unteren Gesellschaftsschichten an¬<lb/>
gehörten, daß schon die Vorurtheile der Secte jede Theilnahme an der moder¬<lb/>
nen Bildung unmöglich machten, daß der große Haufe der Gläubigen sich<lb/>
von einigen reichen Kaufleuten beherrschen ließ, deren Ansehen hauptsächlich<lb/>
auf ihrer altgläubigen Starrheit und ihrer Abwendung von der europäischen<lb/>
Cultur beruhte, daß endlich die Bischöfe und hohen Geistlichen, weil sie beson¬<lb/>
ders rücksichtslos von der Regierung verfolgt wurden, in der Regel waghalsige<lb/>
Subjecte von zweifelhaftem Ruf, bankerotte Kleinhändler, aus der herrschenden<lb/>
Kirche ausgeschlossene liederliche Popen, selbst dcsertirte Soldaten waren, daß<lb/>
selbst der Metropolit nur mühsam lesen und schreiben konnte und sich zu diesen<lb/>
Operationen in der Regel fremder Hilfe bediente, so wird man sich von dem<lb/>
Geist und Ton, in welchem die Verhandlungen dieses Concils geführt wurden,<lb/>
eine annähernde Vorstellung machen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1171" next="#ID_1172"> Die Verwirrung, welche durch die erwähnten Zwistigkeiten hervorgerufen<lb/>
worden war, sollte bald in unerwarteter Weise gesteigert werden. Der pol-<lb/>
nisch-litthauische Aufstand war eben ausgebrochen, und hatte eine Aufregung<lb/>
der Gemüther hervorgerufen, die sich dank der geschickten Agitation der jungen<lb/>
moskauer Presse, zu einer Höhe nationalen Fanatismus steigerte, wie sie seit<lb/>
dem Franzosenknege von 1812 nicht erreicht Worden war und deren Fluth selbst<lb/>
die Altgläubigen widerstandslos fortriß. Die politischen Köpfe unter den Häup¬<lb/>
tern der Gemeinde glaubten angesichts der Verlegenheiten, in welchen die Re¬<lb/>
gierung steckte und der drohenden ausländischen Intervention zu Gunsten der<lb/>
Aufständigen &#x2014; den Augenblick zu einer Aussöhnung mit dem Staat gekommen<lb/>
und beschlossen den Versuch zu einer solchen um jeden Preis zu machen. Sie,<lb/>
die sich sonst vor jeder Berührung mit den Organen der (ihrer Ansicht nach</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0401] nißvollen, bis jetzt stets von der geheimen Polizei beobachteten Friedhof ge¬ schehen war. obgleich ihr die Ankunft des Oberhirten aus der Bukowina kein Ge¬ heimniß geblieben sein konnte. Des Metropoliten eigene Schuld war es, daß das große Friedenswerk, noch bevor es zum Abschluß gekommen, gefährdet wurde: der vom Concil gewählte Erzbischof von Rußland schien ihm nicht zuverlässig genug, zeigte von vorn herein Selbständigkcitsgelüste und so geschah es, daß Kyrill ihn nur provisorisch bestätigte. Diese Maßregel, welcher bereits andere Will¬ kürlichkeiten des Oberhirten vorausgegangen waren, rief eine heftige Opposition der in Moskau versammelten Prälaten hervor; dieselben erließen einen Collec¬ tivprotest, in welchem sie ihr Oberhaupt vor Abweichungen von den Satzungen der Väter warnten und das Recht des Concils und der in diesem vertretenen Gemeinden energisch wahrten. Kyrill suchte dieses Schreiben, dem er die offi- cielle Giltigkeit absprach, zu ignoriren und es kam alsbald zu so heftigen und leidenschaftlichen Auftritten, daß die Einheit der Seele gefährdet schien und der Metropolit mit seiner Abreise drohte; vergegenwärtigt man sich, daß alle das sogenannte Concil bildenden Personen den unteren Gesellschaftsschichten an¬ gehörten, daß schon die Vorurtheile der Secte jede Theilnahme an der moder¬ nen Bildung unmöglich machten, daß der große Haufe der Gläubigen sich von einigen reichen Kaufleuten beherrschen ließ, deren Ansehen hauptsächlich auf ihrer altgläubigen Starrheit und ihrer Abwendung von der europäischen Cultur beruhte, daß endlich die Bischöfe und hohen Geistlichen, weil sie beson¬ ders rücksichtslos von der Regierung verfolgt wurden, in der Regel waghalsige Subjecte von zweifelhaftem Ruf, bankerotte Kleinhändler, aus der herrschenden Kirche ausgeschlossene liederliche Popen, selbst dcsertirte Soldaten waren, daß selbst der Metropolit nur mühsam lesen und schreiben konnte und sich zu diesen Operationen in der Regel fremder Hilfe bediente, so wird man sich von dem Geist und Ton, in welchem die Verhandlungen dieses Concils geführt wurden, eine annähernde Vorstellung machen können. Die Verwirrung, welche durch die erwähnten Zwistigkeiten hervorgerufen worden war, sollte bald in unerwarteter Weise gesteigert werden. Der pol- nisch-litthauische Aufstand war eben ausgebrochen, und hatte eine Aufregung der Gemüther hervorgerufen, die sich dank der geschickten Agitation der jungen moskauer Presse, zu einer Höhe nationalen Fanatismus steigerte, wie sie seit dem Franzosenknege von 1812 nicht erreicht Worden war und deren Fluth selbst die Altgläubigen widerstandslos fortriß. Die politischen Köpfe unter den Häup¬ tern der Gemeinde glaubten angesichts der Verlegenheiten, in welchen die Re¬ gierung steckte und der drohenden ausländischen Intervention zu Gunsten der Aufständigen — den Augenblick zu einer Aussöhnung mit dem Staat gekommen und beschlossen den Versuch zu einer solchen um jeden Preis zu machen. Sie, die sich sonst vor jeder Berührung mit den Organen der (ihrer Ansicht nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/401
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/401>, abgerufen am 15.01.2025.