Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.Für das Kleid, welches er seiner Tochter vom Leibe zog, um es dem nothleidenden Während er mir dies erzählte, waren wir so ziemlich an die Hütten heran¬ ") Ein solches freiwilliges Eintreten von Privatpersonen bei gemeinnützigen Ausgaben des Staats war nicht ungewöhnlich und wurde gewöhnlich durch Dank'decrete und Dantbezeu- gungen aller Art öffentlich anerkannt. Es war allgemeine Sitte, daß ehrbare Frauen beim Mahl saßen, während die Männer
gelagert waren, wie man dies auf den zahlreichen Grabreliefs sieht, welche Familienmahlzeiten darstellen. Für das Kleid, welches er seiner Tochter vom Leibe zog, um es dem nothleidenden Während er mir dies erzählte, waren wir so ziemlich an die Hütten heran¬ ") Ein solches freiwilliges Eintreten von Privatpersonen bei gemeinnützigen Ausgaben des Staats war nicht ungewöhnlich und wurde gewöhnlich durch Dank'decrete und Dantbezeu- gungen aller Art öffentlich anerkannt. Es war allgemeine Sitte, daß ehrbare Frauen beim Mahl saßen, während die Männer
gelagert waren, wie man dies auf den zahlreichen Grabreliefs sieht, welche Familienmahlzeiten darstellen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191614"/> <p xml:id="ID_1112" prev="#ID_1111"> Für das Kleid, welches er seiner Tochter vom Leibe zog, um es dem nothleidenden<lb/> Bürger zu geben, soll die Stadt ihm Unterkleid und Mantel schenken, damit es<lb/> auch anderen zur Aufmunterung diene, pflichtgetreu und hilfreich zu sein. Ferner<lb/> trage ich daraus an, zu beschließen, daß ihnen und ihren Kindern das Grund¬<lb/> stück zum Nießbrauch überlassen werde, ohne Belästigung von irgendeiner Seite,<lb/> und daß ihnen noch 100 Minen zur Ausrüstung gegeben werden, das Geld er¬<lb/> biete ich selbst mich für die Stadt zu zahlen.*) Das wurde mit Beifall aufgenom¬<lb/> men und alles geschah so, wie er es vorgeschlagen hatte. Die Kleider und das<lb/> Geld wurden gleich ins Theater gebracht. Ich wollte es nicht annehmen, und<lb/> als es hieß, in meinem Felle könnte ich nicht mitspeisen, erklärte ich: Dann<lb/> bleibe ich heute ohne Mittagsbrod. Aber sie zogen mir das Kleid an und<lb/> thaten mir den Mantel um, und als ich mein Thierfell darüber werfen wollte,<lb/> gaben sie das nicht zu. Das Geld nahm ich nun auf keine Weise, und lehnte<lb/> das mit einem Schwur ab. Wenn ihr einen sucht, sagte ich, der es annehmen<lb/> wird, so gebt es nur dem Redner, damit er es eingräbt, denn darauf versteht<lb/> er sich ja offenbar. — Seitdem hat uns denn auch niemand beunruhigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1113" next="#ID_1114"> Während er mir dies erzählte, waren wir so ziemlich an die Hütten heran¬<lb/> gekommen. Da sagte ich lachend: Eins hast du aber doch vor den Bürgern<lb/> verheimlicht, und zwar dein schönstes Besitzthum. Was wäre das? fragte er.<lb/> Diesen schönen Garten mit Gemüse und Bäumen. Das war damals noch<lb/> nicht, erwiederte er, den haben wir erst später angelegt. Wir gingen nun hinein<lb/> und ließen es uns den Rest des Tages wohl sein, wir beide auf einem hohen Lager<lb/> von Laub und Fellen gelagert, die Frau saß neben dem Mann.**) Eine erwach¬<lb/> sene Tochter bediente uns und schenkte uns süßen rothen Wein zu trinken ein;<lb/> die Söhne bereiteten das Fleisch und aßen selbst, nachdem sie uns vorgelegt<lb/> hatten. Ich mußte die Menschen glücklich preisen, ja sie schienen mir glücklicher<lb/> zu leben als wen ich sonst kannte. Und doch kannte ich Hauswesen und Mahl¬<lb/> zeiten Reicher, nicht blos von Privatleuten, sondern von Satrapen und Kaisern,<lb/> die mir immer unglücklich vorgekommen sind, aber nie mehr als damals, wo<lb/> ich sah, wie diese Menschen in ihrer Armuth und Freiheit auch vom Essen und<lb/> Trinken mehr Genuß haben als jene. Als wir so ziemlich fertig waren, da<lb/> kam auch der andere und hinter ihm drein sein Sohn, ein hübscher Bursche,<lb/> der einen Hasen mitbrachte. Als er hereinkam, wurde er roth, und während<lb/> sein Vater uns begrüßte, küßte er das Mädchen und schenkte ihr den Hasen.</p><lb/> <note xml:id="FID_51" place="foot"> ") Ein solches freiwilliges Eintreten von Privatpersonen bei gemeinnützigen Ausgaben des<lb/> Staats war nicht ungewöhnlich und wurde gewöhnlich durch Dank'decrete und Dantbezeu-<lb/> gungen aller Art öffentlich anerkannt.</note><lb/> <note xml:id="FID_52" place="foot"> Es war allgemeine Sitte, daß ehrbare Frauen beim Mahl saßen, während die Männer<lb/> gelagert waren, wie man dies auf den zahlreichen Grabreliefs sieht, welche Familienmahlzeiten<lb/> darstellen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0384]
Für das Kleid, welches er seiner Tochter vom Leibe zog, um es dem nothleidenden
Bürger zu geben, soll die Stadt ihm Unterkleid und Mantel schenken, damit es
auch anderen zur Aufmunterung diene, pflichtgetreu und hilfreich zu sein. Ferner
trage ich daraus an, zu beschließen, daß ihnen und ihren Kindern das Grund¬
stück zum Nießbrauch überlassen werde, ohne Belästigung von irgendeiner Seite,
und daß ihnen noch 100 Minen zur Ausrüstung gegeben werden, das Geld er¬
biete ich selbst mich für die Stadt zu zahlen.*) Das wurde mit Beifall aufgenom¬
men und alles geschah so, wie er es vorgeschlagen hatte. Die Kleider und das
Geld wurden gleich ins Theater gebracht. Ich wollte es nicht annehmen, und
als es hieß, in meinem Felle könnte ich nicht mitspeisen, erklärte ich: Dann
bleibe ich heute ohne Mittagsbrod. Aber sie zogen mir das Kleid an und
thaten mir den Mantel um, und als ich mein Thierfell darüber werfen wollte,
gaben sie das nicht zu. Das Geld nahm ich nun auf keine Weise, und lehnte
das mit einem Schwur ab. Wenn ihr einen sucht, sagte ich, der es annehmen
wird, so gebt es nur dem Redner, damit er es eingräbt, denn darauf versteht
er sich ja offenbar. — Seitdem hat uns denn auch niemand beunruhigt.
Während er mir dies erzählte, waren wir so ziemlich an die Hütten heran¬
gekommen. Da sagte ich lachend: Eins hast du aber doch vor den Bürgern
verheimlicht, und zwar dein schönstes Besitzthum. Was wäre das? fragte er.
Diesen schönen Garten mit Gemüse und Bäumen. Das war damals noch
nicht, erwiederte er, den haben wir erst später angelegt. Wir gingen nun hinein
und ließen es uns den Rest des Tages wohl sein, wir beide auf einem hohen Lager
von Laub und Fellen gelagert, die Frau saß neben dem Mann.**) Eine erwach¬
sene Tochter bediente uns und schenkte uns süßen rothen Wein zu trinken ein;
die Söhne bereiteten das Fleisch und aßen selbst, nachdem sie uns vorgelegt
hatten. Ich mußte die Menschen glücklich preisen, ja sie schienen mir glücklicher
zu leben als wen ich sonst kannte. Und doch kannte ich Hauswesen und Mahl¬
zeiten Reicher, nicht blos von Privatleuten, sondern von Satrapen und Kaisern,
die mir immer unglücklich vorgekommen sind, aber nie mehr als damals, wo
ich sah, wie diese Menschen in ihrer Armuth und Freiheit auch vom Essen und
Trinken mehr Genuß haben als jene. Als wir so ziemlich fertig waren, da
kam auch der andere und hinter ihm drein sein Sohn, ein hübscher Bursche,
der einen Hasen mitbrachte. Als er hereinkam, wurde er roth, und während
sein Vater uns begrüßte, küßte er das Mädchen und schenkte ihr den Hasen.
") Ein solches freiwilliges Eintreten von Privatpersonen bei gemeinnützigen Ausgaben des
Staats war nicht ungewöhnlich und wurde gewöhnlich durch Dank'decrete und Dantbezeu-
gungen aller Art öffentlich anerkannt.
Es war allgemeine Sitte, daß ehrbare Frauen beim Mahl saßen, während die Männer
gelagert waren, wie man dies auf den zahlreichen Grabreliefs sieht, welche Familienmahlzeiten
darstellen.
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