Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.selbst bietet, gewinnt die Arbeit für den Anschluß des Südens an den Norden selbst bietet, gewinnt die Arbeit für den Anschluß des Südens an den Norden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191268"/> <p xml:id="ID_81" prev="#ID_80" next="#ID_82"> selbst bietet, gewinnt die Arbeit für den Anschluß des Südens an den Norden<lb/> erst nach Herstellung einer dauernden Solidarität der wirthschaftlichen Interessen<lb/> wirklichen Boden. Für einen deutschen Staat, der nicht den alten Barbarossa<lb/> zum Kaiser, nicht die Reichsstadt Frankfurt zum Mittelpunkt, nicht schwäbische<lb/> und bayrische Schwert- und Bannerträger zu seinen Hauptstützen hat, wird man<lb/> die süddeutschen Klerikalen, Pcnticularisten und Demokraten so leicht nicht be¬<lb/> geistern, die Agitation muß an die realen Verhältnisse des Handels und Wan¬<lb/> dels anknüpfen, fortgesetzt auf die Ernüchterung der Gemüther hinwirken, das<lb/> politische Urtheil aus der Sphäre beschränkter Gemüthlichkeit und hergebrachter<lb/> Neigung befreien und an die Unterordnung unter die Vernunft gewöhnen. Für<lb/> Politiker, welche folgerichtig zu denken und zu handeln gewohnt sind, läge es<lb/> am nächsten, der Vereinheitlichung der wirthschaftlichen und materiellen Interessen<lb/> durch Zusammenschluß der militärischen Kräfte die nöthigen äußeren Garantien<lb/> zu schaffen; daß der Süden, wenn er sich selbst überlassen bleibt, eine gemein-<lb/> same Heeresorganisation nicht zu Stande zu bringen vermag, ist unwiderleglich<lb/> bewiesen und hat dargethan, daß man im Großen und Ganzen trotz der bittern<lb/> Erfahrungen des vorigen Jahres wenig gelernt und nichts vergessen hat. Ent¬<lb/> schließt man sich nicht zu einer militärischen Unterordnung unter den norddeutschen<lb/> Bund, so wird man jenseit des Main kriegerischen Eventualitäten der Zukunft sicher<lb/> mit derselben Ratlosigkeit entgegengehen, die sich Anno 1866 manifestirte, denn<lb/> es liegt für die Annahme, daß Würtemberg von den bayrischen Militäreinrich¬<lb/> tungen etwas lernen könne, allerdings ebensowenig Grund vor, wie für das<lb/> umgekehrte Verhältniß, und die Aehnlichkeit der badischen Organisation mit der<lb/> preußischen ist nach den in Stuttgart und München herrschenden Anschauungen<lb/> genügend, um von jeder Annäherung an die letztere Abstand zu nehmen. Würde<lb/> von den süddeutschen Particularisten nach einem bestimmten Programm<lb/> gehandelt, würden feste Ziele, sei es auch von zweifelhaftesten Werthe, angestrebt,<lb/> die Sache stände immer noch günstiger als jetzt, wo Ratlosigkeit und Impotenz<lb/> systematisch gehegt und gepflegt werden und jede Transaction der Regierungen<lb/> wie der Parteien unmöglich machen. So viel auch mit der Wiederaufrichtung<lb/> des Zollbündnisses gewonnen ist, daß zwischen dieser und der politischen Ver¬<lb/> ständigung eine weite Kluft bestehen kann, lehrt u. a. das Beispiel Nord¬<lb/> amerikas, wo — umgekehrt wie bei uns — Süden und Norden trotz vieljäh¬<lb/> riger staatlicher Einigung seit Jahrzehnten einen wirthschaftlichen Krieg.führen,<lb/> zur Evidenz. Allerdings liegen die Verhältnisse bei uns einfacher als jenseit<lb/> des Oceans; hüben wird wirthschaftliche und politische Vernunft von einer und<lb/> derselben Seite repräsentirt, während drüben der engherzige Protectionismus<lb/> des Nordens dem particularistischen Süden zu den gegründetsten Klagen Ver¬<lb/> anlassung giebt und eine aufrichtige Versöhnung unmöglich macht. Und trotz¬<lb/> dem, daß der Norden andere wirthschaftliche Interessen hat als der Süden der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
selbst bietet, gewinnt die Arbeit für den Anschluß des Südens an den Norden
erst nach Herstellung einer dauernden Solidarität der wirthschaftlichen Interessen
wirklichen Boden. Für einen deutschen Staat, der nicht den alten Barbarossa
zum Kaiser, nicht die Reichsstadt Frankfurt zum Mittelpunkt, nicht schwäbische
und bayrische Schwert- und Bannerträger zu seinen Hauptstützen hat, wird man
die süddeutschen Klerikalen, Pcnticularisten und Demokraten so leicht nicht be¬
geistern, die Agitation muß an die realen Verhältnisse des Handels und Wan¬
dels anknüpfen, fortgesetzt auf die Ernüchterung der Gemüther hinwirken, das
politische Urtheil aus der Sphäre beschränkter Gemüthlichkeit und hergebrachter
Neigung befreien und an die Unterordnung unter die Vernunft gewöhnen. Für
Politiker, welche folgerichtig zu denken und zu handeln gewohnt sind, läge es
am nächsten, der Vereinheitlichung der wirthschaftlichen und materiellen Interessen
durch Zusammenschluß der militärischen Kräfte die nöthigen äußeren Garantien
zu schaffen; daß der Süden, wenn er sich selbst überlassen bleibt, eine gemein-
same Heeresorganisation nicht zu Stande zu bringen vermag, ist unwiderleglich
bewiesen und hat dargethan, daß man im Großen und Ganzen trotz der bittern
Erfahrungen des vorigen Jahres wenig gelernt und nichts vergessen hat. Ent¬
schließt man sich nicht zu einer militärischen Unterordnung unter den norddeutschen
Bund, so wird man jenseit des Main kriegerischen Eventualitäten der Zukunft sicher
mit derselben Ratlosigkeit entgegengehen, die sich Anno 1866 manifestirte, denn
es liegt für die Annahme, daß Würtemberg von den bayrischen Militäreinrich¬
tungen etwas lernen könne, allerdings ebensowenig Grund vor, wie für das
umgekehrte Verhältniß, und die Aehnlichkeit der badischen Organisation mit der
preußischen ist nach den in Stuttgart und München herrschenden Anschauungen
genügend, um von jeder Annäherung an die letztere Abstand zu nehmen. Würde
von den süddeutschen Particularisten nach einem bestimmten Programm
gehandelt, würden feste Ziele, sei es auch von zweifelhaftesten Werthe, angestrebt,
die Sache stände immer noch günstiger als jetzt, wo Ratlosigkeit und Impotenz
systematisch gehegt und gepflegt werden und jede Transaction der Regierungen
wie der Parteien unmöglich machen. So viel auch mit der Wiederaufrichtung
des Zollbündnisses gewonnen ist, daß zwischen dieser und der politischen Ver¬
ständigung eine weite Kluft bestehen kann, lehrt u. a. das Beispiel Nord¬
amerikas, wo — umgekehrt wie bei uns — Süden und Norden trotz vieljäh¬
riger staatlicher Einigung seit Jahrzehnten einen wirthschaftlichen Krieg.führen,
zur Evidenz. Allerdings liegen die Verhältnisse bei uns einfacher als jenseit
des Oceans; hüben wird wirthschaftliche und politische Vernunft von einer und
derselben Seite repräsentirt, während drüben der engherzige Protectionismus
des Nordens dem particularistischen Süden zu den gegründetsten Klagen Ver¬
anlassung giebt und eine aufrichtige Versöhnung unmöglich macht. Und trotz¬
dem, daß der Norden andere wirthschaftliche Interessen hat als der Süden der
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