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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Stande zu bringen, -- die einfachen Mönche und Kaufleute, mit denen er ver¬
handelte, beriefen sich auf ihr religiöses Gewissen und setzten seinen Anerbie.
tungen ein starres non xvSLumuL entgegen. Gleichzeitig mit Kelssiew verweilte
ein gewisser Paulus in Moskau, das Haupt einer in Preußen lebenden altgläubigen
Gemeinde, deren Vorfahren sich im 18. Jahrhundert in der Nähe von Gumbinnen
niedergelassen hatten und durch ihr starres Festhalten an den Gebräuchen der Väter
bekannt waren. Dieser Paulus, der im Geruch der Heiligkeit stand und weit und
breit bei allen Sectirern bekannt war, unierhandelte eben in Petersburg über die
Rückkehr seiner Genossen nach Rußland; trotz aller Versuche Kelssiews, ihn für
die Unterstützung seiner Pläne zu gewinnen, war dieser es, der ganz besonders
vor der Gemeinschaft mit den Gottlosen warnte und gegen jede Betheiligung
der Gemeinden an politischen Umtrieben eiferte. "Zu leiden ist seit zwei Jahr¬
hunderten unser Loos," sagte er, "-- sehen wir zu, daß wir die Seelen retten
und versündigen wir uns nicht an dem Gesalbten, den der Herr in das Regi¬
ment eingesetzt hat." -- Kelssiew kehrte unverrichteter Sache nach London zurück,
die Altgläubigen aber begannen aufs Neue ihr Auge auf Bjelokrinitz zu richten.
Der Umschwung, der sich seit dem italienischen Kriege im östreichischen Staats-
leben vollzogen, schien auch der Sache des Metropolitansitzes ihrer Secte zu
Gute zu kommen, zumal die Beziehungen russischer Unterthanen zu demselben
nicht mehr auf die früheren Schwierigkeiten stießen und die russische Regierung
die Verbindung zwischen Moskau und Bjelokrinitz längere Zeit hindurch igno-
rirte. Ermuthigt durch die zunehmende Connivenz des Gouvernements, erließ
der auf den, Nogoschtirchhos versammelte Aeltestenausschuß im Herbst 1862 an
den Metropoliten Kyrill die Aufforderung, nach Rußland zu kommen, die ört¬
lichen Gemeinden näher kennen zu lernen, und die letzten Schwierigkeiten, die
seiner allgemeinen und bedingungslosen Anerkennung im Wege standen, persön¬
lich zu ebnen. Kyrill nahm diese Einladung an und kam in den ersten Tagen
des Jahres 1863, am Vorabend des polnischen Aufstandes, nach Rußland.

Von der plötzlichen und seltsamen Veränderung der Verhältnisse, welche
sich während der russischen Reise des altgläubigen Papst vollzog, soll in Kürze
das nächste Mal berichtet werden; berühren müssen wir hier noch, daß das
Scheitern der oben erwähnten Verhandlungen mit der londoner Emigration für
den plötzlichen Umschlag der öffentlichen Meinung in Rußland von großer Be¬
deutung wurde; nachdem die revolutionäre hcrzensche Partei die einzige Gele¬
genheit zur Anknüpfung von Verbindungen mit einem wichtigen Bruchtheil des
eigentlichen Volks verabsäumt oder doch nicht gehörig benutzt hatte, brachte sie
sich durch ihre Parteinahme für die Sache Polens um allen Einfluß auf die
höheren Classen und damit war die Gefahr einer russischen Revolution, die
man im Jahre 1862 auch in Petersburg für unvermeidlich hielt, für längere
Zeit beseitigt.




44.

Stande zu bringen, — die einfachen Mönche und Kaufleute, mit denen er ver¬
handelte, beriefen sich auf ihr religiöses Gewissen und setzten seinen Anerbie.
tungen ein starres non xvSLumuL entgegen. Gleichzeitig mit Kelssiew verweilte
ein gewisser Paulus in Moskau, das Haupt einer in Preußen lebenden altgläubigen
Gemeinde, deren Vorfahren sich im 18. Jahrhundert in der Nähe von Gumbinnen
niedergelassen hatten und durch ihr starres Festhalten an den Gebräuchen der Väter
bekannt waren. Dieser Paulus, der im Geruch der Heiligkeit stand und weit und
breit bei allen Sectirern bekannt war, unierhandelte eben in Petersburg über die
Rückkehr seiner Genossen nach Rußland; trotz aller Versuche Kelssiews, ihn für
die Unterstützung seiner Pläne zu gewinnen, war dieser es, der ganz besonders
vor der Gemeinschaft mit den Gottlosen warnte und gegen jede Betheiligung
der Gemeinden an politischen Umtrieben eiferte. „Zu leiden ist seit zwei Jahr¬
hunderten unser Loos," sagte er, „— sehen wir zu, daß wir die Seelen retten
und versündigen wir uns nicht an dem Gesalbten, den der Herr in das Regi¬
ment eingesetzt hat." — Kelssiew kehrte unverrichteter Sache nach London zurück,
die Altgläubigen aber begannen aufs Neue ihr Auge auf Bjelokrinitz zu richten.
Der Umschwung, der sich seit dem italienischen Kriege im östreichischen Staats-
leben vollzogen, schien auch der Sache des Metropolitansitzes ihrer Secte zu
Gute zu kommen, zumal die Beziehungen russischer Unterthanen zu demselben
nicht mehr auf die früheren Schwierigkeiten stießen und die russische Regierung
die Verbindung zwischen Moskau und Bjelokrinitz längere Zeit hindurch igno-
rirte. Ermuthigt durch die zunehmende Connivenz des Gouvernements, erließ
der auf den, Nogoschtirchhos versammelte Aeltestenausschuß im Herbst 1862 an
den Metropoliten Kyrill die Aufforderung, nach Rußland zu kommen, die ört¬
lichen Gemeinden näher kennen zu lernen, und die letzten Schwierigkeiten, die
seiner allgemeinen und bedingungslosen Anerkennung im Wege standen, persön¬
lich zu ebnen. Kyrill nahm diese Einladung an und kam in den ersten Tagen
des Jahres 1863, am Vorabend des polnischen Aufstandes, nach Rußland.

Von der plötzlichen und seltsamen Veränderung der Verhältnisse, welche
sich während der russischen Reise des altgläubigen Papst vollzog, soll in Kürze
das nächste Mal berichtet werden; berühren müssen wir hier noch, daß das
Scheitern der oben erwähnten Verhandlungen mit der londoner Emigration für
den plötzlichen Umschlag der öffentlichen Meinung in Rußland von großer Be¬
deutung wurde; nachdem die revolutionäre hcrzensche Partei die einzige Gele¬
genheit zur Anknüpfung von Verbindungen mit einem wichtigen Bruchtheil des
eigentlichen Volks verabsäumt oder doch nicht gehörig benutzt hatte, brachte sie
sich durch ihre Parteinahme für die Sache Polens um allen Einfluß auf die
höheren Classen und damit war die Gefahr einer russischen Revolution, die
man im Jahre 1862 auch in Petersburg für unvermeidlich hielt, für längere
Zeit beseitigt.




44.
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[0357] Stande zu bringen, — die einfachen Mönche und Kaufleute, mit denen er ver¬ handelte, beriefen sich auf ihr religiöses Gewissen und setzten seinen Anerbie. tungen ein starres non xvSLumuL entgegen. Gleichzeitig mit Kelssiew verweilte ein gewisser Paulus in Moskau, das Haupt einer in Preußen lebenden altgläubigen Gemeinde, deren Vorfahren sich im 18. Jahrhundert in der Nähe von Gumbinnen niedergelassen hatten und durch ihr starres Festhalten an den Gebräuchen der Väter bekannt waren. Dieser Paulus, der im Geruch der Heiligkeit stand und weit und breit bei allen Sectirern bekannt war, unierhandelte eben in Petersburg über die Rückkehr seiner Genossen nach Rußland; trotz aller Versuche Kelssiews, ihn für die Unterstützung seiner Pläne zu gewinnen, war dieser es, der ganz besonders vor der Gemeinschaft mit den Gottlosen warnte und gegen jede Betheiligung der Gemeinden an politischen Umtrieben eiferte. „Zu leiden ist seit zwei Jahr¬ hunderten unser Loos," sagte er, „— sehen wir zu, daß wir die Seelen retten und versündigen wir uns nicht an dem Gesalbten, den der Herr in das Regi¬ ment eingesetzt hat." — Kelssiew kehrte unverrichteter Sache nach London zurück, die Altgläubigen aber begannen aufs Neue ihr Auge auf Bjelokrinitz zu richten. Der Umschwung, der sich seit dem italienischen Kriege im östreichischen Staats- leben vollzogen, schien auch der Sache des Metropolitansitzes ihrer Secte zu Gute zu kommen, zumal die Beziehungen russischer Unterthanen zu demselben nicht mehr auf die früheren Schwierigkeiten stießen und die russische Regierung die Verbindung zwischen Moskau und Bjelokrinitz längere Zeit hindurch igno- rirte. Ermuthigt durch die zunehmende Connivenz des Gouvernements, erließ der auf den, Nogoschtirchhos versammelte Aeltestenausschuß im Herbst 1862 an den Metropoliten Kyrill die Aufforderung, nach Rußland zu kommen, die ört¬ lichen Gemeinden näher kennen zu lernen, und die letzten Schwierigkeiten, die seiner allgemeinen und bedingungslosen Anerkennung im Wege standen, persön¬ lich zu ebnen. Kyrill nahm diese Einladung an und kam in den ersten Tagen des Jahres 1863, am Vorabend des polnischen Aufstandes, nach Rußland. Von der plötzlichen und seltsamen Veränderung der Verhältnisse, welche sich während der russischen Reise des altgläubigen Papst vollzog, soll in Kürze das nächste Mal berichtet werden; berühren müssen wir hier noch, daß das Scheitern der oben erwähnten Verhandlungen mit der londoner Emigration für den plötzlichen Umschlag der öffentlichen Meinung in Rußland von großer Be¬ deutung wurde; nachdem die revolutionäre hcrzensche Partei die einzige Gele¬ genheit zur Anknüpfung von Verbindungen mit einem wichtigen Bruchtheil des eigentlichen Volks verabsäumt oder doch nicht gehörig benutzt hatte, brachte sie sich durch ihre Parteinahme für die Sache Polens um allen Einfluß auf die höheren Classen und damit war die Gefahr einer russischen Revolution, die man im Jahre 1862 auch in Petersburg für unvermeidlich hielt, für längere Zeit beseitigt. 44.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/357>, abgerufen am 15.01.2025.