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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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scheinen einer stammverwandten Armee auf türkischer Erde verfehlte nicht, ein
gewisses Aufsehen zu machen, alte Erinnerungen an die gemeinsamen Kämpfe
der Vorfahren gegen den Halbmond tauchten wieder auf und das nationale
Bewußtsein eines Theils der russisch-türkischen Sectirer gerieth in Conflict mit
ihrem religiösen Gewissen.

Der tiefgewurzelte Glaube des russischen Volks an die providentielle Be-
' Stimmung Rußlands, Byzanz wieder zu gewinnen und an den Ufern des Bos¬
porus die alte byzantinische Herrlichkeit des griechisch-orientalischen Kaiserthums
neu aufzurichten, machte auch in den Herzen der Enkel seit Jahrzehnten aus
dem Vaterlande vertriebener religiöser Fanatiker sein Recht geltend. Rußland
war zu lange das Centrum der panslawistischen Idee gewesen, als daß es den
gewandten Polen möglich gewesen wäre, dieselbe im Verlauf einiger Jahre durch
Schürung des religiösen Fanatismus völlig zu ersticken. Selbst zwei altgläubige
Bischöfe, welche sonst mit Czaykowski und dem Metropoliten von Bjelokrinitz
in engster Verbindung gestanden hatten, wurden schwankend; sie wiesen die
wiederholten Aufforderungen der türkischen Negierung, nach Konstantinopel zu flie¬
hen, unter allen möglichen Vorwänden zurück und suchten mit dem Befehlshaber des
vorgeschobensten russischen Corps, General Uschakow, Verbindungen anzuknüpfen.
Mit einem Unverstande, wie er nur bei unzurechnungsfähigen Vertretern des
alten Systems möglich war, entfremdete der russische Feldherr sich aber bald
aller Herzen, machte er die russischen Emigranten wiederum zu blinden Werkzeugen
ihres Fanatismus und des polnischen Einflusses: die beiden altgläubigen Bischöfe,
welche sich dem General Uschakow vorgestellt hatten, wurden "auf höheren Be¬
fehl" von einem russischen Commando überfallen, als Gefangene nach Nußland
geschickt und in ein orthodoxes "Strafkloster" gesperrt. Der Schrecken und die
Wuth, welche die Nachricht von dieser unklugen Maßregel in der gesammten
altgläubigen Welt, von Konstantinopel bis nach Moskau hin verbreitete, war
ungeheuer. Die gesammte altgläubige Bevölkerung der nördlicher: Türkei wurde
auf das äußerste gegen Rußland aufgebracht, kein Mittel, der russischen Armee
Schaden zuzufügen, blieb unbenutzt, schaarenweis flüchteten dieselben Leute, die
wenige Tage zuvor nicht abgeneigt gewesen wären, den ihnen stammverwandten
Eindringlingen als Kundschafter und Führer die besten Dienste zu leisten, die
man ohne Mühe hätte zu Sendboten einer Propaganda unter den slawischen
Stämmen der Türkei machen können, -- nach Konstantinopel, wo viele von
ihnen Kriegsdienste nahmen, alle durch Czaykowskis Vermittelung die freund¬
lichste Aufnahme und Unterstützung fanden. Binnen kurzem war man auch in
Bjelokrinitz von dem Vorgefallenen unterrichtet und die Umtriebe in Nußland
selbst, welche wegen der allgemeinen patriotischen Begeisterung der Nation zeit¬
weilig ins Stocken gerathen waren, gewannen an Umfang und Intensität. Die
russische Regierung hatte sich durch die Fortführung der beiden unschädlichen


scheinen einer stammverwandten Armee auf türkischer Erde verfehlte nicht, ein
gewisses Aufsehen zu machen, alte Erinnerungen an die gemeinsamen Kämpfe
der Vorfahren gegen den Halbmond tauchten wieder auf und das nationale
Bewußtsein eines Theils der russisch-türkischen Sectirer gerieth in Conflict mit
ihrem religiösen Gewissen.

Der tiefgewurzelte Glaube des russischen Volks an die providentielle Be-
' Stimmung Rußlands, Byzanz wieder zu gewinnen und an den Ufern des Bos¬
porus die alte byzantinische Herrlichkeit des griechisch-orientalischen Kaiserthums
neu aufzurichten, machte auch in den Herzen der Enkel seit Jahrzehnten aus
dem Vaterlande vertriebener religiöser Fanatiker sein Recht geltend. Rußland
war zu lange das Centrum der panslawistischen Idee gewesen, als daß es den
gewandten Polen möglich gewesen wäre, dieselbe im Verlauf einiger Jahre durch
Schürung des religiösen Fanatismus völlig zu ersticken. Selbst zwei altgläubige
Bischöfe, welche sonst mit Czaykowski und dem Metropoliten von Bjelokrinitz
in engster Verbindung gestanden hatten, wurden schwankend; sie wiesen die
wiederholten Aufforderungen der türkischen Negierung, nach Konstantinopel zu flie¬
hen, unter allen möglichen Vorwänden zurück und suchten mit dem Befehlshaber des
vorgeschobensten russischen Corps, General Uschakow, Verbindungen anzuknüpfen.
Mit einem Unverstande, wie er nur bei unzurechnungsfähigen Vertretern des
alten Systems möglich war, entfremdete der russische Feldherr sich aber bald
aller Herzen, machte er die russischen Emigranten wiederum zu blinden Werkzeugen
ihres Fanatismus und des polnischen Einflusses: die beiden altgläubigen Bischöfe,
welche sich dem General Uschakow vorgestellt hatten, wurden „auf höheren Be¬
fehl" von einem russischen Commando überfallen, als Gefangene nach Nußland
geschickt und in ein orthodoxes „Strafkloster" gesperrt. Der Schrecken und die
Wuth, welche die Nachricht von dieser unklugen Maßregel in der gesammten
altgläubigen Welt, von Konstantinopel bis nach Moskau hin verbreitete, war
ungeheuer. Die gesammte altgläubige Bevölkerung der nördlicher: Türkei wurde
auf das äußerste gegen Rußland aufgebracht, kein Mittel, der russischen Armee
Schaden zuzufügen, blieb unbenutzt, schaarenweis flüchteten dieselben Leute, die
wenige Tage zuvor nicht abgeneigt gewesen wären, den ihnen stammverwandten
Eindringlingen als Kundschafter und Führer die besten Dienste zu leisten, die
man ohne Mühe hätte zu Sendboten einer Propaganda unter den slawischen
Stämmen der Türkei machen können, — nach Konstantinopel, wo viele von
ihnen Kriegsdienste nahmen, alle durch Czaykowskis Vermittelung die freund¬
lichste Aufnahme und Unterstützung fanden. Binnen kurzem war man auch in
Bjelokrinitz von dem Vorgefallenen unterrichtet und die Umtriebe in Nußland
selbst, welche wegen der allgemeinen patriotischen Begeisterung der Nation zeit¬
weilig ins Stocken gerathen waren, gewannen an Umfang und Intensität. Die
russische Regierung hatte sich durch die Fortführung der beiden unschädlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/352>, abgerufen am 15.01.2025.