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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Herrn geschlagen wurde, als er sein Volk zählen wollte) und auf Wunsch der
Obrigkeit sollten dieselben von den ncucreirten Bischöfen eingerichtet werden.
Die Unterstützung der türkischen Negierung brachte es aber bald dahin, daß
der von Bjelokrinitz aus geleitete Klerus allenthalben anerkannt wurde.

So standen die Dinge, als der orientalische Krieg auszubrechen drohte und
jetzt bot die polnische Emigration alle ihr zu Gebote stehenden Kräfte auf, um
der Sache Rußlands durch den über die Altgläubigen gewonnenen Einfluß mög¬
lichsten Schaden zu thun. Der weitgehende Plan, einen allgemeinen Sectircr-
aufstand unter den in Südrußland lebenden Kosaken herbeizuführen, zeigte sich
zwar bald unausführbar, da das Kosakenthum in der Bekämpfung des Islam
seine historische Aufgabe sah, aber Czaykowski hatte doch nicht ganz vergeblich
gearbeitet. Zufolge des lebhaften Zusammenhangs, in welchem die altgäubigen,
in Rußland lebenden Gemeinden und Geistlichen zu ihren Brüdern in der Bu¬
kowina und der Türkei standen, wurde es Czaykowski möglich, einerseits regel¬
mäßige Kunde aus den russischen Hauptstädten zu erhalten, andererseits auf
die Stimmung der russischen altgläubigen Kreise Einfluß zu gewinnen. Eifriger
denn je wurden die Nachrichten von hüben und drüben ausgetauscht. Zu
JsmM, einer unfern der Grenze belegenen Stadt der russischen Provinz Bess-
arabien wurde im Hause des altgläubigen Kaufmanns Beläjew ein förmliches
Bureau zum Austausch geheimer Briefe organisut. Sendboten aus Moskau
und Tula deponieren hier Nachrichten über die russischen Kriegsrüstungen, die
Stimmung der Bevölkerung und die Maßregeln der Regierung, die sofort
durch die Vermittelung Gontscharows, des Hetmans der Nekrassvwkosakcn, nach
Konstantinopel befördert wurden; andererseits wurden von Ismail aus Gerüchte
über die bevorstehende unwiderstehliche Invasion der Alliirten, deren freund¬
liche Gesinnung gegen die von der russischen Regierung verfolgten Sectirer u. s. w.
in das Innere Rußlands colportirt, die immerhin eine gewisse Wirkung auf die
ungebildeten Massen*) ausübten, welche mit Spannung den kommenden Dingen
entgegensahen und die ungeheure Aufregung, die sich des gesammten russischen
Volks beim Ausbruch des Krieges bemächtigt hatte, schürten. Als die Russen
die Donau überschritten, die beiden rumänischen Fürstentümer besetzten und
nach Silistria vorrückten, hatte sich ein großer Theil der altgläubigen Bewohner
jener Gegenden in das Innere der Tinkal geflüchtet, wo sie mit Zuvorkommenheit
aufgenommen wurden; Czaykowski war es sogar gelungen, eine von Gontscha-
row geführte freiwillige Kosakenlegion zu bilden, die der türkischen Armee durch
ihre Ortskenntnis) und die Tapferkeit der Legionäre wichtige Dienste leistete.
Die Stimmung unter den Altgläubigen war aber doch eine getheilte; das Er-



") Trotz ihrer ungeheuren Verbreitung bestehen die altgläubigen Seelen ausschließlich uns
Personen der unteren Stände, Bauern und gänzlich ungebildete" Handwerkern und Kaufleuten^

Herrn geschlagen wurde, als er sein Volk zählen wollte) und auf Wunsch der
Obrigkeit sollten dieselben von den ncucreirten Bischöfen eingerichtet werden.
Die Unterstützung der türkischen Negierung brachte es aber bald dahin, daß
der von Bjelokrinitz aus geleitete Klerus allenthalben anerkannt wurde.

So standen die Dinge, als der orientalische Krieg auszubrechen drohte und
jetzt bot die polnische Emigration alle ihr zu Gebote stehenden Kräfte auf, um
der Sache Rußlands durch den über die Altgläubigen gewonnenen Einfluß mög¬
lichsten Schaden zu thun. Der weitgehende Plan, einen allgemeinen Sectircr-
aufstand unter den in Südrußland lebenden Kosaken herbeizuführen, zeigte sich
zwar bald unausführbar, da das Kosakenthum in der Bekämpfung des Islam
seine historische Aufgabe sah, aber Czaykowski hatte doch nicht ganz vergeblich
gearbeitet. Zufolge des lebhaften Zusammenhangs, in welchem die altgäubigen,
in Rußland lebenden Gemeinden und Geistlichen zu ihren Brüdern in der Bu¬
kowina und der Türkei standen, wurde es Czaykowski möglich, einerseits regel¬
mäßige Kunde aus den russischen Hauptstädten zu erhalten, andererseits auf
die Stimmung der russischen altgläubigen Kreise Einfluß zu gewinnen. Eifriger
denn je wurden die Nachrichten von hüben und drüben ausgetauscht. Zu
JsmM, einer unfern der Grenze belegenen Stadt der russischen Provinz Bess-
arabien wurde im Hause des altgläubigen Kaufmanns Beläjew ein förmliches
Bureau zum Austausch geheimer Briefe organisut. Sendboten aus Moskau
und Tula deponieren hier Nachrichten über die russischen Kriegsrüstungen, die
Stimmung der Bevölkerung und die Maßregeln der Regierung, die sofort
durch die Vermittelung Gontscharows, des Hetmans der Nekrassvwkosakcn, nach
Konstantinopel befördert wurden; andererseits wurden von Ismail aus Gerüchte
über die bevorstehende unwiderstehliche Invasion der Alliirten, deren freund¬
liche Gesinnung gegen die von der russischen Regierung verfolgten Sectirer u. s. w.
in das Innere Rußlands colportirt, die immerhin eine gewisse Wirkung auf die
ungebildeten Massen*) ausübten, welche mit Spannung den kommenden Dingen
entgegensahen und die ungeheure Aufregung, die sich des gesammten russischen
Volks beim Ausbruch des Krieges bemächtigt hatte, schürten. Als die Russen
die Donau überschritten, die beiden rumänischen Fürstentümer besetzten und
nach Silistria vorrückten, hatte sich ein großer Theil der altgläubigen Bewohner
jener Gegenden in das Innere der Tinkal geflüchtet, wo sie mit Zuvorkommenheit
aufgenommen wurden; Czaykowski war es sogar gelungen, eine von Gontscha-
row geführte freiwillige Kosakenlegion zu bilden, die der türkischen Armee durch
ihre Ortskenntnis) und die Tapferkeit der Legionäre wichtige Dienste leistete.
Die Stimmung unter den Altgläubigen war aber doch eine getheilte; das Er-



") Trotz ihrer ungeheuren Verbreitung bestehen die altgläubigen Seelen ausschließlich uns
Personen der unteren Stände, Bauern und gänzlich ungebildete» Handwerkern und Kaufleuten^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/351>, abgerufen am 15.01.2025.