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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Staatsmann, sondern den unberühmter Jüngling, aber sie geben uns eben
damit die Vorgeschichte und Lebensgrundlage dessen, der dann später so bedeu-
tend in die Geschicke seines Volks eingreifen sollte. Sie zeigen ihn uns zugleich
inmitten der Verhältnisse, welche der Zeit der politischen Regeneration voraus¬
gingen, und das Bild ist um so vollständiger, je häufiger die Scene wechselt,
die der Reihe nach fast alle großen Mittelpunkte des italienischen Lebens
berührt.

Eine durch und durch gesunde Natur thut sich vor uns auf, die in man¬
nigfaltigen Schicksalen sich läutert und reist. Lange Jahre wie steuerlos hin¬
treibend, in Verirrungen aller Art verstrickt, bricht doch in ihr immer wieder
das bessere Element durch, und eine sichere inneres Stimme ruft stets zu höheren
Zielen. Obwohl aus vornehmem Hause, ist er doch frühzeitig auf sich selbst
gestellt, er ist recht eigentlich seines Glückes Schmied, durch Arbeit erwirbt er
sich bescheidenen Lebensunterhalt und in der Arbeit stählt sich sein Charakter.
Man ist zuweilen versucht an Alfieri zu denken, der nach einer nichtigen durch¬
tobten Jugend gleichfalls zu ernster Beschäftigung sich sammelte und das Werk
der Selbsterziehung, das er von seiner Nation forderte, mit eiserner Strenge
an sich selbst vollzog. Und doch giebt es zugleich keine größeren Gegensätze.
Dort eine unruhig leidenschaftliche, überreizte, gewaltsame Persönlichkeit, bei
der alles, auch die Strenge gegen sich selbst, im Uebermaß erscheint; hier eine
vorzugsweise heiter angelegte glückliche Natur, die auch nach längeren Irrwegen
immer wieder sich selbst findet. Auch Azeglio übte sich geflissentlich in der Tu¬
gend der Selbstbeherrschung, aber er hätte sich doch schwerlich, wie Alfieri, durch
einen Diener an den Stuhl festbinden lassen, um ander Arbeit auszuharren;
er durste vertrauend dem Genius sich überlassen, der zur rechten Zeit ihn die
rechten Wege wies. Nicht ohne Fleiß und Arbeit, aber doch mehr noch durch
die Gesundheit seiner Anlage hebt ihn die Führung seines Lebens höher und
höher. Aus dem jugendlichen Dilettanten wird ein Meister der historischen
Landschaft, Ms dem gelegentlichen Versemacher ein Schöpfer bewunderter Romane,
aus dem politischen Touristen ein Staatsmann, der in schwierigster Zeit, nach
dem Urtheil aller, der einzige ist, der das gefährdete Staatsschiff zu retten
vermag. Es klebt ihm zeitlebens etwas Dilettantisches an, er braucht der An¬
regungen von außen, um zu wissen, welche Kräfte in ihm schlummern und der
Gelegenheit warten. Aber wo dann die Gelegenheit ruft, ist er auch aus seinem
Platze, und es gelingen ihm Erfolge, die ihn als Künstler, als Dichter, als
Politischen Schriftsteller, als Staatsmann den Ersten seiner Zeit- und Volks¬
genossen an die Seite stellen.

Diese seltene Vielseitigkeit ist der besondere Reiz, der die Persönlichkeit
Azeglios umgiebt. Er ist im Stande heut die Palette mit der Feder, morgen
die Feder mit dem Schwert, und das Schwert mit dem Portefeuille zu verkam-


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Staatsmann, sondern den unberühmter Jüngling, aber sie geben uns eben
damit die Vorgeschichte und Lebensgrundlage dessen, der dann später so bedeu-
tend in die Geschicke seines Volks eingreifen sollte. Sie zeigen ihn uns zugleich
inmitten der Verhältnisse, welche der Zeit der politischen Regeneration voraus¬
gingen, und das Bild ist um so vollständiger, je häufiger die Scene wechselt,
die der Reihe nach fast alle großen Mittelpunkte des italienischen Lebens
berührt.

Eine durch und durch gesunde Natur thut sich vor uns auf, die in man¬
nigfaltigen Schicksalen sich läutert und reist. Lange Jahre wie steuerlos hin¬
treibend, in Verirrungen aller Art verstrickt, bricht doch in ihr immer wieder
das bessere Element durch, und eine sichere inneres Stimme ruft stets zu höheren
Zielen. Obwohl aus vornehmem Hause, ist er doch frühzeitig auf sich selbst
gestellt, er ist recht eigentlich seines Glückes Schmied, durch Arbeit erwirbt er
sich bescheidenen Lebensunterhalt und in der Arbeit stählt sich sein Charakter.
Man ist zuweilen versucht an Alfieri zu denken, der nach einer nichtigen durch¬
tobten Jugend gleichfalls zu ernster Beschäftigung sich sammelte und das Werk
der Selbsterziehung, das er von seiner Nation forderte, mit eiserner Strenge
an sich selbst vollzog. Und doch giebt es zugleich keine größeren Gegensätze.
Dort eine unruhig leidenschaftliche, überreizte, gewaltsame Persönlichkeit, bei
der alles, auch die Strenge gegen sich selbst, im Uebermaß erscheint; hier eine
vorzugsweise heiter angelegte glückliche Natur, die auch nach längeren Irrwegen
immer wieder sich selbst findet. Auch Azeglio übte sich geflissentlich in der Tu¬
gend der Selbstbeherrschung, aber er hätte sich doch schwerlich, wie Alfieri, durch
einen Diener an den Stuhl festbinden lassen, um ander Arbeit auszuharren;
er durste vertrauend dem Genius sich überlassen, der zur rechten Zeit ihn die
rechten Wege wies. Nicht ohne Fleiß und Arbeit, aber doch mehr noch durch
die Gesundheit seiner Anlage hebt ihn die Führung seines Lebens höher und
höher. Aus dem jugendlichen Dilettanten wird ein Meister der historischen
Landschaft, Ms dem gelegentlichen Versemacher ein Schöpfer bewunderter Romane,
aus dem politischen Touristen ein Staatsmann, der in schwierigster Zeit, nach
dem Urtheil aller, der einzige ist, der das gefährdete Staatsschiff zu retten
vermag. Es klebt ihm zeitlebens etwas Dilettantisches an, er braucht der An¬
regungen von außen, um zu wissen, welche Kräfte in ihm schlummern und der
Gelegenheit warten. Aber wo dann die Gelegenheit ruft, ist er auch aus seinem
Platze, und es gelingen ihm Erfolge, die ihn als Künstler, als Dichter, als
Politischen Schriftsteller, als Staatsmann den Ersten seiner Zeit- und Volks¬
genossen an die Seite stellen.

Diese seltene Vielseitigkeit ist der besondere Reiz, der die Persönlichkeit
Azeglios umgiebt. Er ist im Stande heut die Palette mit der Feder, morgen
die Feder mit dem Schwert, und das Schwert mit dem Portefeuille zu verkam-


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[0333] Staatsmann, sondern den unberühmter Jüngling, aber sie geben uns eben damit die Vorgeschichte und Lebensgrundlage dessen, der dann später so bedeu- tend in die Geschicke seines Volks eingreifen sollte. Sie zeigen ihn uns zugleich inmitten der Verhältnisse, welche der Zeit der politischen Regeneration voraus¬ gingen, und das Bild ist um so vollständiger, je häufiger die Scene wechselt, die der Reihe nach fast alle großen Mittelpunkte des italienischen Lebens berührt. Eine durch und durch gesunde Natur thut sich vor uns auf, die in man¬ nigfaltigen Schicksalen sich läutert und reist. Lange Jahre wie steuerlos hin¬ treibend, in Verirrungen aller Art verstrickt, bricht doch in ihr immer wieder das bessere Element durch, und eine sichere inneres Stimme ruft stets zu höheren Zielen. Obwohl aus vornehmem Hause, ist er doch frühzeitig auf sich selbst gestellt, er ist recht eigentlich seines Glückes Schmied, durch Arbeit erwirbt er sich bescheidenen Lebensunterhalt und in der Arbeit stählt sich sein Charakter. Man ist zuweilen versucht an Alfieri zu denken, der nach einer nichtigen durch¬ tobten Jugend gleichfalls zu ernster Beschäftigung sich sammelte und das Werk der Selbsterziehung, das er von seiner Nation forderte, mit eiserner Strenge an sich selbst vollzog. Und doch giebt es zugleich keine größeren Gegensätze. Dort eine unruhig leidenschaftliche, überreizte, gewaltsame Persönlichkeit, bei der alles, auch die Strenge gegen sich selbst, im Uebermaß erscheint; hier eine vorzugsweise heiter angelegte glückliche Natur, die auch nach längeren Irrwegen immer wieder sich selbst findet. Auch Azeglio übte sich geflissentlich in der Tu¬ gend der Selbstbeherrschung, aber er hätte sich doch schwerlich, wie Alfieri, durch einen Diener an den Stuhl festbinden lassen, um ander Arbeit auszuharren; er durste vertrauend dem Genius sich überlassen, der zur rechten Zeit ihn die rechten Wege wies. Nicht ohne Fleiß und Arbeit, aber doch mehr noch durch die Gesundheit seiner Anlage hebt ihn die Führung seines Lebens höher und höher. Aus dem jugendlichen Dilettanten wird ein Meister der historischen Landschaft, Ms dem gelegentlichen Versemacher ein Schöpfer bewunderter Romane, aus dem politischen Touristen ein Staatsmann, der in schwierigster Zeit, nach dem Urtheil aller, der einzige ist, der das gefährdete Staatsschiff zu retten vermag. Es klebt ihm zeitlebens etwas Dilettantisches an, er braucht der An¬ regungen von außen, um zu wissen, welche Kräfte in ihm schlummern und der Gelegenheit warten. Aber wo dann die Gelegenheit ruft, ist er auch aus seinem Platze, und es gelingen ihm Erfolge, die ihn als Künstler, als Dichter, als Politischen Schriftsteller, als Staatsmann den Ersten seiner Zeit- und Volks¬ genossen an die Seite stellen. Diese seltene Vielseitigkeit ist der besondere Reiz, der die Persönlichkeit Azeglios umgiebt. Er ist im Stande heut die Palette mit der Feder, morgen die Feder mit dem Schwert, und das Schwert mit dem Portefeuille zu verkam- 41"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/333>, abgerufen am 15.01.2025.