Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.in welche Wagschale Preußen zur entscheidenden stunde sein Gewicht werfen Der erste Band des rosenschen Werks umfaßt die Epoche der großen in welche Wagschale Preußen zur entscheidenden stunde sein Gewicht werfen Der erste Band des rosenschen Werks umfaßt die Epoche der großen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191262"/> <p xml:id="ID_68" prev="#ID_67"> in welche Wagschale Preußen zur entscheidenden stunde sein Gewicht werfen<lb/> werde, beschäftigt Nüssen und Franzosen schon seit Jahresfrist sehr viel leb¬<lb/> hafter, als man bei uns weiß, sie hat z. B. das Verhalten Frankreichs in<lb/> der candiotischen Angelegenheit wesemlich bedingt und kann, wenn sie geschickt<lb/> benutzt wird, der Vollendung der Arbeit, welche uns jenseit des Main zu thun<lb/> übrig bleibt, wesentlich zu Gute kommen. — Unter solchen Umständen darf ein<lb/> Buch, das dem Deutschen einen Einblick in die Geschichte des türkischen Zer-<lb/> setzungsprocesses bietet, auf ein ungleich größeres Publikum rechnen, als noch<lb/> vor einigen Jahren, zumal der Verf. desselben von vorn herein zur Sache<lb/> legitimirt ist. Als Vertreter einer an der Zukunft der Türkei bisher nicht<lb/> betheiligten Macht hat Herr Rosen außnhalb des Parteigclriebes gestanden,<lb/> das die Blicke auch der scharssichtigsten unter den englischen und russi¬<lb/> schen Zeugen immer wieder trübt und der Unbefangenheit und sachlichen<lb/> Kälte, welche für die historische Darstellung gefordert werden müssen, hem¬<lb/> mend im Wege steht; als Orientalist von Fach ist er im Stande gewesen,<lb/> dein Entwickelungsgange der türkischen Bildung und Literatur bis ins Ein¬<lb/> zelne nachzugehen und endlich ist ihm die Benutzung des officiellen preußischen<lb/> Materials, das die Gesandtschastsberichte von 1825 bis 1839 bieten, zu¬<lb/> gänglich gewesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_69" next="#ID_70"> Der erste Band des rosenschen Werks umfaßt die Epoche der großen<lb/> Reformen Machmuds des Zweiten, und nimmt das Jahr 1826. welches durch<lb/> die Ausrottung der Janitscharen zu einer neuen Hedschra geworden, zum Aus¬<lb/> gangspunkt. Nach einem Eingang, der uns mit der Geschichte der Vorgänger<lb/> Machmuds und dem unheilvollen Einfluß des Janitscharenthums auf alle von<lb/> diese unternommenen Umgestaltungsverjuche bekannt macht, geleitet der Ver¬<lb/> fasser den türkischen Peter den Großen durch die Reformen, an deren Durch¬<lb/> führung dieser sein Leben setzt, ohne den Staat von dem Niedergange seiner<lb/> Macht und Bedeutung retten zu können; alle Versuche Machmuds, sein Reich<lb/> in die Reihe der europäischen Culturstaaten einzureihen und von dem Verfall<lb/> zu retten, in den es durch das überlebte Alttürkenthum hineingerissen worden,<lb/> scheitern an dem Zusammentreffen mit der griechischen Erhebung und den Un-<lb/> avhängigkeitsgelüsten Mehemed Alis von Aegypten. Das große Werk des<lb/> türkischen Reformers bleibt die Umgestaltung der Armee nach europäischem<lb/> Muster, die übrigen von ihm in Angriff genommenen Versuche zu einer Wie¬<lb/> dergeburt des Osmancnthums lassen das Heiz des türkischen Lebens unberührt,<lb/> rotten eine Menge schädlicher Mißbräuche und Gewohnheiten aus, zeigen sich<lb/> aber unfähig in der Nation neues Leben zu wecken, wahrhaft fruchtbare Ideen zu<lb/> Pflanzen. Parallel mit der Reihe von Unglücksfällen, welche den Sultan in<lb/> seinem Kampf gegen eine verrottete Tradition und gegen den übermüthigen<lb/> Vasallen am Nil und dessen kriegerischen Sohn begleiten, laufe» die erfolgrei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
in welche Wagschale Preußen zur entscheidenden stunde sein Gewicht werfen
werde, beschäftigt Nüssen und Franzosen schon seit Jahresfrist sehr viel leb¬
hafter, als man bei uns weiß, sie hat z. B. das Verhalten Frankreichs in
der candiotischen Angelegenheit wesemlich bedingt und kann, wenn sie geschickt
benutzt wird, der Vollendung der Arbeit, welche uns jenseit des Main zu thun
übrig bleibt, wesentlich zu Gute kommen. — Unter solchen Umständen darf ein
Buch, das dem Deutschen einen Einblick in die Geschichte des türkischen Zer-
setzungsprocesses bietet, auf ein ungleich größeres Publikum rechnen, als noch
vor einigen Jahren, zumal der Verf. desselben von vorn herein zur Sache
legitimirt ist. Als Vertreter einer an der Zukunft der Türkei bisher nicht
betheiligten Macht hat Herr Rosen außnhalb des Parteigclriebes gestanden,
das die Blicke auch der scharssichtigsten unter den englischen und russi¬
schen Zeugen immer wieder trübt und der Unbefangenheit und sachlichen
Kälte, welche für die historische Darstellung gefordert werden müssen, hem¬
mend im Wege steht; als Orientalist von Fach ist er im Stande gewesen,
dein Entwickelungsgange der türkischen Bildung und Literatur bis ins Ein¬
zelne nachzugehen und endlich ist ihm die Benutzung des officiellen preußischen
Materials, das die Gesandtschastsberichte von 1825 bis 1839 bieten, zu¬
gänglich gewesen.
Der erste Band des rosenschen Werks umfaßt die Epoche der großen
Reformen Machmuds des Zweiten, und nimmt das Jahr 1826. welches durch
die Ausrottung der Janitscharen zu einer neuen Hedschra geworden, zum Aus¬
gangspunkt. Nach einem Eingang, der uns mit der Geschichte der Vorgänger
Machmuds und dem unheilvollen Einfluß des Janitscharenthums auf alle von
diese unternommenen Umgestaltungsverjuche bekannt macht, geleitet der Ver¬
fasser den türkischen Peter den Großen durch die Reformen, an deren Durch¬
führung dieser sein Leben setzt, ohne den Staat von dem Niedergange seiner
Macht und Bedeutung retten zu können; alle Versuche Machmuds, sein Reich
in die Reihe der europäischen Culturstaaten einzureihen und von dem Verfall
zu retten, in den es durch das überlebte Alttürkenthum hineingerissen worden,
scheitern an dem Zusammentreffen mit der griechischen Erhebung und den Un-
avhängigkeitsgelüsten Mehemed Alis von Aegypten. Das große Werk des
türkischen Reformers bleibt die Umgestaltung der Armee nach europäischem
Muster, die übrigen von ihm in Angriff genommenen Versuche zu einer Wie¬
dergeburt des Osmancnthums lassen das Heiz des türkischen Lebens unberührt,
rotten eine Menge schädlicher Mißbräuche und Gewohnheiten aus, zeigen sich
aber unfähig in der Nation neues Leben zu wecken, wahrhaft fruchtbare Ideen zu
Pflanzen. Parallel mit der Reihe von Unglücksfällen, welche den Sultan in
seinem Kampf gegen eine verrottete Tradition und gegen den übermüthigen
Vasallen am Nil und dessen kriegerischen Sohn begleiten, laufe» die erfolgrei-
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