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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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erzählt er in seiner Geschickte der Revolution von 1848. äußerte Pagnerre. als
die radicalen Mitglieder der Vereinigung in der Nähe des Ministeriums der
auswärtigen Angelegenheiten in Begriff waren sich zu trennen, sein Erstaunen
über die Beistimmung, die ihre Vorsä'läge, bei der monarchischen Opposition
gefunden hatten: "Sehen diese Herren wohl, wohin sie das führen kann? Was
mich betrifft, so bekenne ich. daß ich eS nicht deutlich sehe, aber so viel ist
gewiß, daß wir Radicalen keine Ursache baben darüber zu erschrecken." Garnier-
Pagös erwiderte: "Sie sehen diesen Baum, wohlan, schneiden Sie in seine
Rinde das heutige Datum ein; was wir beschlossen haben ist eine Revolution."

Und so war es. Zu spät erkannte die dynastis.be Linke, daß sie im An¬
griffe, zu spät aber auch die konservative Partei, daß sie im Widerstände zu
weit gegangen war. Morny, ein eifriger Cor'ervativer, räth der drohenden
Gefahr gegenüber zu Concessionen in der Reformfrage; Guizot theilte seine
Besorgnisse, aber erklärt, daß es für ihn unmöglich sei, in diesem Augenblicke
mit einer Maßregel aufzutreten, die zur Zersetzung der conserv.uiven Partei
führen müsse. Aber auch die monarchische Opposition erkannte den Abgrund,
vor dem sie sich befand. Es kommt zwischen ihren Häuptern und den Mitgliedern
der konservativen Partei zu einer Besprechung, aus der ein förmlicher Vertrag
hervorgeht. In diesem Vertrage, dessen Wortlaut Guizot mittheilt, einigt man
sich über ein Verfahren, "ach welchem die Opposition in ihrem Widerstande
gegen jeden Versuch, das Banket zu hindern, streng innerhalb der Grenzen
der Gesetzlichkeit sich halten sollte. Man sollte sich versammeln, die Hinderung
des Barlets durch die Polizei constcttiren lassen und sodann auseinandergehen,
und die Entscheidung über die zwischen Regierung und Opposition schwebende
Rechtsfrage den Gerichten überlassen. Aber die Republikaner waren bereits zu
weit engagirt, und sich ihrer Vortheile zu klar bewußt, um sich durch ein so
künstliches Arrangement ti: Leitung der Dinge aus den Händen winden zu
lassen.

Guizot war entschlossen, den unvermeidlich gewordenen Kampf durchzuführen.
Aber im entscheidenden Augenblicke, als die Unruhen schon begonnen hatten,
verließ den König der Muth. Zu schwach, den dringenden Bitten der Königin
Widerstand entgegenzusetzen, ließ er Guizot fallen, und beauftragte Mölln mit
der Bildung eines neuen Cabinets. Der Unwille in den Reihen der Majorität
war groß und gerecht. Selbst die Opposition verhehlte sich die Tragweite dieser
Entscheidung nicht. "Ich habe den Fall des Cabinets gewünscht," sagte ein
angesehenes Mitglied derselben zu Guizots Collegen Duchatel. ..aber ich hätte
Euch lieber noch zehn Jahre länger bleiben, als durch diese Pforte Euren Aus¬
gang nehmen sehen.- Es ist zweifelhaft, sowohl ob eine größere Beharrlichkeit
den König gerettet, als auch ob Frankreich bei dem entgegengesetzten Ausfall
der Krisis gewonnen haben würde; daß es aber ein unermeßlicher Fehler war.


erzählt er in seiner Geschickte der Revolution von 1848. äußerte Pagnerre. als
die radicalen Mitglieder der Vereinigung in der Nähe des Ministeriums der
auswärtigen Angelegenheiten in Begriff waren sich zu trennen, sein Erstaunen
über die Beistimmung, die ihre Vorsä'läge, bei der monarchischen Opposition
gefunden hatten: „Sehen diese Herren wohl, wohin sie das führen kann? Was
mich betrifft, so bekenne ich. daß ich eS nicht deutlich sehe, aber so viel ist
gewiß, daß wir Radicalen keine Ursache baben darüber zu erschrecken." Garnier-
Pagös erwiderte: „Sie sehen diesen Baum, wohlan, schneiden Sie in seine
Rinde das heutige Datum ein; was wir beschlossen haben ist eine Revolution."

Und so war es. Zu spät erkannte die dynastis.be Linke, daß sie im An¬
griffe, zu spät aber auch die konservative Partei, daß sie im Widerstände zu
weit gegangen war. Morny, ein eifriger Cor'ervativer, räth der drohenden
Gefahr gegenüber zu Concessionen in der Reformfrage; Guizot theilte seine
Besorgnisse, aber erklärt, daß es für ihn unmöglich sei, in diesem Augenblicke
mit einer Maßregel aufzutreten, die zur Zersetzung der conserv.uiven Partei
führen müsse. Aber auch die monarchische Opposition erkannte den Abgrund,
vor dem sie sich befand. Es kommt zwischen ihren Häuptern und den Mitgliedern
der konservativen Partei zu einer Besprechung, aus der ein förmlicher Vertrag
hervorgeht. In diesem Vertrage, dessen Wortlaut Guizot mittheilt, einigt man
sich über ein Verfahren, »ach welchem die Opposition in ihrem Widerstande
gegen jeden Versuch, das Banket zu hindern, streng innerhalb der Grenzen
der Gesetzlichkeit sich halten sollte. Man sollte sich versammeln, die Hinderung
des Barlets durch die Polizei constcttiren lassen und sodann auseinandergehen,
und die Entscheidung über die zwischen Regierung und Opposition schwebende
Rechtsfrage den Gerichten überlassen. Aber die Republikaner waren bereits zu
weit engagirt, und sich ihrer Vortheile zu klar bewußt, um sich durch ein so
künstliches Arrangement ti: Leitung der Dinge aus den Händen winden zu
lassen.

Guizot war entschlossen, den unvermeidlich gewordenen Kampf durchzuführen.
Aber im entscheidenden Augenblicke, als die Unruhen schon begonnen hatten,
verließ den König der Muth. Zu schwach, den dringenden Bitten der Königin
Widerstand entgegenzusetzen, ließ er Guizot fallen, und beauftragte Mölln mit
der Bildung eines neuen Cabinets. Der Unwille in den Reihen der Majorität
war groß und gerecht. Selbst die Opposition verhehlte sich die Tragweite dieser
Entscheidung nicht. „Ich habe den Fall des Cabinets gewünscht," sagte ein
angesehenes Mitglied derselben zu Guizots Collegen Duchatel. ..aber ich hätte
Euch lieber noch zehn Jahre länger bleiben, als durch diese Pforte Euren Aus¬
gang nehmen sehen.- Es ist zweifelhaft, sowohl ob eine größere Beharrlichkeit
den König gerettet, als auch ob Frankreich bei dem entgegengesetzten Ausfall
der Krisis gewonnen haben würde; daß es aber ein unermeßlicher Fehler war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/311>, abgerufen am 15.01.2025.