Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.tigung und der maßlosen ebensowohl individuellen wie nationalen Eitelkeit die¬ tigung und der maßlosen ebensowohl individuellen wie nationalen Eitelkeit die¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191530"/> <p xml:id="ID_872" prev="#ID_871" next="#ID_873"> tigung und der maßlosen ebensowohl individuellen wie nationalen Eitelkeit die¬<lb/> ses gepriesenen, aber weit überschätzten Staatsmannes sich frei hält. — In den<lb/> Zeiten der Julimonarchie hatte dieser gegenwärtig unhaltbar gewordene Stand¬<lb/> punkt eine gewisse Berechtigung. Deutschland kam noch nicht in Betracht; die<lb/> Bestrebungen der schweizer Radicalen durfte man hoffen, durch eine» gemein¬<lb/> samen Druck der Großmächte zu einer Bewahrung der durch die wiener Ver¬<lb/> träge errichteten Bundesverfassung zu zwingen; in Italien dagegen fiel Frank¬<lb/> reich die complicirtere Aufgabe zu, den überwiegenden Einfluß Oestreichs, der<lb/> sich auf die konservativen und reactionären Tendenzen der italienischen Cabinete<lb/> stützte, zu brechen, und andererseits, die liberale Patriotenpartei soweit zu be¬<lb/> herrschen, daß man alle auf den Einheitsstaat gerichtete Bestrebungen im Keime<lb/> ersticken konnte. Denn die Einheitsidee widersprach nicht nur der traditionellen<lb/> französischen Politik, die in jeder Zusammenfassung der italienischen National¬<lb/> kraft eine Verminderung der französischen Macht sah; jeder entschiedene<lb/> Schritt in dieser Richtung würde ein gewaltsames Einschreiten Oestreichs pro¬<lb/> vocirt haben, jede bewaffnete Einmischung Oestreichs hätte aber Frankreich vor<lb/> die Alternative eines Rückzuges oder eines Krieges gestellt. Beide Eventuali¬<lb/> täten mußten Guizot gleich bedenklich erscheinen. Die Preisgebung Mittel¬<lb/> italiens und insbesondere des Papstes Pius des Neunten an Oestreich wäre, und<lb/> mit Recht, in ganz Frankreich als eine unverzeihliche Schädigung der National-<lb/> ehre empfunden worden, ein Krieg g«gen Oestreich (ganz abgesehen von den<lb/> friedlichen Neigungen Ludwig Philipps und seines Ministers) hätte Frank¬<lb/> reich zum Verbündeten der revolutionären Propaganda gemacht. Vor dieser<lb/> Bundesgenossenschaft aber hatte der König einen unüberwindlichen Abscheu.<lb/> Die französische Demokratie hatte in den ersten Jahren sich bemüht, seine Re¬<lb/> gierung auf diese Bahnen zu drängen; ihre Bemühungen hatten nur zur Folge<lb/> gehabt, seine Annäherung an die Cabinete zu erleichtern und zu beschleunigen.<lb/> Was er in den Jahren seiner größten Popularität nicht gewagt hatt, das mußte<lb/> ihm zu einer Zeit, wo er in der Demokratie seine erbittertsten Feinde sah,<lb/> gradezu als ein politischer Selbstmord, als eine moralische Unmöglichkeit erscheinen.<lb/> Die zwischen den beiden Extremen einzuhaltende mittlere Linie ergab sich somit<lb/> ganz von selbst: es kam darauf an, durch Begünstigungen der gemäßigt liberalen<lb/> Partei eine Reform der schreiendsten Mißbräuche herbeizuführen, und auf diese<lb/> Weise zugleich der östreichischen Herrschsucht und dem Radikalismus der unitarisch<lb/> gestimmten Demokratie Schach zu bieten. Der Hebel für diese Politik war<lb/> selbstverständlich in Rom anzusetzen, wo die Negierung immer einen starken<lb/> Widerwillen gegen den ausschließlichen Einfluß Oestreichs empfand, und wo es<lb/> demgemäß neben einer östreichischen auch eine französische Partei unter den<lb/> Cardinälen gab. Einen vorzüglichen Vertreter der Von ihm beabsichtigten Ver¬<lb/> mittelungspolitik hatte Guizot in Rossi gefunden, der wie wenig andere die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0300]
tigung und der maßlosen ebensowohl individuellen wie nationalen Eitelkeit die¬
ses gepriesenen, aber weit überschätzten Staatsmannes sich frei hält. — In den
Zeiten der Julimonarchie hatte dieser gegenwärtig unhaltbar gewordene Stand¬
punkt eine gewisse Berechtigung. Deutschland kam noch nicht in Betracht; die
Bestrebungen der schweizer Radicalen durfte man hoffen, durch eine» gemein¬
samen Druck der Großmächte zu einer Bewahrung der durch die wiener Ver¬
träge errichteten Bundesverfassung zu zwingen; in Italien dagegen fiel Frank¬
reich die complicirtere Aufgabe zu, den überwiegenden Einfluß Oestreichs, der
sich auf die konservativen und reactionären Tendenzen der italienischen Cabinete
stützte, zu brechen, und andererseits, die liberale Patriotenpartei soweit zu be¬
herrschen, daß man alle auf den Einheitsstaat gerichtete Bestrebungen im Keime
ersticken konnte. Denn die Einheitsidee widersprach nicht nur der traditionellen
französischen Politik, die in jeder Zusammenfassung der italienischen National¬
kraft eine Verminderung der französischen Macht sah; jeder entschiedene
Schritt in dieser Richtung würde ein gewaltsames Einschreiten Oestreichs pro¬
vocirt haben, jede bewaffnete Einmischung Oestreichs hätte aber Frankreich vor
die Alternative eines Rückzuges oder eines Krieges gestellt. Beide Eventuali¬
täten mußten Guizot gleich bedenklich erscheinen. Die Preisgebung Mittel¬
italiens und insbesondere des Papstes Pius des Neunten an Oestreich wäre, und
mit Recht, in ganz Frankreich als eine unverzeihliche Schädigung der National-
ehre empfunden worden, ein Krieg g«gen Oestreich (ganz abgesehen von den
friedlichen Neigungen Ludwig Philipps und seines Ministers) hätte Frank¬
reich zum Verbündeten der revolutionären Propaganda gemacht. Vor dieser
Bundesgenossenschaft aber hatte der König einen unüberwindlichen Abscheu.
Die französische Demokratie hatte in den ersten Jahren sich bemüht, seine Re¬
gierung auf diese Bahnen zu drängen; ihre Bemühungen hatten nur zur Folge
gehabt, seine Annäherung an die Cabinete zu erleichtern und zu beschleunigen.
Was er in den Jahren seiner größten Popularität nicht gewagt hatt, das mußte
ihm zu einer Zeit, wo er in der Demokratie seine erbittertsten Feinde sah,
gradezu als ein politischer Selbstmord, als eine moralische Unmöglichkeit erscheinen.
Die zwischen den beiden Extremen einzuhaltende mittlere Linie ergab sich somit
ganz von selbst: es kam darauf an, durch Begünstigungen der gemäßigt liberalen
Partei eine Reform der schreiendsten Mißbräuche herbeizuführen, und auf diese
Weise zugleich der östreichischen Herrschsucht und dem Radikalismus der unitarisch
gestimmten Demokratie Schach zu bieten. Der Hebel für diese Politik war
selbstverständlich in Rom anzusetzen, wo die Negierung immer einen starken
Widerwillen gegen den ausschließlichen Einfluß Oestreichs empfand, und wo es
demgemäß neben einer östreichischen auch eine französische Partei unter den
Cardinälen gab. Einen vorzüglichen Vertreter der Von ihm beabsichtigten Ver¬
mittelungspolitik hatte Guizot in Rossi gefunden, der wie wenig andere die
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