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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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so hervorragende Rolle gespielt hatte. Die Sache, für die er gekämpft hatte,
war in dem Grade seine eigene Sache geworden, daß sür ihn so wenig, wie
für ein Mitglied der Familie Orleans, die Möglichkeit vorhanden war, in der
neuen Ordnung der Dinge einen politischen Wirkungskreis zu suchen. Es war
aber nicht nur die Personenfrage, die ihn von jeder Betheiligung an der Regie¬
rung des Kaisers ausschloß, so wenig wie das Band, welches ihn mit Ludwig
Philipp verknüpft hatte, ein nur persönliches gewesen war. Was zwischen Guizot
und dem kaiserlichen Frankreich eine unübersteigliche Scheidewand zog. war vielmehr
der principielle Gegensatz, in dem der energische Vertreter des parlamentarischen
Systems zu dem Imperialismus stand. Die politische Freiheit ist mit dem
Cäsarismus unvereinbar. Warum aber, könnte man fragen, bat Guizot nicht,
wie z. B. Thiers, den allerdings enge umgrenzten Raum, den auch Napoleon
der politischen Debatte bat gewahren müssen, benutzt, um das System, mit dem
er sich nicht versöhnen kann, zu bekämpfen? Wer seine politische Thätigkeit vom
Jahre 1830 an verfolgt und zugleich die fortlaufenden Commentare derselben,
die er in seinen Reden und Schriften niedergelegt hat, zu Rathe zieht, der wird
sich diese Frage leicht beantworten können. Guizot sah das parlamentarische
Regime für das der Entwickelung der politischen Freiheit die sichersten Bürg¬
schaften bietende Staatsprincip an; aber in noch höherem Grade, als er diesem
Regime ergeben ist, fürchtet er die Revolution. Für ihn wird sich daher die
Frage so stellen: Ist im gegenwärtigen Augenblick ein Kampf für die Wieder¬
herstellung des parlamentarischen Systems möglich, ohne die Existenz des Kaiser-
thums selbst zu gefährden? Berneint er diese Frage, so muß er seine politische
Thätigkeit als abgeschlossen ansehen. Denn er wird den gewaltsamen Sturz
des Kaiserthums für ein größeres Unglück halten, als die Fortdauer eines Zu¬
standes, der mit seinen Grundsätzen allerdings im schroffsten Widersprüche steche.
Es bleiben ihm nur die Resignation und die Hoffnung auf den endlichen Sieg
der Freiheit. Auf welchen Umwegen diese Hoffnung sich vermutlichen wird,
das ist ein Geheimniß, dessen Schleier er nicht zu lüften wagt. Daß sie sich
aber verwirklichen wird, daran hält er fest mit der zähen Energie, die seinen
Glauben an eine sittliche Weltordnung charatteüsirt.

Unter den Werken seiner Muße nehmen seine Memoiren jedenfalls eine
hervorragende Stelle ein. Wo er, wie in der Broschüre über Italien und das
Papstthum, die Entwickelung der Gegenwart kritisirt. vermag er es nicht, sich
über den Standpunkt zu erheben, den er als praktischer Staatsmann einst den
Keimen dieser Entwickelung gegenüber eingenommen hat. Die Anschauungen
der altfranzösischen Schule, die auch von der napoleonischen Staatskunst in
höherem Grade getheilt werden, als es meist angenommen wird, sind durchaus
die seinigen. Er denkt über die nationalen Bestrebungen der Nachbarvölker
nicht anders als Thiers, nur daß er von der cynischen Mißachtung fremder Berech-


Grenzboten III. 18K7. 37

so hervorragende Rolle gespielt hatte. Die Sache, für die er gekämpft hatte,
war in dem Grade seine eigene Sache geworden, daß sür ihn so wenig, wie
für ein Mitglied der Familie Orleans, die Möglichkeit vorhanden war, in der
neuen Ordnung der Dinge einen politischen Wirkungskreis zu suchen. Es war
aber nicht nur die Personenfrage, die ihn von jeder Betheiligung an der Regie¬
rung des Kaisers ausschloß, so wenig wie das Band, welches ihn mit Ludwig
Philipp verknüpft hatte, ein nur persönliches gewesen war. Was zwischen Guizot
und dem kaiserlichen Frankreich eine unübersteigliche Scheidewand zog. war vielmehr
der principielle Gegensatz, in dem der energische Vertreter des parlamentarischen
Systems zu dem Imperialismus stand. Die politische Freiheit ist mit dem
Cäsarismus unvereinbar. Warum aber, könnte man fragen, bat Guizot nicht,
wie z. B. Thiers, den allerdings enge umgrenzten Raum, den auch Napoleon
der politischen Debatte bat gewahren müssen, benutzt, um das System, mit dem
er sich nicht versöhnen kann, zu bekämpfen? Wer seine politische Thätigkeit vom
Jahre 1830 an verfolgt und zugleich die fortlaufenden Commentare derselben,
die er in seinen Reden und Schriften niedergelegt hat, zu Rathe zieht, der wird
sich diese Frage leicht beantworten können. Guizot sah das parlamentarische
Regime für das der Entwickelung der politischen Freiheit die sichersten Bürg¬
schaften bietende Staatsprincip an; aber in noch höherem Grade, als er diesem
Regime ergeben ist, fürchtet er die Revolution. Für ihn wird sich daher die
Frage so stellen: Ist im gegenwärtigen Augenblick ein Kampf für die Wieder¬
herstellung des parlamentarischen Systems möglich, ohne die Existenz des Kaiser-
thums selbst zu gefährden? Berneint er diese Frage, so muß er seine politische
Thätigkeit als abgeschlossen ansehen. Denn er wird den gewaltsamen Sturz
des Kaiserthums für ein größeres Unglück halten, als die Fortdauer eines Zu¬
standes, der mit seinen Grundsätzen allerdings im schroffsten Widersprüche steche.
Es bleiben ihm nur die Resignation und die Hoffnung auf den endlichen Sieg
der Freiheit. Auf welchen Umwegen diese Hoffnung sich vermutlichen wird,
das ist ein Geheimniß, dessen Schleier er nicht zu lüften wagt. Daß sie sich
aber verwirklichen wird, daran hält er fest mit der zähen Energie, die seinen
Glauben an eine sittliche Weltordnung charatteüsirt.

Unter den Werken seiner Muße nehmen seine Memoiren jedenfalls eine
hervorragende Stelle ein. Wo er, wie in der Broschüre über Italien und das
Papstthum, die Entwickelung der Gegenwart kritisirt. vermag er es nicht, sich
über den Standpunkt zu erheben, den er als praktischer Staatsmann einst den
Keimen dieser Entwickelung gegenüber eingenommen hat. Die Anschauungen
der altfranzösischen Schule, die auch von der napoleonischen Staatskunst in
höherem Grade getheilt werden, als es meist angenommen wird, sind durchaus
die seinigen. Er denkt über die nationalen Bestrebungen der Nachbarvölker
nicht anders als Thiers, nur daß er von der cynischen Mißachtung fremder Berech-


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[0299] so hervorragende Rolle gespielt hatte. Die Sache, für die er gekämpft hatte, war in dem Grade seine eigene Sache geworden, daß sür ihn so wenig, wie für ein Mitglied der Familie Orleans, die Möglichkeit vorhanden war, in der neuen Ordnung der Dinge einen politischen Wirkungskreis zu suchen. Es war aber nicht nur die Personenfrage, die ihn von jeder Betheiligung an der Regie¬ rung des Kaisers ausschloß, so wenig wie das Band, welches ihn mit Ludwig Philipp verknüpft hatte, ein nur persönliches gewesen war. Was zwischen Guizot und dem kaiserlichen Frankreich eine unübersteigliche Scheidewand zog. war vielmehr der principielle Gegensatz, in dem der energische Vertreter des parlamentarischen Systems zu dem Imperialismus stand. Die politische Freiheit ist mit dem Cäsarismus unvereinbar. Warum aber, könnte man fragen, bat Guizot nicht, wie z. B. Thiers, den allerdings enge umgrenzten Raum, den auch Napoleon der politischen Debatte bat gewahren müssen, benutzt, um das System, mit dem er sich nicht versöhnen kann, zu bekämpfen? Wer seine politische Thätigkeit vom Jahre 1830 an verfolgt und zugleich die fortlaufenden Commentare derselben, die er in seinen Reden und Schriften niedergelegt hat, zu Rathe zieht, der wird sich diese Frage leicht beantworten können. Guizot sah das parlamentarische Regime für das der Entwickelung der politischen Freiheit die sichersten Bürg¬ schaften bietende Staatsprincip an; aber in noch höherem Grade, als er diesem Regime ergeben ist, fürchtet er die Revolution. Für ihn wird sich daher die Frage so stellen: Ist im gegenwärtigen Augenblick ein Kampf für die Wieder¬ herstellung des parlamentarischen Systems möglich, ohne die Existenz des Kaiser- thums selbst zu gefährden? Berneint er diese Frage, so muß er seine politische Thätigkeit als abgeschlossen ansehen. Denn er wird den gewaltsamen Sturz des Kaiserthums für ein größeres Unglück halten, als die Fortdauer eines Zu¬ standes, der mit seinen Grundsätzen allerdings im schroffsten Widersprüche steche. Es bleiben ihm nur die Resignation und die Hoffnung auf den endlichen Sieg der Freiheit. Auf welchen Umwegen diese Hoffnung sich vermutlichen wird, das ist ein Geheimniß, dessen Schleier er nicht zu lüften wagt. Daß sie sich aber verwirklichen wird, daran hält er fest mit der zähen Energie, die seinen Glauben an eine sittliche Weltordnung charatteüsirt. Unter den Werken seiner Muße nehmen seine Memoiren jedenfalls eine hervorragende Stelle ein. Wo er, wie in der Broschüre über Italien und das Papstthum, die Entwickelung der Gegenwart kritisirt. vermag er es nicht, sich über den Standpunkt zu erheben, den er als praktischer Staatsmann einst den Keimen dieser Entwickelung gegenüber eingenommen hat. Die Anschauungen der altfranzösischen Schule, die auch von der napoleonischen Staatskunst in höherem Grade getheilt werden, als es meist angenommen wird, sind durchaus die seinigen. Er denkt über die nationalen Bestrebungen der Nachbarvölker nicht anders als Thiers, nur daß er von der cynischen Mißachtung fremder Berech- Grenzboten III. 18K7. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/299>, abgerufen am 15.01.2025.