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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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die durch die Namen Cavour und Ricasvii bezeichnet ist. Der Septemberver¬
trag aber war die Basis für jede" weiteren Fortschritt. Durch ihn ist eine
Verhandlung zwischen Rom und Italien möglich geworden, und wenn die Mis¬
sionen Vegezzi und Tonello dürftige Resultate gehabt haben, so ist doch ihre
bloße Thatsache schon eine Bresche i" das System des non xossumus. Der
Vertrag wegen der päpstlichen Schuld trägt freilich nur eine Last über von dem
Kirchenstaat auf das Königreich, aber er enthält doch zugleich -- ob eingestanden
oder nicht -- die Anerkennung des Verzichts auf Umbrien und die Marken. Und
wenn man sich des Briefwechsels erinnert, den im December vorigen Jahres Ri-
casoli mit den in ihre Diöcesen zurückgekehrten Bischöfen führte, welche für
"Freiheit wie in Amerika" schwärmten, so muß man gestehen, daß in der wahr¬
haft liberalen Politik Nicasoiis Keime zu Reformen lagen, für welche freilich
den Rothhemdcn kein Verständniß zuzumuthen ist.

Und nun tritt diese Wendung der italienischen Politik ein in einem
Augenblick, da die Bewegung gegen Rom unverkennbar wieder lebhafter geworden
ist; durch den Gang der Kammerdebatten kann diese nur verstärkt und angereizt
werden. Aber unglücklicherweise ist nur eine Bewegung vom Königreich gegen
Rom, keineswegs aber von Rom gegen das Königreich zu spüren, und dieser
Zustand ist weit gefährlicher für die italienische Regierung, die nun einmal be¬
stimmte Verpflichtungen übernommen hat, als für die päpstliche Regierung, die
durch jene Verpflichtungen gedeckt ist. Alle zuverlässigen Berichte aus Rom
stimmen darin überein, daß für eine römische Erhebung zu Gunsten der
Annexion nicht die mindeste Aussicht vorhanden ist. Diese Stimmung datirt
nicht erst von den letzten Festen, die dem römischen Volk gezeigt haben, wie
trefflich seine Regierung für Spektakel und nützlichen Fremdenbesuch zu sorgen
versteht. Sie datirt vielmehr, wie unbefangene Gewährsmänner versichern, von
dem Abzug der Franzosen, der die wahre Meinung der Römer frei gemachthat.
So lange der Anblick der Straßen und Kasernen an die Fremdherrschaft erin¬
nerte, fehlte es nicht an Stoff und Nahrung für eine Anschlußagitation, sobald
aber jene Herausforderung beseitigt war, und Rom sich als italienische Stadt
fühlte, zeigte sich alsbald, wie wenig jene Agitation bedeutete. Die verschiedenen
Nevvlutionscomiiös fuhren fort sich unter sich zu zanken, Einfluß auf die Be¬
völkerung halten sie nicht mehr. Als Ricasolis Privatsecretär, Celestino Bianchi,
im Frühjahr nach Rom ging, um wieder einige Fühlung mit der Annexions-
partei herzustellen, war er erstaunt und betroffen über den völligen Umschlag
der öffentlichen Meinung. Angesichts der inneren Zustände des Königreichs ist
die Ungeduld der Römer nüchterner Berechnung gewichen. Sie sind zufrieden,
daß durch die Unisication des Münzwescns und durch den immer lebhafteren
Eisenbahnverkehr, der jetzt alle Reisenden von Florenz nach Neapel über den
römischen Bahnhof führt, ein allmäliges Niederreißen der Schranken eingeleitet


die durch die Namen Cavour und Ricasvii bezeichnet ist. Der Septemberver¬
trag aber war die Basis für jede» weiteren Fortschritt. Durch ihn ist eine
Verhandlung zwischen Rom und Italien möglich geworden, und wenn die Mis¬
sionen Vegezzi und Tonello dürftige Resultate gehabt haben, so ist doch ihre
bloße Thatsache schon eine Bresche i» das System des non xossumus. Der
Vertrag wegen der päpstlichen Schuld trägt freilich nur eine Last über von dem
Kirchenstaat auf das Königreich, aber er enthält doch zugleich — ob eingestanden
oder nicht — die Anerkennung des Verzichts auf Umbrien und die Marken. Und
wenn man sich des Briefwechsels erinnert, den im December vorigen Jahres Ri-
casoli mit den in ihre Diöcesen zurückgekehrten Bischöfen führte, welche für
„Freiheit wie in Amerika" schwärmten, so muß man gestehen, daß in der wahr¬
haft liberalen Politik Nicasoiis Keime zu Reformen lagen, für welche freilich
den Rothhemdcn kein Verständniß zuzumuthen ist.

Und nun tritt diese Wendung der italienischen Politik ein in einem
Augenblick, da die Bewegung gegen Rom unverkennbar wieder lebhafter geworden
ist; durch den Gang der Kammerdebatten kann diese nur verstärkt und angereizt
werden. Aber unglücklicherweise ist nur eine Bewegung vom Königreich gegen
Rom, keineswegs aber von Rom gegen das Königreich zu spüren, und dieser
Zustand ist weit gefährlicher für die italienische Regierung, die nun einmal be¬
stimmte Verpflichtungen übernommen hat, als für die päpstliche Regierung, die
durch jene Verpflichtungen gedeckt ist. Alle zuverlässigen Berichte aus Rom
stimmen darin überein, daß für eine römische Erhebung zu Gunsten der
Annexion nicht die mindeste Aussicht vorhanden ist. Diese Stimmung datirt
nicht erst von den letzten Festen, die dem römischen Volk gezeigt haben, wie
trefflich seine Regierung für Spektakel und nützlichen Fremdenbesuch zu sorgen
versteht. Sie datirt vielmehr, wie unbefangene Gewährsmänner versichern, von
dem Abzug der Franzosen, der die wahre Meinung der Römer frei gemachthat.
So lange der Anblick der Straßen und Kasernen an die Fremdherrschaft erin¬
nerte, fehlte es nicht an Stoff und Nahrung für eine Anschlußagitation, sobald
aber jene Herausforderung beseitigt war, und Rom sich als italienische Stadt
fühlte, zeigte sich alsbald, wie wenig jene Agitation bedeutete. Die verschiedenen
Nevvlutionscomiiös fuhren fort sich unter sich zu zanken, Einfluß auf die Be¬
völkerung halten sie nicht mehr. Als Ricasolis Privatsecretär, Celestino Bianchi,
im Frühjahr nach Rom ging, um wieder einige Fühlung mit der Annexions-
partei herzustellen, war er erstaunt und betroffen über den völligen Umschlag
der öffentlichen Meinung. Angesichts der inneren Zustände des Königreichs ist
die Ungeduld der Römer nüchterner Berechnung gewichen. Sie sind zufrieden,
daß durch die Unisication des Münzwescns und durch den immer lebhafteren
Eisenbahnverkehr, der jetzt alle Reisenden von Florenz nach Neapel über den
römischen Bahnhof führt, ein allmäliges Niederreißen der Schranken eingeleitet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/278>, abgerufen am 15.01.2025.