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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Commission war der tnriner Advocat Ferraris, eines der Häupter der piemon-
tesischen Opposition. Er arbeitete ein Gegenproject aus, das. wie sich bald
zeigte, den Beifall der Kammer und folglich auch des Ministeriums erwarb.
Nicht die finanziellen Details sind das eigentlich Unterscheidende in den ver¬
schiedenen Entwürfen, die auf einander gefolgt sind. In dieser Hinsicht besteht
die Hauptoperation stets in einem Vertrag mit irgendeinem Bankhaus, das
dem Staat die Summen vorstreckt, die durch den Verkauf der Kirchengüter
flüssig gemacht werden sollen, und die Kunst des Ministers besteht nur darin,
möglichst günstige Modalitäten aufzufinden, und möglichst wenig drückende Be¬
dingungen, unter welchen die Finanzmächte sich zu diesem Geschäft herbeilassen.
Die prinzipielle Frage dagegen ist die, wer der künftige Eigenthümer der bis¬
her kirchlichen Güter, und wie demgemäß das Verhältniß der Staatsgewalt zu
den Angelegenheiten des Cultus sein soll. Ricasoli hatte es versucht, mit dem
Grundsatz der Trennung Ernst zu machen. Die Beziehungen beider Sphären
sollten gelöst, die Kirche sollte nach Aufhebung der todten Hand und nach Ab¬
gabe einer Art von Steuer an den Staat im Eigenthum ihres Vermögens
bleiben. Indem man dem Episcopat die Disposition über das Kirchengut ließ,
konnte man nicht nur hoffen, daß er willig die Hand zur Liquidation der Güter
biete, was zugleich für den finanziellen Erfolg ein entschiedener Gewinn war,
sondern man näherte sich damit zugleich einem Zustand, den das Vorbild der
freisten Staaten empfahl. Allein der ricasolische Entwurf scheiterte an der ent-
schiedenen Abneigung der öffentlichen Meinung, den Klerus zum Eigenthümer
des Kirchcnguts zu machen, an der Besorgnis), dadurch seine Macht gegenüber
dem Staat zu stärken, in letzter Instanz an der Besorgniß vor den Folgen der
Trennung beider Gewalten überhaupt. Ein zweites System, das gleichfalls
auf dem Princip der Trennung beruhte und doch die angedeuteten Gefahren
vermied, wurde angeregt, ohne ernstlich verfolgt zu werden. Es bestand darin,
nicht den Episcopat, sondern die Gemeinden und Provinzen, nicht den Klerus,
sondern die Laienwelt. die Gemeinschaft der Gläubigen zum Eigenthümer der
Güter zu machen. Ein Gedanke, der allerdings auf die letzte ideale Lösung
Ziele, aber den völligen Umsturz der Grundlogen des Katholicismus bedeutet und
im jetzigen Stadium in der That undurchführbar war. Es blieb noch ein drittes
System übrig, n.unlieb den Staat zum wirtlichen Eigenthümer des Kirchenguts
ju erklären, den Beschluß vom Juni 1866 über die Aufhebung der religiösen
Körperschaften rücksichtslos durchzuführen, die Bedürfnisse des Cultus aus
Staatsmitteln zu bestreiten, ein Obcraufsicl'dörecht des Staats im Sinn der
josefinischen Ideen auszuüben und überhaupt die Angelegenheiten der Kirche unter
den dominirenden Gesichtspunkt des Staatsinteresses zu stellen. Dies ist der
Charakter des von Ferraris verfaßten Entwurfs: er bedeutet die Rückkehr zum
Princip der Feindschaft zwischen Kirche und Staat-


Commission war der tnriner Advocat Ferraris, eines der Häupter der piemon-
tesischen Opposition. Er arbeitete ein Gegenproject aus, das. wie sich bald
zeigte, den Beifall der Kammer und folglich auch des Ministeriums erwarb.
Nicht die finanziellen Details sind das eigentlich Unterscheidende in den ver¬
schiedenen Entwürfen, die auf einander gefolgt sind. In dieser Hinsicht besteht
die Hauptoperation stets in einem Vertrag mit irgendeinem Bankhaus, das
dem Staat die Summen vorstreckt, die durch den Verkauf der Kirchengüter
flüssig gemacht werden sollen, und die Kunst des Ministers besteht nur darin,
möglichst günstige Modalitäten aufzufinden, und möglichst wenig drückende Be¬
dingungen, unter welchen die Finanzmächte sich zu diesem Geschäft herbeilassen.
Die prinzipielle Frage dagegen ist die, wer der künftige Eigenthümer der bis¬
her kirchlichen Güter, und wie demgemäß das Verhältniß der Staatsgewalt zu
den Angelegenheiten des Cultus sein soll. Ricasoli hatte es versucht, mit dem
Grundsatz der Trennung Ernst zu machen. Die Beziehungen beider Sphären
sollten gelöst, die Kirche sollte nach Aufhebung der todten Hand und nach Ab¬
gabe einer Art von Steuer an den Staat im Eigenthum ihres Vermögens
bleiben. Indem man dem Episcopat die Disposition über das Kirchengut ließ,
konnte man nicht nur hoffen, daß er willig die Hand zur Liquidation der Güter
biete, was zugleich für den finanziellen Erfolg ein entschiedener Gewinn war,
sondern man näherte sich damit zugleich einem Zustand, den das Vorbild der
freisten Staaten empfahl. Allein der ricasolische Entwurf scheiterte an der ent-
schiedenen Abneigung der öffentlichen Meinung, den Klerus zum Eigenthümer
des Kirchcnguts zu machen, an der Besorgnis), dadurch seine Macht gegenüber
dem Staat zu stärken, in letzter Instanz an der Besorgniß vor den Folgen der
Trennung beider Gewalten überhaupt. Ein zweites System, das gleichfalls
auf dem Princip der Trennung beruhte und doch die angedeuteten Gefahren
vermied, wurde angeregt, ohne ernstlich verfolgt zu werden. Es bestand darin,
nicht den Episcopat, sondern die Gemeinden und Provinzen, nicht den Klerus,
sondern die Laienwelt. die Gemeinschaft der Gläubigen zum Eigenthümer der
Güter zu machen. Ein Gedanke, der allerdings auf die letzte ideale Lösung
Ziele, aber den völligen Umsturz der Grundlogen des Katholicismus bedeutet und
im jetzigen Stadium in der That undurchführbar war. Es blieb noch ein drittes
System übrig, n.unlieb den Staat zum wirtlichen Eigenthümer des Kirchenguts
ju erklären, den Beschluß vom Juni 1866 über die Aufhebung der religiösen
Körperschaften rücksichtslos durchzuführen, die Bedürfnisse des Cultus aus
Staatsmitteln zu bestreiten, ein Obcraufsicl'dörecht des Staats im Sinn der
josefinischen Ideen auszuüben und überhaupt die Angelegenheiten der Kirche unter
den dominirenden Gesichtspunkt des Staatsinteresses zu stellen. Dies ist der
Charakter des von Ferraris verfaßten Entwurfs: er bedeutet die Rückkehr zum
Princip der Feindschaft zwischen Kirche und Staat-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/271>, abgerufen am 15.01.2025.