im Ministerrath zu sichern gedachte und welches eben die Ursache war, daß die andern Parteihäupter sich weigerten in sein Ministerium zu treten. Er schien geneigt, einen neuen Entwurf über die Liquidation des Kirchenvermögens vorzu¬ legen, aber dieser hätte doch wieder auf denselben Grundsätzen über das Ver¬ hältniß von Kirche und Staat beruhen müssen, mit denen sich nun einmal Ricasoli identificirt hat. und eben gegen diese Grundsätze erhob sich eine immer entschiedenere Opposition. Dazu kam, daß Ricasoli es wenig verstanden hatte, eine Kammer, die ans so diverg'renden Elementen besteht, ja nicht einmal seine eigene Partei mit kräftiger Hand zusammenzuhalten. Ehrlich, offen, makellos, aber schroff, stolz, unbiegsam, wenig um Popularität bekümmert, sah er sich fast vereinsamt; ja grade die Hohheit seines Charakters schien unbequem und reizte die Waffen hämischer Verläumdung. Es gehört zu den unerfreulichsten Zügen im politischen Leben Italiens, daß man keine größere Freude kennt, als die wirklich tüchtigen Männer, die über die Menge herausragen, unmöglich zu machen, herunterzureißen, zu "demoliren". Es ist unglaublich, was das neuere Italien in diesem Stück geleistet hat, von Cavour an, der sich aufrieb in den leiden¬ schaftlichen Kämpfen mit der Linken, bis auf diesen Tag.
Jetzt war die Zeit Nattazzis gekommen, der in allen wichtigen Fragen vorsichtig zurückgehalten hatte, um in jedem Augenblick möglich zu sein, der durch die Geschmeidigkeit seines Wesens grade für solche zweideutige Situationen sich eignete, von denen man noch nicht wußte, was daraus werden sollte, der ungehindert durch System und Doctrinen nie um die schicklichen Mittel des Augenblicks verlegen war. Demgemäß war sein Auftreten im Parlament, seine Antrittsrede war in den allgemeinsten Ausdrücken gehalten, sein Ministerium hatte er fast aus lauter obscurer, bisher kaum genannten Männern zusammen¬ gesetzt. Er war entschlossen abzuwarten, bis die Kammer sich in irgendeiner Richtung aussprechen würde. Sein Finanzminister Ferrara arbeitete zwar einen neuen Plan über die Kirchengüterliquidation aus, als jedoch auch dieser auf allgemeinen Widerspruch stieß (hauptsächlich weil er gleichfalls die freie Zu¬ stimmung des Klerus voraussetzte), gab Rattazzi ohne Bedenken das Project und den Minister preis. Inzwischen wußte er aufs liebenswürdigste der Kammer zu begegnen, und sie erwies sich dan'bar. So unbequem ihr Ricasoli gewesen war, so gerne ließ sie sich einen Minister gefallen, der ihr nicht imponirte. Zwischen der Linken und dem Ministerpräsidenten entwickelte sich von Tag zu Tag ein zärtlicheres Verhältniß.
An der Kammer also nun war es. die Initiative zu ergreifen. Sie hatte ein Project nach dem andern verworfen, einen Minister nach dem andern ge¬ stürzt, man konnte erwarten, daß sie endlich einmal einen positiven Veitrag zur Lösung der Kirchenfrage gebe. Schon die Wahl der Commission zeigte das Uebergewicht, das in dieser Frage die Linke erlangt hatte, Präsident der
im Ministerrath zu sichern gedachte und welches eben die Ursache war, daß die andern Parteihäupter sich weigerten in sein Ministerium zu treten. Er schien geneigt, einen neuen Entwurf über die Liquidation des Kirchenvermögens vorzu¬ legen, aber dieser hätte doch wieder auf denselben Grundsätzen über das Ver¬ hältniß von Kirche und Staat beruhen müssen, mit denen sich nun einmal Ricasoli identificirt hat. und eben gegen diese Grundsätze erhob sich eine immer entschiedenere Opposition. Dazu kam, daß Ricasoli es wenig verstanden hatte, eine Kammer, die ans so diverg'renden Elementen besteht, ja nicht einmal seine eigene Partei mit kräftiger Hand zusammenzuhalten. Ehrlich, offen, makellos, aber schroff, stolz, unbiegsam, wenig um Popularität bekümmert, sah er sich fast vereinsamt; ja grade die Hohheit seines Charakters schien unbequem und reizte die Waffen hämischer Verläumdung. Es gehört zu den unerfreulichsten Zügen im politischen Leben Italiens, daß man keine größere Freude kennt, als die wirklich tüchtigen Männer, die über die Menge herausragen, unmöglich zu machen, herunterzureißen, zu „demoliren". Es ist unglaublich, was das neuere Italien in diesem Stück geleistet hat, von Cavour an, der sich aufrieb in den leiden¬ schaftlichen Kämpfen mit der Linken, bis auf diesen Tag.
Jetzt war die Zeit Nattazzis gekommen, der in allen wichtigen Fragen vorsichtig zurückgehalten hatte, um in jedem Augenblick möglich zu sein, der durch die Geschmeidigkeit seines Wesens grade für solche zweideutige Situationen sich eignete, von denen man noch nicht wußte, was daraus werden sollte, der ungehindert durch System und Doctrinen nie um die schicklichen Mittel des Augenblicks verlegen war. Demgemäß war sein Auftreten im Parlament, seine Antrittsrede war in den allgemeinsten Ausdrücken gehalten, sein Ministerium hatte er fast aus lauter obscurer, bisher kaum genannten Männern zusammen¬ gesetzt. Er war entschlossen abzuwarten, bis die Kammer sich in irgendeiner Richtung aussprechen würde. Sein Finanzminister Ferrara arbeitete zwar einen neuen Plan über die Kirchengüterliquidation aus, als jedoch auch dieser auf allgemeinen Widerspruch stieß (hauptsächlich weil er gleichfalls die freie Zu¬ stimmung des Klerus voraussetzte), gab Rattazzi ohne Bedenken das Project und den Minister preis. Inzwischen wußte er aufs liebenswürdigste der Kammer zu begegnen, und sie erwies sich dan'bar. So unbequem ihr Ricasoli gewesen war, so gerne ließ sie sich einen Minister gefallen, der ihr nicht imponirte. Zwischen der Linken und dem Ministerpräsidenten entwickelte sich von Tag zu Tag ein zärtlicheres Verhältniß.
An der Kammer also nun war es. die Initiative zu ergreifen. Sie hatte ein Project nach dem andern verworfen, einen Minister nach dem andern ge¬ stürzt, man konnte erwarten, daß sie endlich einmal einen positiven Veitrag zur Lösung der Kirchenfrage gebe. Schon die Wahl der Commission zeigte das Uebergewicht, das in dieser Frage die Linke erlangt hatte, Präsident der
<TEI><text><body><div><divn="1"><pbfacs="#f0270"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191500"/><pxml:id="ID_797"prev="#ID_796"> im Ministerrath zu sichern gedachte und welches eben die Ursache war, daß die<lb/>
andern Parteihäupter sich weigerten in sein Ministerium zu treten. Er schien<lb/>
geneigt, einen neuen Entwurf über die Liquidation des Kirchenvermögens vorzu¬<lb/>
legen, aber dieser hätte doch wieder auf denselben Grundsätzen über das Ver¬<lb/>
hältniß von Kirche und Staat beruhen müssen, mit denen sich nun einmal<lb/>
Ricasoli identificirt hat. und eben gegen diese Grundsätze erhob sich eine immer<lb/>
entschiedenere Opposition. Dazu kam, daß Ricasoli es wenig verstanden hatte,<lb/>
eine Kammer, die ans so diverg'renden Elementen besteht, ja nicht einmal seine<lb/>
eigene Partei mit kräftiger Hand zusammenzuhalten. Ehrlich, offen, makellos,<lb/>
aber schroff, stolz, unbiegsam, wenig um Popularität bekümmert, sah er sich fast<lb/>
vereinsamt; ja grade die Hohheit seines Charakters schien unbequem und reizte<lb/>
die Waffen hämischer Verläumdung. Es gehört zu den unerfreulichsten Zügen<lb/>
im politischen Leben Italiens, daß man keine größere Freude kennt, als die<lb/>
wirklich tüchtigen Männer, die über die Menge herausragen, unmöglich zu machen,<lb/>
herunterzureißen, zu „demoliren". Es ist unglaublich, was das neuere Italien<lb/>
in diesem Stück geleistet hat, von Cavour an, der sich aufrieb in den leiden¬<lb/>
schaftlichen Kämpfen mit der Linken, bis auf diesen Tag.</p><lb/><pxml:id="ID_798"> Jetzt war die Zeit Nattazzis gekommen, der in allen wichtigen Fragen<lb/>
vorsichtig zurückgehalten hatte, um in jedem Augenblick möglich zu sein, der<lb/>
durch die Geschmeidigkeit seines Wesens grade für solche zweideutige Situationen<lb/>
sich eignete, von denen man noch nicht wußte, was daraus werden sollte, der<lb/>
ungehindert durch System und Doctrinen nie um die schicklichen Mittel des<lb/>
Augenblicks verlegen war. Demgemäß war sein Auftreten im Parlament, seine<lb/>
Antrittsrede war in den allgemeinsten Ausdrücken gehalten, sein Ministerium<lb/>
hatte er fast aus lauter obscurer, bisher kaum genannten Männern zusammen¬<lb/>
gesetzt. Er war entschlossen abzuwarten, bis die Kammer sich in irgendeiner<lb/>
Richtung aussprechen würde. Sein Finanzminister Ferrara arbeitete zwar einen<lb/>
neuen Plan über die Kirchengüterliquidation aus, als jedoch auch dieser auf<lb/>
allgemeinen Widerspruch stieß (hauptsächlich weil er gleichfalls die freie Zu¬<lb/>
stimmung des Klerus voraussetzte), gab Rattazzi ohne Bedenken das Project und<lb/>
den Minister preis. Inzwischen wußte er aufs liebenswürdigste der Kammer zu<lb/>
begegnen, und sie erwies sich dan'bar. So unbequem ihr Ricasoli gewesen war,<lb/>
so gerne ließ sie sich einen Minister gefallen, der ihr nicht imponirte. Zwischen<lb/>
der Linken und dem Ministerpräsidenten entwickelte sich von Tag zu Tag ein<lb/>
zärtlicheres Verhältniß.</p><lb/><pxml:id="ID_799"next="#ID_800"> An der Kammer also nun war es. die Initiative zu ergreifen. Sie hatte<lb/>
ein Project nach dem andern verworfen, einen Minister nach dem andern ge¬<lb/>
stürzt, man konnte erwarten, daß sie endlich einmal einen positiven Veitrag zur<lb/>
Lösung der Kirchenfrage gebe. Schon die Wahl der Commission zeigte das<lb/>
Uebergewicht, das in dieser Frage die Linke erlangt hatte, Präsident der</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[0270]
im Ministerrath zu sichern gedachte und welches eben die Ursache war, daß die
andern Parteihäupter sich weigerten in sein Ministerium zu treten. Er schien
geneigt, einen neuen Entwurf über die Liquidation des Kirchenvermögens vorzu¬
legen, aber dieser hätte doch wieder auf denselben Grundsätzen über das Ver¬
hältniß von Kirche und Staat beruhen müssen, mit denen sich nun einmal
Ricasoli identificirt hat. und eben gegen diese Grundsätze erhob sich eine immer
entschiedenere Opposition. Dazu kam, daß Ricasoli es wenig verstanden hatte,
eine Kammer, die ans so diverg'renden Elementen besteht, ja nicht einmal seine
eigene Partei mit kräftiger Hand zusammenzuhalten. Ehrlich, offen, makellos,
aber schroff, stolz, unbiegsam, wenig um Popularität bekümmert, sah er sich fast
vereinsamt; ja grade die Hohheit seines Charakters schien unbequem und reizte
die Waffen hämischer Verläumdung. Es gehört zu den unerfreulichsten Zügen
im politischen Leben Italiens, daß man keine größere Freude kennt, als die
wirklich tüchtigen Männer, die über die Menge herausragen, unmöglich zu machen,
herunterzureißen, zu „demoliren". Es ist unglaublich, was das neuere Italien
in diesem Stück geleistet hat, von Cavour an, der sich aufrieb in den leiden¬
schaftlichen Kämpfen mit der Linken, bis auf diesen Tag.
Jetzt war die Zeit Nattazzis gekommen, der in allen wichtigen Fragen
vorsichtig zurückgehalten hatte, um in jedem Augenblick möglich zu sein, der
durch die Geschmeidigkeit seines Wesens grade für solche zweideutige Situationen
sich eignete, von denen man noch nicht wußte, was daraus werden sollte, der
ungehindert durch System und Doctrinen nie um die schicklichen Mittel des
Augenblicks verlegen war. Demgemäß war sein Auftreten im Parlament, seine
Antrittsrede war in den allgemeinsten Ausdrücken gehalten, sein Ministerium
hatte er fast aus lauter obscurer, bisher kaum genannten Männern zusammen¬
gesetzt. Er war entschlossen abzuwarten, bis die Kammer sich in irgendeiner
Richtung aussprechen würde. Sein Finanzminister Ferrara arbeitete zwar einen
neuen Plan über die Kirchengüterliquidation aus, als jedoch auch dieser auf
allgemeinen Widerspruch stieß (hauptsächlich weil er gleichfalls die freie Zu¬
stimmung des Klerus voraussetzte), gab Rattazzi ohne Bedenken das Project und
den Minister preis. Inzwischen wußte er aufs liebenswürdigste der Kammer zu
begegnen, und sie erwies sich dan'bar. So unbequem ihr Ricasoli gewesen war,
so gerne ließ sie sich einen Minister gefallen, der ihr nicht imponirte. Zwischen
der Linken und dem Ministerpräsidenten entwickelte sich von Tag zu Tag ein
zärtlicheres Verhältniß.
An der Kammer also nun war es. die Initiative zu ergreifen. Sie hatte
ein Project nach dem andern verworfen, einen Minister nach dem andern ge¬
stürzt, man konnte erwarten, daß sie endlich einmal einen positiven Veitrag zur
Lösung der Kirchenfrage gebe. Schon die Wahl der Commission zeigte das
Uebergewicht, das in dieser Frage die Linke erlangt hatte, Präsident der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/270>, abgerufen am 25.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.