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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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einen Stadt in die andere kam, mußte sich in eine andere Welt verseht glauben,
er war Zeuge von Gegensätzen, die durch Jahrhunderte getrennt schienen. Und
wer diese beiden Heerlager sah, der brauchte nicht mehr lange zu fragen, in
welchem Stadium sich zur Zeit die römische Frage befinde. Die Gegensatze
sind so reinlich abgegrenzt als je. Der Gedanke einer Aussöhnung zwischen
Italien und dem Papstthum, seit Cavour die Richtschnur der officiellen Politik
Italiens, ist verflogen, das Programm der freien Kirche im freien Staat, nach¬
dem man nichts damit erreicht hat, aufgegeben -- ob für immer, das ist eine
andere Frage.

Die letzten Verhandlungen der italienischen Kammer bedeuten nichts Ge¬
ringeres als eine radicale Wendung der italienischen Politik gegenüber von
Rom. Vielleicht hat grade die Feier des Centenariums dazu beigetragen, diese
Wendung zur Reise zu bringen oder so ausgesprochen hervortreten zu lassen.
Denn jenes Fest war ein feierliches Zeugniß, daß nicht blos das Papstthum,
sondern die Kirche in der Totalität des Episcopats nicht einen Fuß breit der
neuen Zeit zu opfern gedenke, und die Wukung auf die italienische Kammer
konnte nicht ausbleiben. Dennoch war die Wendung seit längerer Zeit vor¬
bereitet und vorauszusehen. Sie war schon mit dem Sturz Ricasolis ent¬
schieden.

Als Ricasoli ohne durch ein Votum der Kammer gedrängt zu sein, viel¬
mehr nach Neuwahlen, welche die gemäßigte Partei wesentlich verstärkt hatten
und endlich eine starke Mehrheitsregierung möglich zu machen schienen, Anfangs
April plötzlich seine Entlassung erhielt, lag der Gedanke nahe, daß ihr Motive
der auswärtigen Politik zu Grund liegen. Ebendamals war der luxemburger
Conflict in sein brennendes Stadium getreten, Frankreich sah sich nach Ver¬
bündeten um, und es schien nicht zweifelhaft, durch welche Einflüsse eben jetzt
die feste Säule der preußischen Allianz gestürzt und durch den geschmeidigen,
Frankreich geneigten Rivalen ersetzt worden. Und schlimm genug war es aller¬
dings, daß damals die Frage der italienischen Heeresfolge überhaupt öffentlich
aufgeworfen wurde, daß in Italien -- wir sagen nicht, die Dienste Preußens
so weit vergessen wurden, -- denn die Politik kennt keine Dankbarkeit -- ober
die precäre Lage der inneren Zustände so sehr vergessen wurde, daß man ernst¬
haft die Theilnahme an einem Krieg erörterte, von dem Italien alle Gründe
hatte wegzubleiben. Es war auch ohne Frage für Deutschland höchst unerwünscht,
daß in diesem Augenblick der befreundete Posten in Italien verloren ging.
Dennoch lagen die Gründe für den Ministerwechsel unzweifelhaft in den inneren
Veihältnissen.

Es war Ricasoli nicht gelungen sein Cavinet. wie er gewünscht hatte, aus
den Parteien der Kammer zu verstärken. Er trug zum Theil selbst die Schuld
durch das wenig geschickte Decret. durch das er sich eine dominirende Stellung


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einen Stadt in die andere kam, mußte sich in eine andere Welt verseht glauben,
er war Zeuge von Gegensätzen, die durch Jahrhunderte getrennt schienen. Und
wer diese beiden Heerlager sah, der brauchte nicht mehr lange zu fragen, in
welchem Stadium sich zur Zeit die römische Frage befinde. Die Gegensatze
sind so reinlich abgegrenzt als je. Der Gedanke einer Aussöhnung zwischen
Italien und dem Papstthum, seit Cavour die Richtschnur der officiellen Politik
Italiens, ist verflogen, das Programm der freien Kirche im freien Staat, nach¬
dem man nichts damit erreicht hat, aufgegeben — ob für immer, das ist eine
andere Frage.

Die letzten Verhandlungen der italienischen Kammer bedeuten nichts Ge¬
ringeres als eine radicale Wendung der italienischen Politik gegenüber von
Rom. Vielleicht hat grade die Feier des Centenariums dazu beigetragen, diese
Wendung zur Reise zu bringen oder so ausgesprochen hervortreten zu lassen.
Denn jenes Fest war ein feierliches Zeugniß, daß nicht blos das Papstthum,
sondern die Kirche in der Totalität des Episcopats nicht einen Fuß breit der
neuen Zeit zu opfern gedenke, und die Wukung auf die italienische Kammer
konnte nicht ausbleiben. Dennoch war die Wendung seit längerer Zeit vor¬
bereitet und vorauszusehen. Sie war schon mit dem Sturz Ricasolis ent¬
schieden.

Als Ricasoli ohne durch ein Votum der Kammer gedrängt zu sein, viel¬
mehr nach Neuwahlen, welche die gemäßigte Partei wesentlich verstärkt hatten
und endlich eine starke Mehrheitsregierung möglich zu machen schienen, Anfangs
April plötzlich seine Entlassung erhielt, lag der Gedanke nahe, daß ihr Motive
der auswärtigen Politik zu Grund liegen. Ebendamals war der luxemburger
Conflict in sein brennendes Stadium getreten, Frankreich sah sich nach Ver¬
bündeten um, und es schien nicht zweifelhaft, durch welche Einflüsse eben jetzt
die feste Säule der preußischen Allianz gestürzt und durch den geschmeidigen,
Frankreich geneigten Rivalen ersetzt worden. Und schlimm genug war es aller¬
dings, daß damals die Frage der italienischen Heeresfolge überhaupt öffentlich
aufgeworfen wurde, daß in Italien — wir sagen nicht, die Dienste Preußens
so weit vergessen wurden, — denn die Politik kennt keine Dankbarkeit — ober
die precäre Lage der inneren Zustände so sehr vergessen wurde, daß man ernst¬
haft die Theilnahme an einem Krieg erörterte, von dem Italien alle Gründe
hatte wegzubleiben. Es war auch ohne Frage für Deutschland höchst unerwünscht,
daß in diesem Augenblick der befreundete Posten in Italien verloren ging.
Dennoch lagen die Gründe für den Ministerwechsel unzweifelhaft in den inneren
Veihältnissen.

Es war Ricasoli nicht gelungen sein Cavinet. wie er gewünscht hatte, aus
den Parteien der Kammer zu verstärken. Er trug zum Theil selbst die Schuld
durch das wenig geschickte Decret. durch das er sich eine dominirende Stellung


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[0269] einen Stadt in die andere kam, mußte sich in eine andere Welt verseht glauben, er war Zeuge von Gegensätzen, die durch Jahrhunderte getrennt schienen. Und wer diese beiden Heerlager sah, der brauchte nicht mehr lange zu fragen, in welchem Stadium sich zur Zeit die römische Frage befinde. Die Gegensatze sind so reinlich abgegrenzt als je. Der Gedanke einer Aussöhnung zwischen Italien und dem Papstthum, seit Cavour die Richtschnur der officiellen Politik Italiens, ist verflogen, das Programm der freien Kirche im freien Staat, nach¬ dem man nichts damit erreicht hat, aufgegeben — ob für immer, das ist eine andere Frage. Die letzten Verhandlungen der italienischen Kammer bedeuten nichts Ge¬ ringeres als eine radicale Wendung der italienischen Politik gegenüber von Rom. Vielleicht hat grade die Feier des Centenariums dazu beigetragen, diese Wendung zur Reise zu bringen oder so ausgesprochen hervortreten zu lassen. Denn jenes Fest war ein feierliches Zeugniß, daß nicht blos das Papstthum, sondern die Kirche in der Totalität des Episcopats nicht einen Fuß breit der neuen Zeit zu opfern gedenke, und die Wukung auf die italienische Kammer konnte nicht ausbleiben. Dennoch war die Wendung seit längerer Zeit vor¬ bereitet und vorauszusehen. Sie war schon mit dem Sturz Ricasolis ent¬ schieden. Als Ricasoli ohne durch ein Votum der Kammer gedrängt zu sein, viel¬ mehr nach Neuwahlen, welche die gemäßigte Partei wesentlich verstärkt hatten und endlich eine starke Mehrheitsregierung möglich zu machen schienen, Anfangs April plötzlich seine Entlassung erhielt, lag der Gedanke nahe, daß ihr Motive der auswärtigen Politik zu Grund liegen. Ebendamals war der luxemburger Conflict in sein brennendes Stadium getreten, Frankreich sah sich nach Ver¬ bündeten um, und es schien nicht zweifelhaft, durch welche Einflüsse eben jetzt die feste Säule der preußischen Allianz gestürzt und durch den geschmeidigen, Frankreich geneigten Rivalen ersetzt worden. Und schlimm genug war es aller¬ dings, daß damals die Frage der italienischen Heeresfolge überhaupt öffentlich aufgeworfen wurde, daß in Italien — wir sagen nicht, die Dienste Preußens so weit vergessen wurden, — denn die Politik kennt keine Dankbarkeit — ober die precäre Lage der inneren Zustände so sehr vergessen wurde, daß man ernst¬ haft die Theilnahme an einem Krieg erörterte, von dem Italien alle Gründe hatte wegzubleiben. Es war auch ohne Frage für Deutschland höchst unerwünscht, daß in diesem Augenblick der befreundete Posten in Italien verloren ging. Dennoch lagen die Gründe für den Ministerwechsel unzweifelhaft in den inneren Veihältnissen. Es war Ricasoli nicht gelungen sein Cavinet. wie er gewünscht hatte, aus den Parteien der Kammer zu verstärken. Er trug zum Theil selbst die Schuld durch das wenig geschickte Decret. durch das er sich eine dominirende Stellung 3»*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/269>, abgerufen am 15.01.2025.