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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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"Wäre unsere Lage eine von den alltäglichen, in der man mit der Mittel¬
mäßigkeit ausreicht, und von der wenig Aufhebens und Gciede gemacht wird,
so würde auch von Dir nichts Ungewöhnliches verlangt werden, nichts, was
man nicht auch von jedem beliebigen Andern fordern dürste. So aber hat uns der
Glanz und die Größe der Thaten, wozu uns die Umstände herausforderten,
in ein solches Licht gestellt, daß wenn es nicht gelingt, durch gute Verwaltung
der neu annectirten Provinz den höchsten Ruhm zu ernten, wir kaum der
tiefsten Schande entgehn können. Denn unsere Lage ist die. daß alle Guten
uns zwar wohlwollen, aber dafür auch den äußersten Grad der Sorgfalt und
Tüchtigkeit von uns sowohl fordern, als auch erwarten, daß dagegen die
Schlechten (deren unauslöschlichen Haß wir uns durch unsere Thaten aus ewig
zugezogen haben), schon viel gewonnen zu haben glauben, wenn wir ihrer Ta¬
delsucht auch nur die allergeringste Blöße geben. Weil Du nun aber einmal
auf einer Schaubühne stehst, von solcher Berühmtheit, von solcher Größe, vor
einem so urtheilsfähigem Publikum, und so merkwürdig akustisch gebaut, daß
Klatschen und Pfeifen bis Rom schallt, so schaffe und strebe, ich bitte Dich, daß
Du Dich nicht nur aller Vorzüge dieser Stellung würdig erweisest, sondern sie
alle sogar noch durch Deine Kunst überstrahlst. Und da der Zufall mir meinen
Posten in der Hauptstadt an der Spitze der Staatsgeschäfte, Dir aber den Dei¬
nen in der neu annectirten Provinz angewiesen hat, so sieh zu, daß. während
meine Rolle hinter keiner zurücksteht. Du Deinesgleichen übertriffst. Zugleich
bedenke auch wohl, daß wir nicht erst nach einem zu erhoffenden Ruhme ringen,
sondern den errungenen zu behaupten haben, und da ß< wenn wir-ihn nicht
zu behaupten verstünden, wir lieber nicht darnach hätten trach¬
ten sollen."

Klingts nicht beinahe, wie die Ermahnung Blüchers an die "Fedcrfuxer"
-- so beliebte der würdige alte Herr statt "Federfuchser" zu schreiben, -- sie
möchten nicht durch ihre Praktiken wieder verscherzen, was das tapfere Schwert
im Kriege errungen?

Der große Marcus schreibt weiter an den kleinen Quintus: "Dein Posten
ist kein solcher, wo Zufall oder Routine entscheidet; hier muß Genie und un¬
verdrossener Fleiß alles verrichten. Dem Ungefähr ist wenig oder nichts über-
lassen, und alles scheint mir einzig von Deiner Weisheit und Deiner Tüchtig¬
keit abzuhängen. Du hast Dich in Deiner Provinz von Anfang an der
tiefsten Ruhe zu erfreuen gehabt; aber während diese Stille dem wachsamen
Steuermann nützt, kann sie dem schlafenden oder berauschten verderblich
werden. Die Leute, mit welchen Du zu thun hast, zählen zu einem Volks¬
stamme (Griechen), der zu den humanster und gebildetsten gehört und dem wir
unsere Cultur verdanken."*)



'1 Wie sie in Deutschland der sächsische Stamm dem fränkischen verdankt, welcher letztere
Preußen auch,seinen Regenerator, Stein, gegeben hat.

„Wäre unsere Lage eine von den alltäglichen, in der man mit der Mittel¬
mäßigkeit ausreicht, und von der wenig Aufhebens und Gciede gemacht wird,
so würde auch von Dir nichts Ungewöhnliches verlangt werden, nichts, was
man nicht auch von jedem beliebigen Andern fordern dürste. So aber hat uns der
Glanz und die Größe der Thaten, wozu uns die Umstände herausforderten,
in ein solches Licht gestellt, daß wenn es nicht gelingt, durch gute Verwaltung
der neu annectirten Provinz den höchsten Ruhm zu ernten, wir kaum der
tiefsten Schande entgehn können. Denn unsere Lage ist die. daß alle Guten
uns zwar wohlwollen, aber dafür auch den äußersten Grad der Sorgfalt und
Tüchtigkeit von uns sowohl fordern, als auch erwarten, daß dagegen die
Schlechten (deren unauslöschlichen Haß wir uns durch unsere Thaten aus ewig
zugezogen haben), schon viel gewonnen zu haben glauben, wenn wir ihrer Ta¬
delsucht auch nur die allergeringste Blöße geben. Weil Du nun aber einmal
auf einer Schaubühne stehst, von solcher Berühmtheit, von solcher Größe, vor
einem so urtheilsfähigem Publikum, und so merkwürdig akustisch gebaut, daß
Klatschen und Pfeifen bis Rom schallt, so schaffe und strebe, ich bitte Dich, daß
Du Dich nicht nur aller Vorzüge dieser Stellung würdig erweisest, sondern sie
alle sogar noch durch Deine Kunst überstrahlst. Und da der Zufall mir meinen
Posten in der Hauptstadt an der Spitze der Staatsgeschäfte, Dir aber den Dei¬
nen in der neu annectirten Provinz angewiesen hat, so sieh zu, daß. während
meine Rolle hinter keiner zurücksteht. Du Deinesgleichen übertriffst. Zugleich
bedenke auch wohl, daß wir nicht erst nach einem zu erhoffenden Ruhme ringen,
sondern den errungenen zu behaupten haben, und da ß< wenn wir-ihn nicht
zu behaupten verstünden, wir lieber nicht darnach hätten trach¬
ten sollen."

Klingts nicht beinahe, wie die Ermahnung Blüchers an die „Fedcrfuxer"
— so beliebte der würdige alte Herr statt „Federfuchser" zu schreiben, — sie
möchten nicht durch ihre Praktiken wieder verscherzen, was das tapfere Schwert
im Kriege errungen?

Der große Marcus schreibt weiter an den kleinen Quintus: „Dein Posten
ist kein solcher, wo Zufall oder Routine entscheidet; hier muß Genie und un¬
verdrossener Fleiß alles verrichten. Dem Ungefähr ist wenig oder nichts über-
lassen, und alles scheint mir einzig von Deiner Weisheit und Deiner Tüchtig¬
keit abzuhängen. Du hast Dich in Deiner Provinz von Anfang an der
tiefsten Ruhe zu erfreuen gehabt; aber während diese Stille dem wachsamen
Steuermann nützt, kann sie dem schlafenden oder berauschten verderblich
werden. Die Leute, mit welchen Du zu thun hast, zählen zu einem Volks¬
stamme (Griechen), der zu den humanster und gebildetsten gehört und dem wir
unsere Cultur verdanken."*)



'1 Wie sie in Deutschland der sächsische Stamm dem fränkischen verdankt, welcher letztere
Preußen auch,seinen Regenerator, Stein, gegeben hat.
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[0244] „Wäre unsere Lage eine von den alltäglichen, in der man mit der Mittel¬ mäßigkeit ausreicht, und von der wenig Aufhebens und Gciede gemacht wird, so würde auch von Dir nichts Ungewöhnliches verlangt werden, nichts, was man nicht auch von jedem beliebigen Andern fordern dürste. So aber hat uns der Glanz und die Größe der Thaten, wozu uns die Umstände herausforderten, in ein solches Licht gestellt, daß wenn es nicht gelingt, durch gute Verwaltung der neu annectirten Provinz den höchsten Ruhm zu ernten, wir kaum der tiefsten Schande entgehn können. Denn unsere Lage ist die. daß alle Guten uns zwar wohlwollen, aber dafür auch den äußersten Grad der Sorgfalt und Tüchtigkeit von uns sowohl fordern, als auch erwarten, daß dagegen die Schlechten (deren unauslöschlichen Haß wir uns durch unsere Thaten aus ewig zugezogen haben), schon viel gewonnen zu haben glauben, wenn wir ihrer Ta¬ delsucht auch nur die allergeringste Blöße geben. Weil Du nun aber einmal auf einer Schaubühne stehst, von solcher Berühmtheit, von solcher Größe, vor einem so urtheilsfähigem Publikum, und so merkwürdig akustisch gebaut, daß Klatschen und Pfeifen bis Rom schallt, so schaffe und strebe, ich bitte Dich, daß Du Dich nicht nur aller Vorzüge dieser Stellung würdig erweisest, sondern sie alle sogar noch durch Deine Kunst überstrahlst. Und da der Zufall mir meinen Posten in der Hauptstadt an der Spitze der Staatsgeschäfte, Dir aber den Dei¬ nen in der neu annectirten Provinz angewiesen hat, so sieh zu, daß. während meine Rolle hinter keiner zurücksteht. Du Deinesgleichen übertriffst. Zugleich bedenke auch wohl, daß wir nicht erst nach einem zu erhoffenden Ruhme ringen, sondern den errungenen zu behaupten haben, und da ß< wenn wir-ihn nicht zu behaupten verstünden, wir lieber nicht darnach hätten trach¬ ten sollen." Klingts nicht beinahe, wie die Ermahnung Blüchers an die „Fedcrfuxer" — so beliebte der würdige alte Herr statt „Federfuchser" zu schreiben, — sie möchten nicht durch ihre Praktiken wieder verscherzen, was das tapfere Schwert im Kriege errungen? Der große Marcus schreibt weiter an den kleinen Quintus: „Dein Posten ist kein solcher, wo Zufall oder Routine entscheidet; hier muß Genie und un¬ verdrossener Fleiß alles verrichten. Dem Ungefähr ist wenig oder nichts über- lassen, und alles scheint mir einzig von Deiner Weisheit und Deiner Tüchtig¬ keit abzuhängen. Du hast Dich in Deiner Provinz von Anfang an der tiefsten Ruhe zu erfreuen gehabt; aber während diese Stille dem wachsamen Steuermann nützt, kann sie dem schlafenden oder berauschten verderblich werden. Die Leute, mit welchen Du zu thun hast, zählen zu einem Volks¬ stamme (Griechen), der zu den humanster und gebildetsten gehört und dem wir unsere Cultur verdanken."*) '1 Wie sie in Deutschland der sächsische Stamm dem fränkischen verdankt, welcher letztere Preußen auch,seinen Regenerator, Stein, gegeben hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/244>, abgerufen am 15.01.2025.