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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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daß, soweit meine Erfahrung reicht, dieser Glaube hauptsächlich nur bei den"
jenigen herrscht, welche weder Griechisch noch Latein verstehen; und da bei Ihnen
das Gegentheil der Fall ist, so werde ich auf Ihre Erlaubniß, von Cicero
reden zu dürfen, rechnen können.

Im Jahre 694 nach Erbauung der Stadt machte Marcus Tullius Cicero
in Rom die große Politik, sein Bruder Quintus aber war seit zwei Jahren
Civilcommisscir in der neu annectuten Provinz Asien, in welcher die griechi¬
sche Bevölkerung die an Intelligenz und Besitz vorherrschende war. Der Bruder
Quintus war grade kein böser Mensch, aber jedenfalls ein sehr eitler und mit¬
telmäßiger. Der glänzende Stern des Marcus hatte ihn aus einer subalternen
Stellung an die Spitze einer blühenden und hochcultivirten Provinz berufen,
aber er war der Aufgabe, sie zu regieren, nicht recht gewachsen. Er verstand
die Griechen nicht und behandelte sie mit der Hoffart eines Parvenü; daneben
war er den plumpsten Schmeicheleien zugänglich; er litt ein wenig an der
Monomanie des Kranävurs, an der Tollheit des Masaniello; er beförderte
unwürdige Günstlinge, und sein Ruf litt unter dem Mißverhaltcn. Ja selbst
der Ruf seines großen Bruders, der damals so recht irr a,seonclento clomo war.
begann ein wenig angefressen zu werden. Die Wechselwirkungen wogten da¬
mals schon zwischen Rom und Halicarnassus, wie heute zwischen Frankfurt a. M.
und Berlin.

Marcus hatte mit Goethe die Gewohnheit gemein, sich seine Sorgen vom
Leibe zu schreiben. Er richtete daber an seinen Bruder Quintus einen, nach
heutigem Maße gemessen, wenigstens zwanzig Bogen langen Brief, worin er
ihm Rathschläge giebt, wie er sich bessern solle. Der Brief ist dictirt von brü¬
derlicher Liebe wohl, aber gewiß auch von der Besorgnis,, daß das Ansehn des
Staats und des begabteren Bruders Stellung unter den Mißgriffen des eiteln
Quintus leiden könne. Wenigstens circulirten in Rom damals Abschriften
dieser langen Epistel; und aus diesem Umstände dürfte zu schließen sein, daß
es dem Briefsteller wenigstens nicht grade unangenehm war, wenn seine Mit¬
bürger erfuhren, daß er nicht solidarisch hafte für seinen Bruder, daß er diesem
Mores gelesen, und daß. wenn dennoch das Brüderchen dumme Streiche mache,
er (Marcus) wenigstens nicht daran Schuld sei. Das mochte denn wohl ein
Trost für die Römer sein. Für die Griechen in Kleinasien war es ebensowenig
einer, als wenn wir die Versicherung erhielten. Graf Bismarck sei mit dem
Verhalten des Herrn von Dingskirchen nicht einverstanden.

Graf Bismarck also, -- nicht doch: ich bitte um Entschuldigung für meinen
I^psus ealami - ich wollte sagen: Marcus Tullius Cicero, schreibt *) an
seinen Bruder Quintus, Civilcommisscir in Kleinasien, wie folgt:



') Ich übersehe möglichst wörtlich. Das Original finden Sie in Cicero. oM. "c,
Huintum I'rstrsm, ub, I. svisto!", I. -- eclitio ^kams, x"?- 289. ".
Grenzboten III. 1867.

daß, soweit meine Erfahrung reicht, dieser Glaube hauptsächlich nur bei den«
jenigen herrscht, welche weder Griechisch noch Latein verstehen; und da bei Ihnen
das Gegentheil der Fall ist, so werde ich auf Ihre Erlaubniß, von Cicero
reden zu dürfen, rechnen können.

Im Jahre 694 nach Erbauung der Stadt machte Marcus Tullius Cicero
in Rom die große Politik, sein Bruder Quintus aber war seit zwei Jahren
Civilcommisscir in der neu annectuten Provinz Asien, in welcher die griechi¬
sche Bevölkerung die an Intelligenz und Besitz vorherrschende war. Der Bruder
Quintus war grade kein böser Mensch, aber jedenfalls ein sehr eitler und mit¬
telmäßiger. Der glänzende Stern des Marcus hatte ihn aus einer subalternen
Stellung an die Spitze einer blühenden und hochcultivirten Provinz berufen,
aber er war der Aufgabe, sie zu regieren, nicht recht gewachsen. Er verstand
die Griechen nicht und behandelte sie mit der Hoffart eines Parvenü; daneben
war er den plumpsten Schmeicheleien zugänglich; er litt ein wenig an der
Monomanie des Kranävurs, an der Tollheit des Masaniello; er beförderte
unwürdige Günstlinge, und sein Ruf litt unter dem Mißverhaltcn. Ja selbst
der Ruf seines großen Bruders, der damals so recht irr a,seonclento clomo war.
begann ein wenig angefressen zu werden. Die Wechselwirkungen wogten da¬
mals schon zwischen Rom und Halicarnassus, wie heute zwischen Frankfurt a. M.
und Berlin.

Marcus hatte mit Goethe die Gewohnheit gemein, sich seine Sorgen vom
Leibe zu schreiben. Er richtete daber an seinen Bruder Quintus einen, nach
heutigem Maße gemessen, wenigstens zwanzig Bogen langen Brief, worin er
ihm Rathschläge giebt, wie er sich bessern solle. Der Brief ist dictirt von brü¬
derlicher Liebe wohl, aber gewiß auch von der Besorgnis,, daß das Ansehn des
Staats und des begabteren Bruders Stellung unter den Mißgriffen des eiteln
Quintus leiden könne. Wenigstens circulirten in Rom damals Abschriften
dieser langen Epistel; und aus diesem Umstände dürfte zu schließen sein, daß
es dem Briefsteller wenigstens nicht grade unangenehm war, wenn seine Mit¬
bürger erfuhren, daß er nicht solidarisch hafte für seinen Bruder, daß er diesem
Mores gelesen, und daß. wenn dennoch das Brüderchen dumme Streiche mache,
er (Marcus) wenigstens nicht daran Schuld sei. Das mochte denn wohl ein
Trost für die Römer sein. Für die Griechen in Kleinasien war es ebensowenig
einer, als wenn wir die Versicherung erhielten. Graf Bismarck sei mit dem
Verhalten des Herrn von Dingskirchen nicht einverstanden.

Graf Bismarck also, — nicht doch: ich bitte um Entschuldigung für meinen
I^psus ealami - ich wollte sagen: Marcus Tullius Cicero, schreibt *) an
seinen Bruder Quintus, Civilcommisscir in Kleinasien, wie folgt:



') Ich übersehe möglichst wörtlich. Das Original finden Sie in Cicero. oM. »c,
Huintum I'rstrsm, ub, I. svisto!», I. — eclitio ^kams, x»?- 289. ».
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[0243] daß, soweit meine Erfahrung reicht, dieser Glaube hauptsächlich nur bei den« jenigen herrscht, welche weder Griechisch noch Latein verstehen; und da bei Ihnen das Gegentheil der Fall ist, so werde ich auf Ihre Erlaubniß, von Cicero reden zu dürfen, rechnen können. Im Jahre 694 nach Erbauung der Stadt machte Marcus Tullius Cicero in Rom die große Politik, sein Bruder Quintus aber war seit zwei Jahren Civilcommisscir in der neu annectuten Provinz Asien, in welcher die griechi¬ sche Bevölkerung die an Intelligenz und Besitz vorherrschende war. Der Bruder Quintus war grade kein böser Mensch, aber jedenfalls ein sehr eitler und mit¬ telmäßiger. Der glänzende Stern des Marcus hatte ihn aus einer subalternen Stellung an die Spitze einer blühenden und hochcultivirten Provinz berufen, aber er war der Aufgabe, sie zu regieren, nicht recht gewachsen. Er verstand die Griechen nicht und behandelte sie mit der Hoffart eines Parvenü; daneben war er den plumpsten Schmeicheleien zugänglich; er litt ein wenig an der Monomanie des Kranävurs, an der Tollheit des Masaniello; er beförderte unwürdige Günstlinge, und sein Ruf litt unter dem Mißverhaltcn. Ja selbst der Ruf seines großen Bruders, der damals so recht irr a,seonclento clomo war. begann ein wenig angefressen zu werden. Die Wechselwirkungen wogten da¬ mals schon zwischen Rom und Halicarnassus, wie heute zwischen Frankfurt a. M. und Berlin. Marcus hatte mit Goethe die Gewohnheit gemein, sich seine Sorgen vom Leibe zu schreiben. Er richtete daber an seinen Bruder Quintus einen, nach heutigem Maße gemessen, wenigstens zwanzig Bogen langen Brief, worin er ihm Rathschläge giebt, wie er sich bessern solle. Der Brief ist dictirt von brü¬ derlicher Liebe wohl, aber gewiß auch von der Besorgnis,, daß das Ansehn des Staats und des begabteren Bruders Stellung unter den Mißgriffen des eiteln Quintus leiden könne. Wenigstens circulirten in Rom damals Abschriften dieser langen Epistel; und aus diesem Umstände dürfte zu schließen sein, daß es dem Briefsteller wenigstens nicht grade unangenehm war, wenn seine Mit¬ bürger erfuhren, daß er nicht solidarisch hafte für seinen Bruder, daß er diesem Mores gelesen, und daß. wenn dennoch das Brüderchen dumme Streiche mache, er (Marcus) wenigstens nicht daran Schuld sei. Das mochte denn wohl ein Trost für die Römer sein. Für die Griechen in Kleinasien war es ebensowenig einer, als wenn wir die Versicherung erhielten. Graf Bismarck sei mit dem Verhalten des Herrn von Dingskirchen nicht einverstanden. Graf Bismarck also, — nicht doch: ich bitte um Entschuldigung für meinen I^psus ealami - ich wollte sagen: Marcus Tullius Cicero, schreibt *) an seinen Bruder Quintus, Civilcommisscir in Kleinasien, wie folgt: ') Ich übersehe möglichst wörtlich. Das Original finden Sie in Cicero. oM. »c, Huintum I'rstrsm, ub, I. svisto!», I. — eclitio ^kams, x»?- 289. ». Grenzboten III. 1867.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/243>, abgerufen am 15.01.2025.