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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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einige Zweifel, ob aus gewissen Acten etwas zu lernen ist. Denn ich habe
mich überzeugt, daß die Art ihrer Fabrikation in vielen Fällen einfach folgende
ist: Wenn die Negierung eine Erhebung machen will, so erläßt sie ein Circular
an die Amtmänner. Jeder Amtmann in seinem Amtsbezirk läßt das Circular
vervielfältigt an seine Bürgermeister und Dorfschulzen gehn. Die letzteren beauf¬
tragen in Betreff des Gegenstandes, worüber sie Bericht erstatten sollen, jene
obrigkeitliche Person, welche bei Tag als Gcmcindediener, bei Nacht als Nacht¬
wächter, in sonstigen Mußestunden als Maulwurfsfänger oder dergleichen fungirt,
mit den erforderlichen Nachforschungen. Auf den Grund seines Rapports be¬
richtet der Dorfschulze ans Amt. Letzteres stellt die Berichte zusammen und
legt sie der Regierung vor und diese bearbeitet sie dann zu einem Expose-, bei
welchem alles auf die Fähigkeit und die Glaubwürdigkeit besagten Maulwurfs¬
fängers ankommt, durch dessen Brille alle Andern zu sehen genöthigt sind. Denn
"(Zuoä non oft in g>cels, iron est irr mruräo l"

Ich will nicht sagen, daß es in allen Fällen so ist. Aber es ist nicht immer
anders.

Nach Durchlcsung dieser Acten seht sich der Geheimrath Abends um acht
Uhr in Berlin auf die Eisenbahn. Er kommt um 11 Uhr Morgens hier an.
Die Beamten, welche er consultiren will, stehen bereits auf Relais. Er
conferirt mit ihnen. Beide Theile verstehen einander nicht immer. Denn jedes
Land hat seine eigne Kanzleisprache. Hier sagt man Referent -- dort Decernent;
hier Consolidation, dort Reparation; hier Conscription -- dort Aushebung;
hier Nekrutirungsrath, dort Ersatzcommission u. s. w. Außer den Beamten wird
niemand gefragt. Unter dem Depossedirten war aber eine solche Kluft zwischen
Negierung und Land, daß man sicher war, der Beamte war allemal der ent¬
gegengesetzten Meinung, wie der Bürger. Vielleicht ist es heute noch so.

Als der preußische Civilcommissär von dem Lande Besitz ergriff, erließ er
eine feierliche Proclamation. Ich habe sie über meinem Schreibtisch an die
Wand genagelt und lese sie öfters zur Erinnerung und zum Trost. Sie ver¬
spricht uns "hellere Tage" und ertheilt die tröstliche Versicherung: "Die Occu-
pation des Landes ist nicht gegen die Bevölkerung, sondern gegen die bis¬
herige Regierung gerichtet".

Gegenwärtig aber wird die Bevölkerung nicht mehr gefragt. Einen
Landtag oder eine sonstige Vertretung giebt's nicht mehr. Die Kammern stehn
uns noch nicht offen. Der Geheimrath befragt unsere Gegner, die Mitglieder
der bisherigen Negierung. -- uns nicht. Dann kehrt er alsbald nach Berlin
zurück. Dann kommt die Verordnung. Es liegt mir ferne, hier gegen die
Geheimräthe im Allgemeinen oder gegen Einen derselben insbesondere einen
Persönlichen Krieg anfangen zu wollen. Ich habe welche kennen gelernt, welche
mir an Fähigkeit, Kenntniß, praktischem Geschick und Patriotismus wahre Vor"


einige Zweifel, ob aus gewissen Acten etwas zu lernen ist. Denn ich habe
mich überzeugt, daß die Art ihrer Fabrikation in vielen Fällen einfach folgende
ist: Wenn die Negierung eine Erhebung machen will, so erläßt sie ein Circular
an die Amtmänner. Jeder Amtmann in seinem Amtsbezirk läßt das Circular
vervielfältigt an seine Bürgermeister und Dorfschulzen gehn. Die letzteren beauf¬
tragen in Betreff des Gegenstandes, worüber sie Bericht erstatten sollen, jene
obrigkeitliche Person, welche bei Tag als Gcmcindediener, bei Nacht als Nacht¬
wächter, in sonstigen Mußestunden als Maulwurfsfänger oder dergleichen fungirt,
mit den erforderlichen Nachforschungen. Auf den Grund seines Rapports be¬
richtet der Dorfschulze ans Amt. Letzteres stellt die Berichte zusammen und
legt sie der Regierung vor und diese bearbeitet sie dann zu einem Expose-, bei
welchem alles auf die Fähigkeit und die Glaubwürdigkeit besagten Maulwurfs¬
fängers ankommt, durch dessen Brille alle Andern zu sehen genöthigt sind. Denn
„(Zuoä non oft in g>cels, iron est irr mruräo l"

Ich will nicht sagen, daß es in allen Fällen so ist. Aber es ist nicht immer
anders.

Nach Durchlcsung dieser Acten seht sich der Geheimrath Abends um acht
Uhr in Berlin auf die Eisenbahn. Er kommt um 11 Uhr Morgens hier an.
Die Beamten, welche er consultiren will, stehen bereits auf Relais. Er
conferirt mit ihnen. Beide Theile verstehen einander nicht immer. Denn jedes
Land hat seine eigne Kanzleisprache. Hier sagt man Referent — dort Decernent;
hier Consolidation, dort Reparation; hier Conscription — dort Aushebung;
hier Nekrutirungsrath, dort Ersatzcommission u. s. w. Außer den Beamten wird
niemand gefragt. Unter dem Depossedirten war aber eine solche Kluft zwischen
Negierung und Land, daß man sicher war, der Beamte war allemal der ent¬
gegengesetzten Meinung, wie der Bürger. Vielleicht ist es heute noch so.

Als der preußische Civilcommissär von dem Lande Besitz ergriff, erließ er
eine feierliche Proclamation. Ich habe sie über meinem Schreibtisch an die
Wand genagelt und lese sie öfters zur Erinnerung und zum Trost. Sie ver¬
spricht uns „hellere Tage" und ertheilt die tröstliche Versicherung: „Die Occu-
pation des Landes ist nicht gegen die Bevölkerung, sondern gegen die bis¬
herige Regierung gerichtet".

Gegenwärtig aber wird die Bevölkerung nicht mehr gefragt. Einen
Landtag oder eine sonstige Vertretung giebt's nicht mehr. Die Kammern stehn
uns noch nicht offen. Der Geheimrath befragt unsere Gegner, die Mitglieder
der bisherigen Negierung. — uns nicht. Dann kehrt er alsbald nach Berlin
zurück. Dann kommt die Verordnung. Es liegt mir ferne, hier gegen die
Geheimräthe im Allgemeinen oder gegen Einen derselben insbesondere einen
Persönlichen Krieg anfangen zu wollen. Ich habe welche kennen gelernt, welche
mir an Fähigkeit, Kenntniß, praktischem Geschick und Patriotismus wahre Vor«


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[0241] einige Zweifel, ob aus gewissen Acten etwas zu lernen ist. Denn ich habe mich überzeugt, daß die Art ihrer Fabrikation in vielen Fällen einfach folgende ist: Wenn die Negierung eine Erhebung machen will, so erläßt sie ein Circular an die Amtmänner. Jeder Amtmann in seinem Amtsbezirk läßt das Circular vervielfältigt an seine Bürgermeister und Dorfschulzen gehn. Die letzteren beauf¬ tragen in Betreff des Gegenstandes, worüber sie Bericht erstatten sollen, jene obrigkeitliche Person, welche bei Tag als Gcmcindediener, bei Nacht als Nacht¬ wächter, in sonstigen Mußestunden als Maulwurfsfänger oder dergleichen fungirt, mit den erforderlichen Nachforschungen. Auf den Grund seines Rapports be¬ richtet der Dorfschulze ans Amt. Letzteres stellt die Berichte zusammen und legt sie der Regierung vor und diese bearbeitet sie dann zu einem Expose-, bei welchem alles auf die Fähigkeit und die Glaubwürdigkeit besagten Maulwurfs¬ fängers ankommt, durch dessen Brille alle Andern zu sehen genöthigt sind. Denn „(Zuoä non oft in g>cels, iron est irr mruräo l" Ich will nicht sagen, daß es in allen Fällen so ist. Aber es ist nicht immer anders. Nach Durchlcsung dieser Acten seht sich der Geheimrath Abends um acht Uhr in Berlin auf die Eisenbahn. Er kommt um 11 Uhr Morgens hier an. Die Beamten, welche er consultiren will, stehen bereits auf Relais. Er conferirt mit ihnen. Beide Theile verstehen einander nicht immer. Denn jedes Land hat seine eigne Kanzleisprache. Hier sagt man Referent — dort Decernent; hier Consolidation, dort Reparation; hier Conscription — dort Aushebung; hier Nekrutirungsrath, dort Ersatzcommission u. s. w. Außer den Beamten wird niemand gefragt. Unter dem Depossedirten war aber eine solche Kluft zwischen Negierung und Land, daß man sicher war, der Beamte war allemal der ent¬ gegengesetzten Meinung, wie der Bürger. Vielleicht ist es heute noch so. Als der preußische Civilcommissär von dem Lande Besitz ergriff, erließ er eine feierliche Proclamation. Ich habe sie über meinem Schreibtisch an die Wand genagelt und lese sie öfters zur Erinnerung und zum Trost. Sie ver¬ spricht uns „hellere Tage" und ertheilt die tröstliche Versicherung: „Die Occu- pation des Landes ist nicht gegen die Bevölkerung, sondern gegen die bis¬ herige Regierung gerichtet". Gegenwärtig aber wird die Bevölkerung nicht mehr gefragt. Einen Landtag oder eine sonstige Vertretung giebt's nicht mehr. Die Kammern stehn uns noch nicht offen. Der Geheimrath befragt unsere Gegner, die Mitglieder der bisherigen Negierung. — uns nicht. Dann kehrt er alsbald nach Berlin zurück. Dann kommt die Verordnung. Es liegt mir ferne, hier gegen die Geheimräthe im Allgemeinen oder gegen Einen derselben insbesondere einen Persönlichen Krieg anfangen zu wollen. Ich habe welche kennen gelernt, welche mir an Fähigkeit, Kenntniß, praktischem Geschick und Patriotismus wahre Vor«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/241>, abgerufen am 15.01.2025.