Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

allen denjenigen Erscheinungen, welche nach rechts und nach links aus dem
festen Rahmen der kirchlichen Ordnung herausstrebten und entweder hinter dem
abgeschlossenen Compromiß zurückblieben, oder in erneuten Bildungen die alten
Gegensähe verschärfen wollten. Es hieß gleichsam das Siegel unter den Frie-
densvertrag drücken, wenn man jetzt Petrusbricfe in Umlauf setzte (die in unserem
Kanon befindlichen), in welchen der angebliche Verfasser den Paulus förmlich
als seinen lieben Bruder anerkennt und sorgsam dem Lorurtheil zu begegnen
sucht, das Manche noch gegen dessen Briefe hegen mochten.

Am Ende des zweiten Jahrhunderts sehen wir diesen Proceß vollendet.
Durch gegenseitige Annäherung war die Einheit der Lehre gewonnen, und um
sie zu erhalten, wurde sie unter den Schutz einer centralisirten Verfassung gestellt.
Den Reflex des Einigungswerks erkennen wir in der nunmehrigen Form der Sage,
in der wir längst nichts Anderes erblickten, als die Personification der allge¬
meinen kirchlichen Verhältnisse. So wie diese sich veränderten, veränderte sich
auch die Geschichte der Partcihäupter, und nun jene zur Ruhe gekommen sind,
erhält auch diese ihre letzte Gestalt; was der Versasser der Apostelgeschichte an¬
gestrebt hatte, ist nunmehr erreicht. Petrus und Paulus sind jetzt die allgemein
anerkannten, die gemeinsam verehrten Häupter der einen Kirche. Die letzte
Spur ihrer gegnerischen Stellung ist verwischt. Im Leben wie im Sterben sind
sie vereint. Inhalt der Lehre wie Schauplatz des Wirkens sind dieselben. Die
römische Kirche, welche als die Kirche der Welthauptstadt in demselben Maße
sich über die anderen erhebt, als der jüdische Horizont zurücktritt, schreibt mit
gleichen Lettern die Namen beider Apostel über ihre Pforte; was sie der poli¬
tischen Stellung Roms verdankt, lcgitimut sie durch die Dvppelautvrität des
Petrus und Paulus: sie ist das gemeinsame Werk beider, das sie gemeinsam
mit ihrem Blut besiegelt haben. Es war nur die übertreibende Consequenz
der Sage, wenn sie schließlich die Apostel auch noch im Grabe und zwar mit
halbirten Leibern vereinte. Nachdem bereits dem einen die Ruhestätte am
Vatican, dem andern an der Straße nach Ostia angewiesen war, sollte auch
noch diese Trennung beseitigt werden. Als im Jahr 319 -- so sagt die Tra¬
dition -- die beiden Basiliken sich über den Gräbern der Apostel erhoben, die
noch heute Se. Peter und Se. Paul heißen, nahm Papst Sylvester eine Theilung
jedes einzelnen Leibes der Apostel in der Weise Vor, daß die Hälfte der Reliquien
des Paulus mit der Hälfte der Reliquien des Petrus, genau abgewogen,
je in Se. Peter und in Se. Paul beigesetzt wurden, und damit nicht noch
wegen der Häupter der Apostel ein Rangstreit entstände und die eine Kirche
doch einen Vorrang hätte, wurden die Häupter weder in der einen noch in der
andern Kirche, sondern gemeinsam in einer dritten neutralen, in San Giovanni
in Lateran beigesetzt, so'daß fortan in den drei Hauptkirchen die Reliquien beider
Apostel ungetrennt verehrt wurden.


Grenzboten M. 18V7. ^

allen denjenigen Erscheinungen, welche nach rechts und nach links aus dem
festen Rahmen der kirchlichen Ordnung herausstrebten und entweder hinter dem
abgeschlossenen Compromiß zurückblieben, oder in erneuten Bildungen die alten
Gegensähe verschärfen wollten. Es hieß gleichsam das Siegel unter den Frie-
densvertrag drücken, wenn man jetzt Petrusbricfe in Umlauf setzte (die in unserem
Kanon befindlichen), in welchen der angebliche Verfasser den Paulus förmlich
als seinen lieben Bruder anerkennt und sorgsam dem Lorurtheil zu begegnen
sucht, das Manche noch gegen dessen Briefe hegen mochten.

Am Ende des zweiten Jahrhunderts sehen wir diesen Proceß vollendet.
Durch gegenseitige Annäherung war die Einheit der Lehre gewonnen, und um
sie zu erhalten, wurde sie unter den Schutz einer centralisirten Verfassung gestellt.
Den Reflex des Einigungswerks erkennen wir in der nunmehrigen Form der Sage,
in der wir längst nichts Anderes erblickten, als die Personification der allge¬
meinen kirchlichen Verhältnisse. So wie diese sich veränderten, veränderte sich
auch die Geschichte der Partcihäupter, und nun jene zur Ruhe gekommen sind,
erhält auch diese ihre letzte Gestalt; was der Versasser der Apostelgeschichte an¬
gestrebt hatte, ist nunmehr erreicht. Petrus und Paulus sind jetzt die allgemein
anerkannten, die gemeinsam verehrten Häupter der einen Kirche. Die letzte
Spur ihrer gegnerischen Stellung ist verwischt. Im Leben wie im Sterben sind
sie vereint. Inhalt der Lehre wie Schauplatz des Wirkens sind dieselben. Die
römische Kirche, welche als die Kirche der Welthauptstadt in demselben Maße
sich über die anderen erhebt, als der jüdische Horizont zurücktritt, schreibt mit
gleichen Lettern die Namen beider Apostel über ihre Pforte; was sie der poli¬
tischen Stellung Roms verdankt, lcgitimut sie durch die Dvppelautvrität des
Petrus und Paulus: sie ist das gemeinsame Werk beider, das sie gemeinsam
mit ihrem Blut besiegelt haben. Es war nur die übertreibende Consequenz
der Sage, wenn sie schließlich die Apostel auch noch im Grabe und zwar mit
halbirten Leibern vereinte. Nachdem bereits dem einen die Ruhestätte am
Vatican, dem andern an der Straße nach Ostia angewiesen war, sollte auch
noch diese Trennung beseitigt werden. Als im Jahr 319 — so sagt die Tra¬
dition — die beiden Basiliken sich über den Gräbern der Apostel erhoben, die
noch heute Se. Peter und Se. Paul heißen, nahm Papst Sylvester eine Theilung
jedes einzelnen Leibes der Apostel in der Weise Vor, daß die Hälfte der Reliquien
des Paulus mit der Hälfte der Reliquien des Petrus, genau abgewogen,
je in Se. Peter und in Se. Paul beigesetzt wurden, und damit nicht noch
wegen der Häupter der Apostel ein Rangstreit entstände und die eine Kirche
doch einen Vorrang hätte, wurden die Häupter weder in der einen noch in der
andern Kirche, sondern gemeinsam in einer dritten neutralen, in San Giovanni
in Lateran beigesetzt, so'daß fortan in den drei Hauptkirchen die Reliquien beider
Apostel ungetrennt verehrt wurden.


Grenzboten M. 18V7. ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191465"/>
            <p xml:id="ID_686" prev="#ID_685"> allen denjenigen Erscheinungen, welche nach rechts und nach links aus dem<lb/>
festen Rahmen der kirchlichen Ordnung herausstrebten und entweder hinter dem<lb/>
abgeschlossenen Compromiß zurückblieben, oder in erneuten Bildungen die alten<lb/>
Gegensähe verschärfen wollten. Es hieß gleichsam das Siegel unter den Frie-<lb/>
densvertrag drücken, wenn man jetzt Petrusbricfe in Umlauf setzte (die in unserem<lb/>
Kanon befindlichen), in welchen der angebliche Verfasser den Paulus förmlich<lb/>
als seinen lieben Bruder anerkennt und sorgsam dem Lorurtheil zu begegnen<lb/>
sucht, das Manche noch gegen dessen Briefe hegen mochten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_687"> Am Ende des zweiten Jahrhunderts sehen wir diesen Proceß vollendet.<lb/>
Durch gegenseitige Annäherung war die Einheit der Lehre gewonnen, und um<lb/>
sie zu erhalten, wurde sie unter den Schutz einer centralisirten Verfassung gestellt.<lb/>
Den Reflex des Einigungswerks erkennen wir in der nunmehrigen Form der Sage,<lb/>
in der wir längst nichts Anderes erblickten, als die Personification der allge¬<lb/>
meinen kirchlichen Verhältnisse. So wie diese sich veränderten, veränderte sich<lb/>
auch die Geschichte der Partcihäupter, und nun jene zur Ruhe gekommen sind,<lb/>
erhält auch diese ihre letzte Gestalt; was der Versasser der Apostelgeschichte an¬<lb/>
gestrebt hatte, ist nunmehr erreicht. Petrus und Paulus sind jetzt die allgemein<lb/>
anerkannten, die gemeinsam verehrten Häupter der einen Kirche. Die letzte<lb/>
Spur ihrer gegnerischen Stellung ist verwischt. Im Leben wie im Sterben sind<lb/>
sie vereint. Inhalt der Lehre wie Schauplatz des Wirkens sind dieselben. Die<lb/>
römische Kirche, welche als die Kirche der Welthauptstadt in demselben Maße<lb/>
sich über die anderen erhebt, als der jüdische Horizont zurücktritt, schreibt mit<lb/>
gleichen Lettern die Namen beider Apostel über ihre Pforte; was sie der poli¬<lb/>
tischen Stellung Roms verdankt, lcgitimut sie durch die Dvppelautvrität des<lb/>
Petrus und Paulus: sie ist das gemeinsame Werk beider, das sie gemeinsam<lb/>
mit ihrem Blut besiegelt haben. Es war nur die übertreibende Consequenz<lb/>
der Sage, wenn sie schließlich die Apostel auch noch im Grabe und zwar mit<lb/>
halbirten Leibern vereinte. Nachdem bereits dem einen die Ruhestätte am<lb/>
Vatican, dem andern an der Straße nach Ostia angewiesen war, sollte auch<lb/>
noch diese Trennung beseitigt werden. Als im Jahr 319 &#x2014; so sagt die Tra¬<lb/>
dition &#x2014; die beiden Basiliken sich über den Gräbern der Apostel erhoben, die<lb/>
noch heute Se. Peter und Se. Paul heißen, nahm Papst Sylvester eine Theilung<lb/>
jedes einzelnen Leibes der Apostel in der Weise Vor, daß die Hälfte der Reliquien<lb/>
des Paulus mit der Hälfte der Reliquien des Petrus, genau abgewogen,<lb/>
je in Se. Peter und in Se. Paul beigesetzt wurden, und damit nicht noch<lb/>
wegen der Häupter der Apostel ein Rangstreit entstände und die eine Kirche<lb/>
doch einen Vorrang hätte, wurden die Häupter weder in der einen noch in der<lb/>
andern Kirche, sondern gemeinsam in einer dritten neutralen, in San Giovanni<lb/>
in Lateran beigesetzt, so'daß fortan in den drei Hauptkirchen die Reliquien beider<lb/>
Apostel ungetrennt verehrt wurden.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten M. 18V7. ^</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0235] allen denjenigen Erscheinungen, welche nach rechts und nach links aus dem festen Rahmen der kirchlichen Ordnung herausstrebten und entweder hinter dem abgeschlossenen Compromiß zurückblieben, oder in erneuten Bildungen die alten Gegensähe verschärfen wollten. Es hieß gleichsam das Siegel unter den Frie- densvertrag drücken, wenn man jetzt Petrusbricfe in Umlauf setzte (die in unserem Kanon befindlichen), in welchen der angebliche Verfasser den Paulus förmlich als seinen lieben Bruder anerkennt und sorgsam dem Lorurtheil zu begegnen sucht, das Manche noch gegen dessen Briefe hegen mochten. Am Ende des zweiten Jahrhunderts sehen wir diesen Proceß vollendet. Durch gegenseitige Annäherung war die Einheit der Lehre gewonnen, und um sie zu erhalten, wurde sie unter den Schutz einer centralisirten Verfassung gestellt. Den Reflex des Einigungswerks erkennen wir in der nunmehrigen Form der Sage, in der wir längst nichts Anderes erblickten, als die Personification der allge¬ meinen kirchlichen Verhältnisse. So wie diese sich veränderten, veränderte sich auch die Geschichte der Partcihäupter, und nun jene zur Ruhe gekommen sind, erhält auch diese ihre letzte Gestalt; was der Versasser der Apostelgeschichte an¬ gestrebt hatte, ist nunmehr erreicht. Petrus und Paulus sind jetzt die allgemein anerkannten, die gemeinsam verehrten Häupter der einen Kirche. Die letzte Spur ihrer gegnerischen Stellung ist verwischt. Im Leben wie im Sterben sind sie vereint. Inhalt der Lehre wie Schauplatz des Wirkens sind dieselben. Die römische Kirche, welche als die Kirche der Welthauptstadt in demselben Maße sich über die anderen erhebt, als der jüdische Horizont zurücktritt, schreibt mit gleichen Lettern die Namen beider Apostel über ihre Pforte; was sie der poli¬ tischen Stellung Roms verdankt, lcgitimut sie durch die Dvppelautvrität des Petrus und Paulus: sie ist das gemeinsame Werk beider, das sie gemeinsam mit ihrem Blut besiegelt haben. Es war nur die übertreibende Consequenz der Sage, wenn sie schließlich die Apostel auch noch im Grabe und zwar mit halbirten Leibern vereinte. Nachdem bereits dem einen die Ruhestätte am Vatican, dem andern an der Straße nach Ostia angewiesen war, sollte auch noch diese Trennung beseitigt werden. Als im Jahr 319 — so sagt die Tra¬ dition — die beiden Basiliken sich über den Gräbern der Apostel erhoben, die noch heute Se. Peter und Se. Paul heißen, nahm Papst Sylvester eine Theilung jedes einzelnen Leibes der Apostel in der Weise Vor, daß die Hälfte der Reliquien des Paulus mit der Hälfte der Reliquien des Petrus, genau abgewogen, je in Se. Peter und in Se. Paul beigesetzt wurden, und damit nicht noch wegen der Häupter der Apostel ein Rangstreit entstände und die eine Kirche doch einen Vorrang hätte, wurden die Häupter weder in der einen noch in der andern Kirche, sondern gemeinsam in einer dritten neutralen, in San Giovanni in Lateran beigesetzt, so'daß fortan in den drei Hauptkirchen die Reliquien beider Apostel ungetrennt verehrt wurden. Grenzboten M. 18V7. ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/235
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/235>, abgerufen am 15.01.2025.