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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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tericllc des Streits läßt sich der Briefschreiber gar nicht el", er ignorirt es völlig,
ihn beschäftigt blos die Thatsache, daß die kirchliche Ordnung der Schwcster-
gemcinde gestört ist, und er ermahnt, ohne in das Sachliche des Streits ein¬
zugreifen, nachdrücklich zur Beseitigung aller Spaltung und zur Unterwerfung
unter den Bischof und den Gemeindevorsteher. Wir erkennen darin die ersten
Symptome einer Tendenz, deren Umsichgreifen die ganze Zukunft der Kirche be¬
stimmen sollte.

Das System einer organisirten Kirchenverfassung war aber selbst der alt-
tcstcuncntlichen Theokratie entlehnt; indem es jetzt auf christlichen Boden über¬
tragen wird, ist es ein neues Stück Judenthum, das im Christenthum conser-
virt erscheint. Wie der Universalismus das Beibringen der paulinischen Rich¬
tung war, so war das hierarchische System das Beibringen des Judaismus zu der
sich nun bildenden Einheit der katholischen Kirche. Es läßt sich noch verfolgen,
wie die ersten kirchlichen Einrichtungen sich unmittelbar "ni die jüdischen an¬
schlössen. Natürlich; die ersten Christen waren nichts Anderes als eine Secte
innerhalb des Judenthums. In Rom werden sie von den Profanschriflstellern
beständig zusammengeworfen mit den Juden, die christliche Kirchenverfassung
sollte ein Abbild des israelitischen Tempelcultus sein, die mosaischen Gesetze
über den Gottesdienst, über das Christenthum blieben in Geltung. Je mehr
nun die Kirchen sich ausbreiteten, je gefährlichere Spaltungen zu überwinden
waren, um so größerer Nachdruck wurde auf die Ausbildung und Befestigung
der Institutionen gelegt. Auch das läßt sich noch verfolgen, wie innerhalb der
judenchristlichen Partei das Interesse an der kirchlichen Organisation besonders
thätig war. In der ccntralistischen Einheit besaß man ein Gegengewicht gegen
den schrankenlosen Universalismus, und der nüchterne Formalismus des römi¬
schen Geistes half mit, was ursprünglich nur die selbstverständliche Anlehnung
an das alttestamentliche Vorbild gewesen war. in ein principielles System zu
bringen. Dieses wurde die feste Form, in welche die Einheitstendenzen des
Jahrhunderts gegossen wurden. Von paulinischer Seite widerstand man diesem
Zug zur Einheit so wenig, daß sich vielmehr unmittelbar an die clcmentinischen
Homilien, in welchen zum ersten Mal die vollständige Doctrin der Episcopal-
verf^ssung erscheint, eine Reihe von Schriften paulinischer Richtung an¬
schließt, in welchen sich ganz dieselbe Tendenz nach Einheit der Kirchenverfassung
ausspricht. Man verfertigte sogar paulinische Briefe, in welchen die Em¬
pfehlung der kirchlichen Ordnung, wie sie jetzt sich bildete, dem Paulus selbst
in den Mund gelegt wurde. Längst hatte" beide Parteien sich so weit genähert,
daß einer Vereinigung nichts mehr im Wege stand. Unter dem Eindruck der
großen Ketzererschcinnngen des zweiten Jahrhunderts, des Gnosticismus und
des Moutanismus, verschwanden vollends die abgeblaßten Gegensätze zwischen
Paulinern und Petrinern. Ihr kirchliches Interesse fiel zusammen gegenüber


tericllc des Streits läßt sich der Briefschreiber gar nicht el», er ignorirt es völlig,
ihn beschäftigt blos die Thatsache, daß die kirchliche Ordnung der Schwcster-
gemcinde gestört ist, und er ermahnt, ohne in das Sachliche des Streits ein¬
zugreifen, nachdrücklich zur Beseitigung aller Spaltung und zur Unterwerfung
unter den Bischof und den Gemeindevorsteher. Wir erkennen darin die ersten
Symptome einer Tendenz, deren Umsichgreifen die ganze Zukunft der Kirche be¬
stimmen sollte.

Das System einer organisirten Kirchenverfassung war aber selbst der alt-
tcstcuncntlichen Theokratie entlehnt; indem es jetzt auf christlichen Boden über¬
tragen wird, ist es ein neues Stück Judenthum, das im Christenthum conser-
virt erscheint. Wie der Universalismus das Beibringen der paulinischen Rich¬
tung war, so war das hierarchische System das Beibringen des Judaismus zu der
sich nun bildenden Einheit der katholischen Kirche. Es läßt sich noch verfolgen,
wie die ersten kirchlichen Einrichtungen sich unmittelbar «ni die jüdischen an¬
schlössen. Natürlich; die ersten Christen waren nichts Anderes als eine Secte
innerhalb des Judenthums. In Rom werden sie von den Profanschriflstellern
beständig zusammengeworfen mit den Juden, die christliche Kirchenverfassung
sollte ein Abbild des israelitischen Tempelcultus sein, die mosaischen Gesetze
über den Gottesdienst, über das Christenthum blieben in Geltung. Je mehr
nun die Kirchen sich ausbreiteten, je gefährlichere Spaltungen zu überwinden
waren, um so größerer Nachdruck wurde auf die Ausbildung und Befestigung
der Institutionen gelegt. Auch das läßt sich noch verfolgen, wie innerhalb der
judenchristlichen Partei das Interesse an der kirchlichen Organisation besonders
thätig war. In der ccntralistischen Einheit besaß man ein Gegengewicht gegen
den schrankenlosen Universalismus, und der nüchterne Formalismus des römi¬
schen Geistes half mit, was ursprünglich nur die selbstverständliche Anlehnung
an das alttestamentliche Vorbild gewesen war. in ein principielles System zu
bringen. Dieses wurde die feste Form, in welche die Einheitstendenzen des
Jahrhunderts gegossen wurden. Von paulinischer Seite widerstand man diesem
Zug zur Einheit so wenig, daß sich vielmehr unmittelbar an die clcmentinischen
Homilien, in welchen zum ersten Mal die vollständige Doctrin der Episcopal-
verf^ssung erscheint, eine Reihe von Schriften paulinischer Richtung an¬
schließt, in welchen sich ganz dieselbe Tendenz nach Einheit der Kirchenverfassung
ausspricht. Man verfertigte sogar paulinische Briefe, in welchen die Em¬
pfehlung der kirchlichen Ordnung, wie sie jetzt sich bildete, dem Paulus selbst
in den Mund gelegt wurde. Längst hatte» beide Parteien sich so weit genähert,
daß einer Vereinigung nichts mehr im Wege stand. Unter dem Eindruck der
großen Ketzererschcinnngen des zweiten Jahrhunderts, des Gnosticismus und
des Moutanismus, verschwanden vollends die abgeblaßten Gegensätze zwischen
Paulinern und Petrinern. Ihr kirchliches Interesse fiel zusammen gegenüber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/234>, abgerufen am 15.01.2025.