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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Schmähungen. Er sei, sagten die Judenchristen, gar kein geborner Jude, er sei
vielmehr ein Heide gewesen und erst später ein Proselyt des Judenthums ge¬
worden. Die niedrigsten Motive wurden seiner Opposition gegen das Gesetz
untergelegt. Jetzt kam die Simonssage auf. die den Paulus zum heidnischen
Irrlehrer machte. Seine Briefe wurden verworfen, er selbst als Eindringling
ins Apostolat, als Verführer geschildert, selbst die Liebesgabe, die er nach Jeru¬
salem brachte, in gehässigster Weise ausgelegt. In demselben Maße aber, als
man den Paulus herabdrückte, stieg das Haupt der Gegenpartei, der Säulen¬
apostel Petrus, den man als persönlichen Gegner des Paulus wußte, und den
es gleichsam zu entschädigen galt für die Demüthigung, die er durch Paulus in
Antiochia erlitten. Wo man den letzteren nicht gänzlich beseitigte, weil sein
Andenken sich nicht beseitigen ließ, stellte man ihm den Petrus mindestens zur
Seite. So in Korinth, wo man den Petrus neben Paulus zum Mitstifter der
Gemeinde machte, so in Antiochia. wo das Heidenchristenthum zuerst Wurzeln
geschlagen hatte, so in Rom, wo die Erinnerungen an den Märtyrer des nero-
nischen Circus ansingen verflochten zu werden in ein Gewebe sagenhafter Bil¬
dungen, aus welchem immer glänzender sich die Gestalt seines Rivalen erhob.
Die ^xiremen der Partei aber .feierten in Petrus den Vesieger des falschen
Apostels, den Verfolger des Magiers von Ort zu Ort, wie denn eben jetzt das
wahre pctrinische Christenthum seinen Siegeslauf über das betrügliche paulinische
von Ost nach West vollendete.




So stand es in der Zeit nach dem Hingange des Paulus. Wenn nun
dennoch das Ende des Kampfes, der noch ein volles Jahrhundert ausfüllte, weder
die gänzliche Erdrückung noch die Ausscheidung des Pauiinismus war, vielmehr
nach einiger Zeit die Spannung der Gegensätze nachließ und am Ende des
zweiten Jahrhunderts die eine katholische Kirche auf Grund der Vereinigung
beider Parteien sich aufrichtete, so sind es hauptsächlich zwei Ursachen, auf welche
dieser Gang der Dinge zurückzuführen ist: einmal die siegreiche Thatsache des
Heidenchristenthums, und dann der römische Geist, der mit einem gewissen prak¬
tischen Instinct der Einheit zustrebte. Wie hiernach die Sage von Petrus und
Paulus sich gestalten mußte, läßt sich unschwer voraussehen.

Vor allem war das Judenchristenthum, das jetzt die werdende Kirche er¬
füllte, im Grunde gar nicht mehr dasselbe, wie es anfänglich dem Paulus entgegen¬
getreten war. Es hatte der Zeit seine Opfer gebracht, die Verhältnisse selbst hatten
ihm ein wesentliches Zugeständnis^ abgenöthigt. Es hatte sich nämlich bald gezeigt,
daß auf Seite der Heiden eine weit größere Empfänglichkeit für die neue Bot¬
schaft vorhanden war, als auf Seite der Juden. Die Mehrzahl der letzteren wollte
nichts von einem Hingerichteten Messias wissen, während die Lehre vom Kreuz immer


Schmähungen. Er sei, sagten die Judenchristen, gar kein geborner Jude, er sei
vielmehr ein Heide gewesen und erst später ein Proselyt des Judenthums ge¬
worden. Die niedrigsten Motive wurden seiner Opposition gegen das Gesetz
untergelegt. Jetzt kam die Simonssage auf. die den Paulus zum heidnischen
Irrlehrer machte. Seine Briefe wurden verworfen, er selbst als Eindringling
ins Apostolat, als Verführer geschildert, selbst die Liebesgabe, die er nach Jeru¬
salem brachte, in gehässigster Weise ausgelegt. In demselben Maße aber, als
man den Paulus herabdrückte, stieg das Haupt der Gegenpartei, der Säulen¬
apostel Petrus, den man als persönlichen Gegner des Paulus wußte, und den
es gleichsam zu entschädigen galt für die Demüthigung, die er durch Paulus in
Antiochia erlitten. Wo man den letzteren nicht gänzlich beseitigte, weil sein
Andenken sich nicht beseitigen ließ, stellte man ihm den Petrus mindestens zur
Seite. So in Korinth, wo man den Petrus neben Paulus zum Mitstifter der
Gemeinde machte, so in Antiochia. wo das Heidenchristenthum zuerst Wurzeln
geschlagen hatte, so in Rom, wo die Erinnerungen an den Märtyrer des nero-
nischen Circus ansingen verflochten zu werden in ein Gewebe sagenhafter Bil¬
dungen, aus welchem immer glänzender sich die Gestalt seines Rivalen erhob.
Die ^xiremen der Partei aber .feierten in Petrus den Vesieger des falschen
Apostels, den Verfolger des Magiers von Ort zu Ort, wie denn eben jetzt das
wahre pctrinische Christenthum seinen Siegeslauf über das betrügliche paulinische
von Ost nach West vollendete.




So stand es in der Zeit nach dem Hingange des Paulus. Wenn nun
dennoch das Ende des Kampfes, der noch ein volles Jahrhundert ausfüllte, weder
die gänzliche Erdrückung noch die Ausscheidung des Pauiinismus war, vielmehr
nach einiger Zeit die Spannung der Gegensätze nachließ und am Ende des
zweiten Jahrhunderts die eine katholische Kirche auf Grund der Vereinigung
beider Parteien sich aufrichtete, so sind es hauptsächlich zwei Ursachen, auf welche
dieser Gang der Dinge zurückzuführen ist: einmal die siegreiche Thatsache des
Heidenchristenthums, und dann der römische Geist, der mit einem gewissen prak¬
tischen Instinct der Einheit zustrebte. Wie hiernach die Sage von Petrus und
Paulus sich gestalten mußte, läßt sich unschwer voraussehen.

Vor allem war das Judenchristenthum, das jetzt die werdende Kirche er¬
füllte, im Grunde gar nicht mehr dasselbe, wie es anfänglich dem Paulus entgegen¬
getreten war. Es hatte der Zeit seine Opfer gebracht, die Verhältnisse selbst hatten
ihm ein wesentliches Zugeständnis^ abgenöthigt. Es hatte sich nämlich bald gezeigt,
daß auf Seite der Heiden eine weit größere Empfänglichkeit für die neue Bot¬
schaft vorhanden war, als auf Seite der Juden. Die Mehrzahl der letzteren wollte
nichts von einem Hingerichteten Messias wissen, während die Lehre vom Kreuz immer


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[0230] Schmähungen. Er sei, sagten die Judenchristen, gar kein geborner Jude, er sei vielmehr ein Heide gewesen und erst später ein Proselyt des Judenthums ge¬ worden. Die niedrigsten Motive wurden seiner Opposition gegen das Gesetz untergelegt. Jetzt kam die Simonssage auf. die den Paulus zum heidnischen Irrlehrer machte. Seine Briefe wurden verworfen, er selbst als Eindringling ins Apostolat, als Verführer geschildert, selbst die Liebesgabe, die er nach Jeru¬ salem brachte, in gehässigster Weise ausgelegt. In demselben Maße aber, als man den Paulus herabdrückte, stieg das Haupt der Gegenpartei, der Säulen¬ apostel Petrus, den man als persönlichen Gegner des Paulus wußte, und den es gleichsam zu entschädigen galt für die Demüthigung, die er durch Paulus in Antiochia erlitten. Wo man den letzteren nicht gänzlich beseitigte, weil sein Andenken sich nicht beseitigen ließ, stellte man ihm den Petrus mindestens zur Seite. So in Korinth, wo man den Petrus neben Paulus zum Mitstifter der Gemeinde machte, so in Antiochia. wo das Heidenchristenthum zuerst Wurzeln geschlagen hatte, so in Rom, wo die Erinnerungen an den Märtyrer des nero- nischen Circus ansingen verflochten zu werden in ein Gewebe sagenhafter Bil¬ dungen, aus welchem immer glänzender sich die Gestalt seines Rivalen erhob. Die ^xiremen der Partei aber .feierten in Petrus den Vesieger des falschen Apostels, den Verfolger des Magiers von Ort zu Ort, wie denn eben jetzt das wahre pctrinische Christenthum seinen Siegeslauf über das betrügliche paulinische von Ost nach West vollendete. So stand es in der Zeit nach dem Hingange des Paulus. Wenn nun dennoch das Ende des Kampfes, der noch ein volles Jahrhundert ausfüllte, weder die gänzliche Erdrückung noch die Ausscheidung des Pauiinismus war, vielmehr nach einiger Zeit die Spannung der Gegensätze nachließ und am Ende des zweiten Jahrhunderts die eine katholische Kirche auf Grund der Vereinigung beider Parteien sich aufrichtete, so sind es hauptsächlich zwei Ursachen, auf welche dieser Gang der Dinge zurückzuführen ist: einmal die siegreiche Thatsache des Heidenchristenthums, und dann der römische Geist, der mit einem gewissen prak¬ tischen Instinct der Einheit zustrebte. Wie hiernach die Sage von Petrus und Paulus sich gestalten mußte, läßt sich unschwer voraussehen. Vor allem war das Judenchristenthum, das jetzt die werdende Kirche er¬ füllte, im Grunde gar nicht mehr dasselbe, wie es anfänglich dem Paulus entgegen¬ getreten war. Es hatte der Zeit seine Opfer gebracht, die Verhältnisse selbst hatten ihm ein wesentliches Zugeständnis^ abgenöthigt. Es hatte sich nämlich bald gezeigt, daß auf Seite der Heiden eine weit größere Empfänglichkeit für die neue Bot¬ schaft vorhanden war, als auf Seite der Juden. Die Mehrzahl der letzteren wollte nichts von einem Hingerichteten Messias wissen, während die Lehre vom Kreuz immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/230>, abgerufen am 15.01.2025.