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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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kann, führten jene Emissäre aus, derjenige ein Apostel sein, der den Herrn nie
gesehen, von ihm keinen Auftrag erhalten hat, wie kann er den wahren Aposteln
gegenübertreten, die alles Vom Herrn selbst gelernt haben und durch seinen Um¬
gang zu Sendboten gebildet worden sind? Will er ein Apostel sein, so unter¬
werfe er sich den Säulen, lerne von ihnen und wirke mit ihnen brüderlich zu¬
sammen, anstatt ihrer Predigt dein eignes Evangelium entgegenzustellen -- lau¬
er Vorwürfe, denen Paulus nichts Andres entgegenzusetzen hatte, als die innere
Gewißheit, gleichfalls von Christus berufen zu sein, freilich nicht vom Christus
des Fleisches, sondern vom geistigen Christus, der sich ihm in Gesichten geoffen¬
bart hatte, deren Realität er ebenso eifrig vertheidigte, als die Gegner sie be-
stritten.

Vielleicht war es die Ueberzeugung von der Fruchtlosigkeit solcher Beweis¬
führungen, die den Paulus bestimmte seinen Blick auf Rom zu richten. Diese
Gemeinde schien außerhalb der Kämpfe zu liegen, die in den östlichen Gemein¬
den geführt wurden. Sie war rasch gewachsen, aber weder von Paulus noch
von einem der Urapostel gestiftet worden. Sie bestand vorzugsweise aus Juden¬
christen, die aber entfernt vom jüdischen Mittelpunkt sich längst in der Heiden¬
welt einzurichten gelernt hatten. Vor allem blieb hier alles Persönliche aus
dem Spiel, er hatte hier keine judaistischen Eindringlinge zu bekämpfen, er hatte
auch nicht gegen ihre Einflüsterungen sein eignes Apostolat zu vertheidigen. In
ruhiger, leidenschaftsloser Form konnte er den Römern auseinandersetzen, wie
das Heidenchristenthum sich vereinigen lasse mit den Verheißungen, die Gott
seinem auserwählten Volk gemacht. In diesem Sinne schrieb er seinen Brief
an diese Gemeinde, in diesem Sinne wird er persönlich gewirkt haben während
seines zweijährigen Aufenthalts in Rom, der seinen Abschluß in der Katastrophe
der neronischen Verfolgung fand.

Allein die Keime, die Paulus scharfes Auge in der römischen Gemeinde
entdeckt haben mochte, brauchten Zeit, um zu reifen. Allen Spuren zufolge
hatte er auch hier persönlich einen ungünstigen Stand. Unter den fortgesetzten
Anfeindungen der Judaistcn war er vereinsamt, und seine Wirksamkeit zu kurz,
um seinen Grundsätzen zum Siege zu verhelfen. Gleich nach seinem Tode sehen
wir das petrinische Christenthum i" vollem Siegeslauf über die paulinischen
Schöpfungen dahin fahren. Vor allem in den kleinasiatischen Gemeinden.
Ephesus, wo Paulus mehre Jahre gewirkt hatte, wurde der Sitz des Säulen¬
apostels Johannes, und so gründlich wurde hier das Ncinigungswerk betrieben,
daß nach wenigen Jahrzehnten das Andenken an Paulus gänzlich erloschen war.
Schon die Offenbarung des Johannes, vier Jahre nach dem Tode des Paulus
geschrieben, belobte die kleinasiatischen Gemeinden, daß sie sich losgemacht von
denen, die sich fälschlich zu Aposteln ausgeworfen. Die Parteisage suchte den
Paulus entweder gänzlich zu verdrängen, oder sie häufte auf ihn die schwersten


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kann, führten jene Emissäre aus, derjenige ein Apostel sein, der den Herrn nie
gesehen, von ihm keinen Auftrag erhalten hat, wie kann er den wahren Aposteln
gegenübertreten, die alles Vom Herrn selbst gelernt haben und durch seinen Um¬
gang zu Sendboten gebildet worden sind? Will er ein Apostel sein, so unter¬
werfe er sich den Säulen, lerne von ihnen und wirke mit ihnen brüderlich zu¬
sammen, anstatt ihrer Predigt dein eignes Evangelium entgegenzustellen — lau¬
er Vorwürfe, denen Paulus nichts Andres entgegenzusetzen hatte, als die innere
Gewißheit, gleichfalls von Christus berufen zu sein, freilich nicht vom Christus
des Fleisches, sondern vom geistigen Christus, der sich ihm in Gesichten geoffen¬
bart hatte, deren Realität er ebenso eifrig vertheidigte, als die Gegner sie be-
stritten.

Vielleicht war es die Ueberzeugung von der Fruchtlosigkeit solcher Beweis¬
führungen, die den Paulus bestimmte seinen Blick auf Rom zu richten. Diese
Gemeinde schien außerhalb der Kämpfe zu liegen, die in den östlichen Gemein¬
den geführt wurden. Sie war rasch gewachsen, aber weder von Paulus noch
von einem der Urapostel gestiftet worden. Sie bestand vorzugsweise aus Juden¬
christen, die aber entfernt vom jüdischen Mittelpunkt sich längst in der Heiden¬
welt einzurichten gelernt hatten. Vor allem blieb hier alles Persönliche aus
dem Spiel, er hatte hier keine judaistischen Eindringlinge zu bekämpfen, er hatte
auch nicht gegen ihre Einflüsterungen sein eignes Apostolat zu vertheidigen. In
ruhiger, leidenschaftsloser Form konnte er den Römern auseinandersetzen, wie
das Heidenchristenthum sich vereinigen lasse mit den Verheißungen, die Gott
seinem auserwählten Volk gemacht. In diesem Sinne schrieb er seinen Brief
an diese Gemeinde, in diesem Sinne wird er persönlich gewirkt haben während
seines zweijährigen Aufenthalts in Rom, der seinen Abschluß in der Katastrophe
der neronischen Verfolgung fand.

Allein die Keime, die Paulus scharfes Auge in der römischen Gemeinde
entdeckt haben mochte, brauchten Zeit, um zu reifen. Allen Spuren zufolge
hatte er auch hier persönlich einen ungünstigen Stand. Unter den fortgesetzten
Anfeindungen der Judaistcn war er vereinsamt, und seine Wirksamkeit zu kurz,
um seinen Grundsätzen zum Siege zu verhelfen. Gleich nach seinem Tode sehen
wir das petrinische Christenthum i» vollem Siegeslauf über die paulinischen
Schöpfungen dahin fahren. Vor allem in den kleinasiatischen Gemeinden.
Ephesus, wo Paulus mehre Jahre gewirkt hatte, wurde der Sitz des Säulen¬
apostels Johannes, und so gründlich wurde hier das Ncinigungswerk betrieben,
daß nach wenigen Jahrzehnten das Andenken an Paulus gänzlich erloschen war.
Schon die Offenbarung des Johannes, vier Jahre nach dem Tode des Paulus
geschrieben, belobte die kleinasiatischen Gemeinden, daß sie sich losgemacht von
denen, die sich fälschlich zu Aposteln ausgeworfen. Die Parteisage suchte den
Paulus entweder gänzlich zu verdrängen, oder sie häufte auf ihn die schwersten


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[0229] kann, führten jene Emissäre aus, derjenige ein Apostel sein, der den Herrn nie gesehen, von ihm keinen Auftrag erhalten hat, wie kann er den wahren Aposteln gegenübertreten, die alles Vom Herrn selbst gelernt haben und durch seinen Um¬ gang zu Sendboten gebildet worden sind? Will er ein Apostel sein, so unter¬ werfe er sich den Säulen, lerne von ihnen und wirke mit ihnen brüderlich zu¬ sammen, anstatt ihrer Predigt dein eignes Evangelium entgegenzustellen — lau¬ er Vorwürfe, denen Paulus nichts Andres entgegenzusetzen hatte, als die innere Gewißheit, gleichfalls von Christus berufen zu sein, freilich nicht vom Christus des Fleisches, sondern vom geistigen Christus, der sich ihm in Gesichten geoffen¬ bart hatte, deren Realität er ebenso eifrig vertheidigte, als die Gegner sie be- stritten. Vielleicht war es die Ueberzeugung von der Fruchtlosigkeit solcher Beweis¬ führungen, die den Paulus bestimmte seinen Blick auf Rom zu richten. Diese Gemeinde schien außerhalb der Kämpfe zu liegen, die in den östlichen Gemein¬ den geführt wurden. Sie war rasch gewachsen, aber weder von Paulus noch von einem der Urapostel gestiftet worden. Sie bestand vorzugsweise aus Juden¬ christen, die aber entfernt vom jüdischen Mittelpunkt sich längst in der Heiden¬ welt einzurichten gelernt hatten. Vor allem blieb hier alles Persönliche aus dem Spiel, er hatte hier keine judaistischen Eindringlinge zu bekämpfen, er hatte auch nicht gegen ihre Einflüsterungen sein eignes Apostolat zu vertheidigen. In ruhiger, leidenschaftsloser Form konnte er den Römern auseinandersetzen, wie das Heidenchristenthum sich vereinigen lasse mit den Verheißungen, die Gott seinem auserwählten Volk gemacht. In diesem Sinne schrieb er seinen Brief an diese Gemeinde, in diesem Sinne wird er persönlich gewirkt haben während seines zweijährigen Aufenthalts in Rom, der seinen Abschluß in der Katastrophe der neronischen Verfolgung fand. Allein die Keime, die Paulus scharfes Auge in der römischen Gemeinde entdeckt haben mochte, brauchten Zeit, um zu reifen. Allen Spuren zufolge hatte er auch hier persönlich einen ungünstigen Stand. Unter den fortgesetzten Anfeindungen der Judaistcn war er vereinsamt, und seine Wirksamkeit zu kurz, um seinen Grundsätzen zum Siege zu verhelfen. Gleich nach seinem Tode sehen wir das petrinische Christenthum i» vollem Siegeslauf über die paulinischen Schöpfungen dahin fahren. Vor allem in den kleinasiatischen Gemeinden. Ephesus, wo Paulus mehre Jahre gewirkt hatte, wurde der Sitz des Säulen¬ apostels Johannes, und so gründlich wurde hier das Ncinigungswerk betrieben, daß nach wenigen Jahrzehnten das Andenken an Paulus gänzlich erloschen war. Schon die Offenbarung des Johannes, vier Jahre nach dem Tode des Paulus geschrieben, belobte die kleinasiatischen Gemeinden, daß sie sich losgemacht von denen, die sich fälschlich zu Aposteln ausgeworfen. Die Parteisage suchte den Paulus entweder gänzlich zu verdrängen, oder sie häufte auf ihn die schwersten 28'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/229>, abgerufen am 15.01.2025.