Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.Mißverständnissen des antiken Originals hervorgegangenen Einzelnheiten un¬ Der Einfluß der Schedelschen Collectaneen auf Dürer läßt sich noch weiter ?isos super ourvo pectus cimtatiÄt Orion Der Schreibfehler Orion statt Arion beweist, daß der Copist die Meinung des Auch die Tradition der Wissenschaft und Kunst geht seltsame Wege. Die Otto Jahr. Mißverständnissen des antiken Originals hervorgegangenen Einzelnheiten un¬ Der Einfluß der Schedelschen Collectaneen auf Dürer läßt sich noch weiter ?isos super ourvo pectus cimtatiÄt Orion Der Schreibfehler Orion statt Arion beweist, daß der Copist die Meinung des Auch die Tradition der Wissenschaft und Kunst geht seltsame Wege. Die Otto Jahr. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191252"/> <p xml:id="ID_35" prev="#ID_34"> Mißverständnissen des antiken Originals hervorgegangenen Einzelnheiten un¬<lb/> verändert gebliebene Abbildung Schedels; nur die Veränderung hat Dürer der<lb/> Komposition wegen machen müssen, daß der Gott das Gesicht rückwärts, den<lb/> von ihm mit Fortgezogenen zuwendet, was übrigens auf die ganze Gestalt sonst<lb/> gar keinen Einfluß geübt hat. Ohne alte Frage hat Dürer Schedels Zeich¬<lb/> nungen gekannt; auch hier tritt uns die merkwürdige Erscheinung entgegen,<lb/> daß selbst ein so entstelltes Denkmal der älteren griechischen Kunst, in jener<lb/> Zeit ein in jeder Hinsicht befremdliches Monument, auf den großen^Maler<lb/> einen so entschiedenen Eindruck macht, daß er, um ein antikes Bild zu repro-<lb/> duciien, dieses zum Modell nimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_36"> Der Einfluß der Schedelschen Collectaneen auf Dürer läßt sich noch weiter<lb/> constaiiren. Unter Zeichnungen ätherischer Sculpturen findet sich die Darstellung<lb/> eines Delphins, der einen aus seinem Rücken lang hingestreckten Knaben durch<lb/> die Wellen trägt mit der Überschrift:</p><lb/> <quote> ?isos super ourvo pectus cimtatiÄt Orion<lb/> singend ward durch die Fluth vom Delphin getragen Arion.</quote><lb/> <p xml:id="ID_37"> Der Schreibfehler Orion statt Arion beweist, daß der Copist die Meinung des<lb/> Eyriacus nicht verstanden hatte. Alte Münzen zeigen eure ganz ähnliche Gruppe,<lb/> welche den auf dem Isthmus göttlich verehrten Palämon vorstellt; solche<lb/> konnte Eyriacus gesehen haben, aber die Größe der Zeichnung und der Um¬<lb/> stand, daß sie sich unter athenischen Sculpturen findet, legt eine andere Ver¬<lb/> muthung nahe. Der Fries vom Denkmal des Lysikrates stellt bekanntlich die<lb/> Bändigung der Tyrrhener durch die Satyrn und ihre Verwandlung in Delphine<lb/> vor; in einigen Figuren ist diese Verwandlung durch Verschmelzung der menschlichen<lb/> mit der Fischgestalt in der glücklichsten Weise ausgedrückt. Aber es wäre sehr<lb/> denkbar, daß Eyriacus, der das kleine, ziemlich angegriffene Relief von unten<lb/> sah. wenn er den Gegenstand nicht erkannte, die befremdliche Gestalt für einen<lb/> auf dem Delphin ausgestteckten Menschen hielt, für Arion erklärte und darnach<lb/> seine Zeichnung einrichtete. Dürer ward hier durch das künstlerische Motiv<lb/> angezogen; in einer ebenfalls in Wien aufbewahrten überaus schönen Hand¬<lb/> zeichnung hat er zwar die Grundmotive der Komposition sichitich von Schedels<lb/> Zeichnung entlehnt, aber beide Gestalten völlig umgebildet und zu einem neuen,<lb/> reizenden Ganzen verschmolzen. Daß er den Sinn recht gefaßt hatte, beweist<lb/> nicht allein der in correcter Fassung übergeschriebene Vers, sondern daß sein<lb/> Arion ein reifer Jüngling ist, der in der Linken die Leier hält.</p><lb/> <p xml:id="ID_38"> Auch die Tradition der Wissenschaft und Kunst geht seltsame Wege. Die<lb/> Zeichnungen, welche von Eyriacus heimgebracht in Italien wirkungslos ver-<lb/> schollen waren, haben durch entstellte Copien in die Seele des deutschen Künstlers<lb/> den Strahl der alten Kunst geworfen, der ihn zu schöpferischer Nachbildung anregte.</p><lb/> <note type="byline"> Otto Jahr.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Mißverständnissen des antiken Originals hervorgegangenen Einzelnheiten un¬
verändert gebliebene Abbildung Schedels; nur die Veränderung hat Dürer der
Komposition wegen machen müssen, daß der Gott das Gesicht rückwärts, den
von ihm mit Fortgezogenen zuwendet, was übrigens auf die ganze Gestalt sonst
gar keinen Einfluß geübt hat. Ohne alte Frage hat Dürer Schedels Zeich¬
nungen gekannt; auch hier tritt uns die merkwürdige Erscheinung entgegen,
daß selbst ein so entstelltes Denkmal der älteren griechischen Kunst, in jener
Zeit ein in jeder Hinsicht befremdliches Monument, auf den großen^Maler
einen so entschiedenen Eindruck macht, daß er, um ein antikes Bild zu repro-
duciien, dieses zum Modell nimmt.
Der Einfluß der Schedelschen Collectaneen auf Dürer läßt sich noch weiter
constaiiren. Unter Zeichnungen ätherischer Sculpturen findet sich die Darstellung
eines Delphins, der einen aus seinem Rücken lang hingestreckten Knaben durch
die Wellen trägt mit der Überschrift:
?isos super ourvo pectus cimtatiÄt Orion
singend ward durch die Fluth vom Delphin getragen Arion.
Der Schreibfehler Orion statt Arion beweist, daß der Copist die Meinung des
Eyriacus nicht verstanden hatte. Alte Münzen zeigen eure ganz ähnliche Gruppe,
welche den auf dem Isthmus göttlich verehrten Palämon vorstellt; solche
konnte Eyriacus gesehen haben, aber die Größe der Zeichnung und der Um¬
stand, daß sie sich unter athenischen Sculpturen findet, legt eine andere Ver¬
muthung nahe. Der Fries vom Denkmal des Lysikrates stellt bekanntlich die
Bändigung der Tyrrhener durch die Satyrn und ihre Verwandlung in Delphine
vor; in einigen Figuren ist diese Verwandlung durch Verschmelzung der menschlichen
mit der Fischgestalt in der glücklichsten Weise ausgedrückt. Aber es wäre sehr
denkbar, daß Eyriacus, der das kleine, ziemlich angegriffene Relief von unten
sah. wenn er den Gegenstand nicht erkannte, die befremdliche Gestalt für einen
auf dem Delphin ausgestteckten Menschen hielt, für Arion erklärte und darnach
seine Zeichnung einrichtete. Dürer ward hier durch das künstlerische Motiv
angezogen; in einer ebenfalls in Wien aufbewahrten überaus schönen Hand¬
zeichnung hat er zwar die Grundmotive der Komposition sichitich von Schedels
Zeichnung entlehnt, aber beide Gestalten völlig umgebildet und zu einem neuen,
reizenden Ganzen verschmolzen. Daß er den Sinn recht gefaßt hatte, beweist
nicht allein der in correcter Fassung übergeschriebene Vers, sondern daß sein
Arion ein reifer Jüngling ist, der in der Linken die Leier hält.
Auch die Tradition der Wissenschaft und Kunst geht seltsame Wege. Die
Zeichnungen, welche von Eyriacus heimgebracht in Italien wirkungslos ver-
schollen waren, haben durch entstellte Copien in die Seele des deutschen Künstlers
den Strahl der alten Kunst geworfen, der ihn zu schöpferischer Nachbildung anregte.
Otto Jahr.
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