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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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auch noch nicht gelesen, daß der selige Clauren zum 9, November Z867 neu
erstehen sollte.

Der aber, der bei kommenden Geschlechtern, sowie heute bei uns die Rolle
des literarischen Minos spielt, ist der Antiquar. Nicht meine ich jenen, bei
dem unsere Eltern aus weiser Sparsamkeit einen alten Zumpt oder Ellendt für
uns kauften; auch nicht jenen, der seinen Sitz meist in Seestädten aufgeschlagen
hat und Ausfuhrgeschäfte mit alten Auflagen, mit den zweifelhaften Geistespro-
ducten famoser Autoren, den Casanovas der Jetztzeit, macht, sondern ich meine
jenen, der wie die eben genannten mit Büchern handelt, aber nicht mit solchen, die
erst die Presse verlassen haben, um vielleicht auch ins Inland "exportirt" zu
werden, sondern mit solchen, welche die erste Jugend hinter sich haben und von
den Bücherlagern der Sortimenter verschwunden sind. Diese finden wir dann
beim Antiquar, der mit unerbittlicher Hand die Schafe von den Böcken, das
Gangbare von dem Ungangbaren scheidet und Letzteres hinausstößt, damit es
seinen großen Kreislauf von neuem beginne, damit es von der Papiermühle
über die Druckerei zur Papiermühle zurückkehre. Erst bei dem Antiquar zeigt
es sich, wie die ursprünglich von dem Verleger festgestellten und vom Sortimcnter
angenommenen Preise dem Marktwerthe der Bücher wenig entsprechen. Als
jene die Bücher Herausgaben, nahmen sie die Vcrlagskvsten als Minimum des
zu deckenden Betrags. Dies war die einzige Ziffer, die sich annähernd genau
bestimmen ließ. Der für die Bücher anzusetzende Preis richtete sich weiter nach
dem muthmaßlichen Absätze des Buches, wobei wieder die Thatsache ins Spiel
kam, daß für wohlfeile Bücher das Absatzfeld ein größeres zu sein Pflegt, als
für theure. Eine Menge Möglichkeiten thürmten sich vor dem Verleger auf und
wie leicht er falsch rechnet, sagen ihm seine Geschäftsbücher. Alle diese Sorgen
kennt der Antiquar nicht. Wenn er die Bücher erhält, hat sich das Urtheil
der Welt über ihren Werth festgestellt. Nach diesem und der größern oder ge¬
ringern Seltenheit der Exemplare, und genau nach den andre Handelsgeschäfte
regelnden Gesetzen von Angebot und Begehr richtet er seinen Preis. Daher
der außerordentliche Unterschied zwischen den Preisen der Verleger und Antiquare-
Manches Buch, das dem Verleger schweres Geld kostete, sinkt vielleicht unter
den Werth gewöhnlicher Maculatur, weil es gebunden ist und nicht einmal vom
Metzger zum Einwickeln von Fleisch benutzt werden kann. Andres steigt wieder
zu hohen Preisen auf, weil es selten zu haben ist und in dem Buche nicht der
Werth des Inhalts, sondern der Werth der Ausgabe bezahlt wird. Der Antiquar
würde dich auslachen, botest du ihm einen Neudruck des "Werther" in Tausch
gegen die erste Originalausgabe, und jeder weiß, daß die sogenannten Mm-
pressions" lange nicht den Werth der Originale haben.

So sind die Massen stets im Fluß und der menschliche Geist ist rastlos.
Während er heute auf diesem Gebiete forscht und ringt, klärt sich ab, was ein


auch noch nicht gelesen, daß der selige Clauren zum 9, November Z867 neu
erstehen sollte.

Der aber, der bei kommenden Geschlechtern, sowie heute bei uns die Rolle
des literarischen Minos spielt, ist der Antiquar. Nicht meine ich jenen, bei
dem unsere Eltern aus weiser Sparsamkeit einen alten Zumpt oder Ellendt für
uns kauften; auch nicht jenen, der seinen Sitz meist in Seestädten aufgeschlagen
hat und Ausfuhrgeschäfte mit alten Auflagen, mit den zweifelhaften Geistespro-
ducten famoser Autoren, den Casanovas der Jetztzeit, macht, sondern ich meine
jenen, der wie die eben genannten mit Büchern handelt, aber nicht mit solchen, die
erst die Presse verlassen haben, um vielleicht auch ins Inland „exportirt" zu
werden, sondern mit solchen, welche die erste Jugend hinter sich haben und von
den Bücherlagern der Sortimenter verschwunden sind. Diese finden wir dann
beim Antiquar, der mit unerbittlicher Hand die Schafe von den Böcken, das
Gangbare von dem Ungangbaren scheidet und Letzteres hinausstößt, damit es
seinen großen Kreislauf von neuem beginne, damit es von der Papiermühle
über die Druckerei zur Papiermühle zurückkehre. Erst bei dem Antiquar zeigt
es sich, wie die ursprünglich von dem Verleger festgestellten und vom Sortimcnter
angenommenen Preise dem Marktwerthe der Bücher wenig entsprechen. Als
jene die Bücher Herausgaben, nahmen sie die Vcrlagskvsten als Minimum des
zu deckenden Betrags. Dies war die einzige Ziffer, die sich annähernd genau
bestimmen ließ. Der für die Bücher anzusetzende Preis richtete sich weiter nach
dem muthmaßlichen Absätze des Buches, wobei wieder die Thatsache ins Spiel
kam, daß für wohlfeile Bücher das Absatzfeld ein größeres zu sein Pflegt, als
für theure. Eine Menge Möglichkeiten thürmten sich vor dem Verleger auf und
wie leicht er falsch rechnet, sagen ihm seine Geschäftsbücher. Alle diese Sorgen
kennt der Antiquar nicht. Wenn er die Bücher erhält, hat sich das Urtheil
der Welt über ihren Werth festgestellt. Nach diesem und der größern oder ge¬
ringern Seltenheit der Exemplare, und genau nach den andre Handelsgeschäfte
regelnden Gesetzen von Angebot und Begehr richtet er seinen Preis. Daher
der außerordentliche Unterschied zwischen den Preisen der Verleger und Antiquare-
Manches Buch, das dem Verleger schweres Geld kostete, sinkt vielleicht unter
den Werth gewöhnlicher Maculatur, weil es gebunden ist und nicht einmal vom
Metzger zum Einwickeln von Fleisch benutzt werden kann. Andres steigt wieder
zu hohen Preisen auf, weil es selten zu haben ist und in dem Buche nicht der
Werth des Inhalts, sondern der Werth der Ausgabe bezahlt wird. Der Antiquar
würde dich auslachen, botest du ihm einen Neudruck des „Werther" in Tausch
gegen die erste Originalausgabe, und jeder weiß, daß die sogenannten Mm-
pressions" lange nicht den Werth der Originale haben.

So sind die Massen stets im Fluß und der menschliche Geist ist rastlos.
Während er heute auf diesem Gebiete forscht und ringt, klärt sich ab, was ein


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[0193] auch noch nicht gelesen, daß der selige Clauren zum 9, November Z867 neu erstehen sollte. Der aber, der bei kommenden Geschlechtern, sowie heute bei uns die Rolle des literarischen Minos spielt, ist der Antiquar. Nicht meine ich jenen, bei dem unsere Eltern aus weiser Sparsamkeit einen alten Zumpt oder Ellendt für uns kauften; auch nicht jenen, der seinen Sitz meist in Seestädten aufgeschlagen hat und Ausfuhrgeschäfte mit alten Auflagen, mit den zweifelhaften Geistespro- ducten famoser Autoren, den Casanovas der Jetztzeit, macht, sondern ich meine jenen, der wie die eben genannten mit Büchern handelt, aber nicht mit solchen, die erst die Presse verlassen haben, um vielleicht auch ins Inland „exportirt" zu werden, sondern mit solchen, welche die erste Jugend hinter sich haben und von den Bücherlagern der Sortimenter verschwunden sind. Diese finden wir dann beim Antiquar, der mit unerbittlicher Hand die Schafe von den Böcken, das Gangbare von dem Ungangbaren scheidet und Letzteres hinausstößt, damit es seinen großen Kreislauf von neuem beginne, damit es von der Papiermühle über die Druckerei zur Papiermühle zurückkehre. Erst bei dem Antiquar zeigt es sich, wie die ursprünglich von dem Verleger festgestellten und vom Sortimcnter angenommenen Preise dem Marktwerthe der Bücher wenig entsprechen. Als jene die Bücher Herausgaben, nahmen sie die Vcrlagskvsten als Minimum des zu deckenden Betrags. Dies war die einzige Ziffer, die sich annähernd genau bestimmen ließ. Der für die Bücher anzusetzende Preis richtete sich weiter nach dem muthmaßlichen Absätze des Buches, wobei wieder die Thatsache ins Spiel kam, daß für wohlfeile Bücher das Absatzfeld ein größeres zu sein Pflegt, als für theure. Eine Menge Möglichkeiten thürmten sich vor dem Verleger auf und wie leicht er falsch rechnet, sagen ihm seine Geschäftsbücher. Alle diese Sorgen kennt der Antiquar nicht. Wenn er die Bücher erhält, hat sich das Urtheil der Welt über ihren Werth festgestellt. Nach diesem und der größern oder ge¬ ringern Seltenheit der Exemplare, und genau nach den andre Handelsgeschäfte regelnden Gesetzen von Angebot und Begehr richtet er seinen Preis. Daher der außerordentliche Unterschied zwischen den Preisen der Verleger und Antiquare- Manches Buch, das dem Verleger schweres Geld kostete, sinkt vielleicht unter den Werth gewöhnlicher Maculatur, weil es gebunden ist und nicht einmal vom Metzger zum Einwickeln von Fleisch benutzt werden kann. Andres steigt wieder zu hohen Preisen auf, weil es selten zu haben ist und in dem Buche nicht der Werth des Inhalts, sondern der Werth der Ausgabe bezahlt wird. Der Antiquar würde dich auslachen, botest du ihm einen Neudruck des „Werther" in Tausch gegen die erste Originalausgabe, und jeder weiß, daß die sogenannten Mm- pressions" lange nicht den Werth der Originale haben. So sind die Massen stets im Fluß und der menschliche Geist ist rastlos. Während er heute auf diesem Gebiete forscht und ringt, klärt sich ab, was ein

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/193>, abgerufen am 15.01.2025.