Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.und Clemens vortragen, ist ein Christenthum, das noch wesentlich an das Ju- Genau mit denselben Gründen hatten die judaistischcn Gegner die Auto¬ und Clemens vortragen, ist ein Christenthum, das noch wesentlich an das Ju- Genau mit denselben Gründen hatten die judaistischcn Gegner die Auto¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0188" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191418"/> <p xml:id="ID_522" prev="#ID_521"> und Clemens vortragen, ist ein Christenthum, das noch wesentlich an das Ju-<lb/> denthum gebunden ist; das für alle Völker bestimmt ist, aber nur die Vollendung<lb/> des alttestamentlichen Gesetzes sein will. Zwischen der Lehre Jesu und der<lb/> Lehre des Moses besteht kein wesentlicher Unterschied, Gott nimmt jeden an,<lb/> der an einen von beiden glaubt, das Christenthum ist nur das reformirte, gereinigte<lb/> und erweiterte Judenthum. Simon dagegen tritt auf als Vertreter der Denkart,<lb/> welche die christliche Lehre mit heidnischen Speculationen versetzte, als Vertreter<lb/> der gnostischen Emanationssystemc, ganz besonders aber als Vertreter der Lehre<lb/> des Marcion, der ein einseitiger, fanatischer Pauliner war. Es wird somit, ab¬<lb/> gesehen von seinen falschen Künsten, vieles auf Simon übertragen, wofür<lb/> Paulus gar nicht oder nur indirect verantwortlich war. Aber nun begegnen<lb/> wir außerdem einer Anzahl Stellen, in welchen die persönliche Anspielung auf<lb/> Paulus unverkennbar ist, in welchen er gradezu als Paulus erscheint, der in<lb/> den Clementinen nirgends genannt ist, aber eben in solchen verdeckten Anspie¬<lb/> lungen getroffen werden soll. So z. B. in der großen Disputation zu Lao-<lb/> dikeia, wo Petrus dem Simon ganz dieselben Vorwürfe macht, wie sie Paulus<lb/> noch bei Lebzeiten von den Judenchristen hören mußte. Simon behauptet<lb/> nämlich, Christus sei ihm in einer Vision erschienen, und da die Wahrheit au¬<lb/> thentischer durch Erscheinungen als durch persönlichen Umgang vermittelt werde,<lb/> verstehe er die Lehre besser als Petrus. Dieser erwidert ihm: „wenn dir unser<lb/> Jesus in Gesichten erschienen ist, so hat er es gethan, weil er dir als einem<lb/> Feind zürnte; deswegen hat er durch Gesichte und Traume mit dir geredet.<lb/> Kann aber einer durch Visionen die Befähigung zum Lehramt erhalten? Wie<lb/> kommt es dann, daß der Lehrer ein ganzes Jahr mit Wachenden beständigen<lb/> Umgang gehabt hat? Und wie sollen wir für wahr halten, daß er dir erschien?<lb/> Wie kann er dir erschienen sein, da du nicht übereinstimmend mit seiner Lehre<lb/> denkst? Bist du, auch nur eine Stunde seines Anblicks theilhaftig, von ihm<lb/> belehrt und zum Apostel befugt worden, so verkündige seine Lehre, liebe seine<lb/> Apostel und Streite nicht mit mir, der ich mit ihm zusammen war. Denn gegen<lb/> mich, der ich ein fester Fels bin, das Fundament der Kirche, bist du aufgestan¬<lb/> den, und wenn du mich verurtheilt nennst, so klagst du Gott an, der mir<lb/> Christus geoffenbart hat, und fährst gegen den los, der mich wegen dieser Of¬<lb/> fenbarung selig gepriesen hat."</p><lb/> <p xml:id="ID_523" next="#ID_524"> Genau mit denselben Gründen hatten die judaistischcn Gegner die Auto¬<lb/> rität des Paulus angegriffen, gegen dieselben Vorwürfe hatte er sich in den<lb/> Briefen an die Galater und Korinther zu rechtfertigen. Mit welchem Eifer<lb/> sieht er sich hier genöthigt, die Realität seiner Christuserscheinungcn zu ver¬<lb/> theidigen, da die Gegner solchen Visionen, auf die er sich berief, allen Werth<lb/> absprachen und nur den unmittelbaren persönlichen Umgang mit Jesus als ein¬<lb/> zigen Rechtstitel auf das apostolische Amt gelten lassen wollten. Und wie hat</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0188]
und Clemens vortragen, ist ein Christenthum, das noch wesentlich an das Ju-
denthum gebunden ist; das für alle Völker bestimmt ist, aber nur die Vollendung
des alttestamentlichen Gesetzes sein will. Zwischen der Lehre Jesu und der
Lehre des Moses besteht kein wesentlicher Unterschied, Gott nimmt jeden an,
der an einen von beiden glaubt, das Christenthum ist nur das reformirte, gereinigte
und erweiterte Judenthum. Simon dagegen tritt auf als Vertreter der Denkart,
welche die christliche Lehre mit heidnischen Speculationen versetzte, als Vertreter
der gnostischen Emanationssystemc, ganz besonders aber als Vertreter der Lehre
des Marcion, der ein einseitiger, fanatischer Pauliner war. Es wird somit, ab¬
gesehen von seinen falschen Künsten, vieles auf Simon übertragen, wofür
Paulus gar nicht oder nur indirect verantwortlich war. Aber nun begegnen
wir außerdem einer Anzahl Stellen, in welchen die persönliche Anspielung auf
Paulus unverkennbar ist, in welchen er gradezu als Paulus erscheint, der in
den Clementinen nirgends genannt ist, aber eben in solchen verdeckten Anspie¬
lungen getroffen werden soll. So z. B. in der großen Disputation zu Lao-
dikeia, wo Petrus dem Simon ganz dieselben Vorwürfe macht, wie sie Paulus
noch bei Lebzeiten von den Judenchristen hören mußte. Simon behauptet
nämlich, Christus sei ihm in einer Vision erschienen, und da die Wahrheit au¬
thentischer durch Erscheinungen als durch persönlichen Umgang vermittelt werde,
verstehe er die Lehre besser als Petrus. Dieser erwidert ihm: „wenn dir unser
Jesus in Gesichten erschienen ist, so hat er es gethan, weil er dir als einem
Feind zürnte; deswegen hat er durch Gesichte und Traume mit dir geredet.
Kann aber einer durch Visionen die Befähigung zum Lehramt erhalten? Wie
kommt es dann, daß der Lehrer ein ganzes Jahr mit Wachenden beständigen
Umgang gehabt hat? Und wie sollen wir für wahr halten, daß er dir erschien?
Wie kann er dir erschienen sein, da du nicht übereinstimmend mit seiner Lehre
denkst? Bist du, auch nur eine Stunde seines Anblicks theilhaftig, von ihm
belehrt und zum Apostel befugt worden, so verkündige seine Lehre, liebe seine
Apostel und Streite nicht mit mir, der ich mit ihm zusammen war. Denn gegen
mich, der ich ein fester Fels bin, das Fundament der Kirche, bist du aufgestan¬
den, und wenn du mich verurtheilt nennst, so klagst du Gott an, der mir
Christus geoffenbart hat, und fährst gegen den los, der mich wegen dieser Of¬
fenbarung selig gepriesen hat."
Genau mit denselben Gründen hatten die judaistischcn Gegner die Auto¬
rität des Paulus angegriffen, gegen dieselben Vorwürfe hatte er sich in den
Briefen an die Galater und Korinther zu rechtfertigen. Mit welchem Eifer
sieht er sich hier genöthigt, die Realität seiner Christuserscheinungcn zu ver¬
theidigen, da die Gegner solchen Visionen, auf die er sich berief, allen Werth
absprachen und nur den unmittelbaren persönlichen Umgang mit Jesus als ein¬
zigen Rechtstitel auf das apostolische Amt gelten lassen wollten. Und wie hat
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