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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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ist es nur, daß er viel Zeit und Geld kostet, und unsere Finanz, und Geistes¬
kräfte, die auf andere Dinge verwandt bessere Früchte trügen, alle für sich ab-
sorbirt. Denn dieser "treue Gefährte" ist doch ein garstiger Egoist.

Hieraus erklärt es sich, daß die Kurhessen einen besonderen Werth legen
erstens auf ihre Rechtspflege, zweitens auf ihre Finanzen, namentlich soweit
deren Sicherstellung in einem langwierigen und schwierigen Kampfe mit der
depossedirten Dynastie errungen worden ist, und daß selbst der eifrigste natio¬
nale Unitarier diese beiden Bestände des kurhessischen Inventars mehr oder
weniger für ein "Uoli me dangers" erklärt.

Die Geschichte Kurhesseus während der letzten hundert Jahre ist fast iden¬
tisch mit der Geschichte des sogenannten "Haus- und Staatsschatzes". Ich darf
voraussetzen, daß meine Leser bekannt sind mit dem Menschenhandel, den die
Kurfürsten trieben. Wer sich näher darüber unterrichten will, der findet in der
wahrhaft classischen Monographie von Friedrich Kapp in Newyork "Der Sol¬
datenhandel deutscher Fürsten nach Amerika; 1775 bis 1783" (Berlin, Duncker
1864) eine ebenso ergreifende als wahrheitsgetreue Schilderung dieses Schand¬
flecks deutscher Culturgeschichte. Friedrich der Große verlangte damals Fleisch-
accis (Schlachtsteuer) von den verkauften Kurhessen, welche das preußische
Gebiet passirten. Ein Sarkasmus von wahrhaft vernichtender Schärfe! Aus
dem Blutgelde, welches die Kurfürsten erlösten für die Landeskinder, die sie im
vorigen Jahrhundert an England zum Zwecke der Verwendung in Amerika
verkauften, wurde dieser Schatz gebildet. Der Unsegen seines Ursprungs .blieb
auf ihm hasten. Er bildete einen Zankapfel zwischen dem Fürsten und den
Ständen. Jener reclamirte ihn für seine Familie, diese vindicirten dem Lande
das Eigenthum, welches es durch das Blut seiner Söhne erworben. Endlich
im Jahre 1831, gleichzeitig mit der Vereinbarung der Verfassung, kam auch
über diesen Streitpunkt ein Compromiß zu Stande. Man theilte das Capital
Und die Einkünfte zwischen dem kurfürstlichen Hause und dem Staate zu gleichen
Theilen. Jedes erhielt die Hälfte. Zugleich wurde eine abgesonderte Verwaltung
constituirt und unter die Controle der Stände und ihres bleibenden Ausschusses
gesetzt. Dieser Friedensschluß wurde durch das Gesetz vom 27. Februar 1831
besiegelt. Allein der Kurfürst, bedient von juristischen Lakaienseelcn, hielt immer
an der Hoffnung fest, es könne bei irgendwelchen im Schooße der Zukunft
ruhenden Eventualitäten gelingen, das Ganze, Capital und Erträgnisse, seiner
Familie zu revindicircn. Demgemäß richtete er sein Verfahren ein. Die dem
Lande zukommenden Schatzeinkünste von jener Hälfte, von welcher durch das
Gesetz vom 27. Februar 1831 "die Bildung und Verwaltung des Staatsschatzes
betreffend" auf das feierlichste proclamirt worden war, daß sie "für immer das
unbezweifelte und ausschließliche Eigenthum des Landes sein solle", waren zu
Gunsten des Landes zu verwenden. Man konnte sie zu den laufenden Aus-


ist es nur, daß er viel Zeit und Geld kostet, und unsere Finanz, und Geistes¬
kräfte, die auf andere Dinge verwandt bessere Früchte trügen, alle für sich ab-
sorbirt. Denn dieser „treue Gefährte" ist doch ein garstiger Egoist.

Hieraus erklärt es sich, daß die Kurhessen einen besonderen Werth legen
erstens auf ihre Rechtspflege, zweitens auf ihre Finanzen, namentlich soweit
deren Sicherstellung in einem langwierigen und schwierigen Kampfe mit der
depossedirten Dynastie errungen worden ist, und daß selbst der eifrigste natio¬
nale Unitarier diese beiden Bestände des kurhessischen Inventars mehr oder
weniger für ein „Uoli me dangers" erklärt.

Die Geschichte Kurhesseus während der letzten hundert Jahre ist fast iden¬
tisch mit der Geschichte des sogenannten „Haus- und Staatsschatzes". Ich darf
voraussetzen, daß meine Leser bekannt sind mit dem Menschenhandel, den die
Kurfürsten trieben. Wer sich näher darüber unterrichten will, der findet in der
wahrhaft classischen Monographie von Friedrich Kapp in Newyork „Der Sol¬
datenhandel deutscher Fürsten nach Amerika; 1775 bis 1783" (Berlin, Duncker
1864) eine ebenso ergreifende als wahrheitsgetreue Schilderung dieses Schand¬
flecks deutscher Culturgeschichte. Friedrich der Große verlangte damals Fleisch-
accis (Schlachtsteuer) von den verkauften Kurhessen, welche das preußische
Gebiet passirten. Ein Sarkasmus von wahrhaft vernichtender Schärfe! Aus
dem Blutgelde, welches die Kurfürsten erlösten für die Landeskinder, die sie im
vorigen Jahrhundert an England zum Zwecke der Verwendung in Amerika
verkauften, wurde dieser Schatz gebildet. Der Unsegen seines Ursprungs .blieb
auf ihm hasten. Er bildete einen Zankapfel zwischen dem Fürsten und den
Ständen. Jener reclamirte ihn für seine Familie, diese vindicirten dem Lande
das Eigenthum, welches es durch das Blut seiner Söhne erworben. Endlich
im Jahre 1831, gleichzeitig mit der Vereinbarung der Verfassung, kam auch
über diesen Streitpunkt ein Compromiß zu Stande. Man theilte das Capital
Und die Einkünfte zwischen dem kurfürstlichen Hause und dem Staate zu gleichen
Theilen. Jedes erhielt die Hälfte. Zugleich wurde eine abgesonderte Verwaltung
constituirt und unter die Controle der Stände und ihres bleibenden Ausschusses
gesetzt. Dieser Friedensschluß wurde durch das Gesetz vom 27. Februar 1831
besiegelt. Allein der Kurfürst, bedient von juristischen Lakaienseelcn, hielt immer
an der Hoffnung fest, es könne bei irgendwelchen im Schooße der Zukunft
ruhenden Eventualitäten gelingen, das Ganze, Capital und Erträgnisse, seiner
Familie zu revindicircn. Demgemäß richtete er sein Verfahren ein. Die dem
Lande zukommenden Schatzeinkünste von jener Hälfte, von welcher durch das
Gesetz vom 27. Februar 1831 „die Bildung und Verwaltung des Staatsschatzes
betreffend" auf das feierlichste proclamirt worden war, daß sie „für immer das
unbezweifelte und ausschließliche Eigenthum des Landes sein solle", waren zu
Gunsten des Landes zu verwenden. Man konnte sie zu den laufenden Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/175>, abgerufen am 15.01.2025.