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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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gewesen, mit dem kein Bund zu flechten ist für eine Nationalität, die sich und
ihre Eigenthümlichkeit wahren will.

Geht man gar auf eine Prüfung der Zusammensetzung und der specifischen
Wünsche und Förderungen der czechischen Nationalpartei ein. so wird man sich
vollends davon überzeugen, daß dieselbe bei einem Anschluß an Nußland nimmer"
mehr ihre Rechnung finden könnte und alle Ursache hat, den östreichischen Dua¬
lismus oder Centra'lismus einer russischen Herrschaft vorzuziehen. Ein schrofferer
Gegensatz ist kaum denkbar als der, in welchem die böhmischen Feudalen und
Aristokraten, welche die Hauptstütze des Czechcnthums bilden, zu der nivellirenden
russischen Demokratie stehen, der es eingestandenermaßen um die Herstellung
eines "Baucrnrußland" (Kreßtjansl'aja Nuß) und um die Verlegung alles po¬
litischen Gewichts in die unteren Classen der Gesellschaft zu thun ist.
"

Die um das Petersburger Journal "Wesstj gcschaarte russische Aristokratie
ist immer noch sehr viel freisinniger, als die Gruppe jener Martinez, Thun,
Clam Gallas und Schwarzenberg, in deren Namen das "Vaterland" redet, und
doch wird sie von der herrschenden demokratisch-nationalen Partei auf das
leidenschaftlichste angefeindet und als liberale Freundin der Leibeigenschaft und
des occidentalen Feudalismus verlästert! Und selbst die demokratisch-czechische
Fraction ist von den russischen Panslawisten -- ganz abgesehen von den Diffe¬
renzen über äußere Fragen -- durch eine unausfüllbare Kluft geschieden. Werden
die Braun, Rieger und Palazky etwa Lust haben, das Princip des persönlichen
Eigenthums zu'Gunsten des socialistischen Gemeindebesitzes, mit welchem die
russische Demokratie die Welt erobern will, zu opfern? Kann es ihnen in den
Sinn kommen, alles was sie von westeuropäischer Cultur besitzen, als occiden-
talen "Paganismus" über Bord zu werfen und es mit einem Neubau zu ver¬
suche", über dessen Fundamente die Werkleute selbst noch nicht einig sind?

Es ließe sich das Thema von der Unmöglichkeit einer Ausgleichung der
Gegensätze zwischen Czechen und Russen noch weiter ausführen und mit zahl¬
reichen Beispielen belegen. Wie wir die Dinge ansehen, genügt die Bekannt¬
schaft mit den Grundprincipien der beiden Parteien, welche die russische Auf¬
fassung der pansl>iwistischen Idee repräsentiren, um zu erkennen, daß eine Ver¬
ständigung der Czechen mit den Deutsch-Oestreichern viel weniger unwahr¬
scheinlich ist, als die Herstellung einer Interessen- und Principiensolidarität zwi¬
schen den Anwohnern der Moldau und denen der Wolga und Moskwa. Die
Czechen sind Westeuropäer im eigentlichsten Sinne des Worts und trotz alles
Eigensinns und aller Ueberschwänglichkeit ihrer national-slawischen Ansprüche
werden sie es in der entscheidenden Stunde und vielleicht schon früher vorziehen,
etwas von den Herrschafts- und Selbständigfeitsgelüsien ihrer Race aufzugeben,
als ihre gesammte Cultur zu Gunsten eines Volks zu opfern, von dem sie zu
lange geschieden gewesen sind, als daß eine wirkliche Verschmelzung und Ver¬
ständigung denkbar wäre. Ob Oestreich sich in Galizien zu behaupten und die
Asstmilattvnsgelüste der Ruthenen !zu überwinden im Stande ist, wissen wir
nicht -- von'den panslawistischen Neigungen seiner czechischen Bürger hat
es im Ernste nichts zu fürchten.




gewesen, mit dem kein Bund zu flechten ist für eine Nationalität, die sich und
ihre Eigenthümlichkeit wahren will.

Geht man gar auf eine Prüfung der Zusammensetzung und der specifischen
Wünsche und Förderungen der czechischen Nationalpartei ein. so wird man sich
vollends davon überzeugen, daß dieselbe bei einem Anschluß an Nußland nimmer«
mehr ihre Rechnung finden könnte und alle Ursache hat, den östreichischen Dua¬
lismus oder Centra'lismus einer russischen Herrschaft vorzuziehen. Ein schrofferer
Gegensatz ist kaum denkbar als der, in welchem die böhmischen Feudalen und
Aristokraten, welche die Hauptstütze des Czechcnthums bilden, zu der nivellirenden
russischen Demokratie stehen, der es eingestandenermaßen um die Herstellung
eines „Baucrnrußland" (Kreßtjansl'aja Nuß) und um die Verlegung alles po¬
litischen Gewichts in die unteren Classen der Gesellschaft zu thun ist.
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Die um das Petersburger Journal „Wesstj gcschaarte russische Aristokratie
ist immer noch sehr viel freisinniger, als die Gruppe jener Martinez, Thun,
Clam Gallas und Schwarzenberg, in deren Namen das „Vaterland" redet, und
doch wird sie von der herrschenden demokratisch-nationalen Partei auf das
leidenschaftlichste angefeindet und als liberale Freundin der Leibeigenschaft und
des occidentalen Feudalismus verlästert! Und selbst die demokratisch-czechische
Fraction ist von den russischen Panslawisten — ganz abgesehen von den Diffe¬
renzen über äußere Fragen — durch eine unausfüllbare Kluft geschieden. Werden
die Braun, Rieger und Palazky etwa Lust haben, das Princip des persönlichen
Eigenthums zu'Gunsten des socialistischen Gemeindebesitzes, mit welchem die
russische Demokratie die Welt erobern will, zu opfern? Kann es ihnen in den
Sinn kommen, alles was sie von westeuropäischer Cultur besitzen, als occiden-
talen „Paganismus" über Bord zu werfen und es mit einem Neubau zu ver¬
suche», über dessen Fundamente die Werkleute selbst noch nicht einig sind?

Es ließe sich das Thema von der Unmöglichkeit einer Ausgleichung der
Gegensätze zwischen Czechen und Russen noch weiter ausführen und mit zahl¬
reichen Beispielen belegen. Wie wir die Dinge ansehen, genügt die Bekannt¬
schaft mit den Grundprincipien der beiden Parteien, welche die russische Auf¬
fassung der pansl>iwistischen Idee repräsentiren, um zu erkennen, daß eine Ver¬
ständigung der Czechen mit den Deutsch-Oestreichern viel weniger unwahr¬
scheinlich ist, als die Herstellung einer Interessen- und Principiensolidarität zwi¬
schen den Anwohnern der Moldau und denen der Wolga und Moskwa. Die
Czechen sind Westeuropäer im eigentlichsten Sinne des Worts und trotz alles
Eigensinns und aller Ueberschwänglichkeit ihrer national-slawischen Ansprüche
werden sie es in der entscheidenden Stunde und vielleicht schon früher vorziehen,
etwas von den Herrschafts- und Selbständigfeitsgelüsien ihrer Race aufzugeben,
als ihre gesammte Cultur zu Gunsten eines Volks zu opfern, von dem sie zu
lange geschieden gewesen sind, als daß eine wirkliche Verschmelzung und Ver¬
ständigung denkbar wäre. Ob Oestreich sich in Galizien zu behaupten und die
Asstmilattvnsgelüste der Ruthenen !zu überwinden im Stande ist, wissen wir
nicht — von'den panslawistischen Neigungen seiner czechischen Bürger hat
es im Ernste nichts zu fürchten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/167>, abgerufen am 15.01.2025.