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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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für eine so unverfängliche Garantieleistung drei Tage Zeit zur Ueberlegung gegönnt
habe." dahin zu beantworten, "daß ihm die Abneigung des englischen Publikums
vor jeder neuen Staatsverpflichtung diese Bedenken eingeflößt habe." Die
Garantie für Luxemburg hatte aber England laut des Vertrags von 1839
und § 2. des Traktats vom 11. Mai notorisch schon vor 28 Jahren
übernommen!

Nur der wackere alte Carl Rüssel legte an diesem Tage Verwahrung ein
gegen diese frivole und schimpfliche Verhöhnung feierlicher Staatsverträge.
Ihm nach erscholl der Ingrimm der deutsch-nationalen Presse, vor allem der
preußischen Ministerialblätter.

Aber nicht minder häßlich waren darum die Scenen im englischen Ober-
Hause in der Sitzung vom 4. Juli d. I.

Hier entwickelte Lord Houghton klar und scharf die Blößen der derbyschen
Interpretation. "Doch wahrlich nicht gegen die Türkei, gegen Spanien, Däne¬
mark oder Griechenland, rief er, hat man die Neutralität Luxemburgs auf¬
gerichtet und garantirt. sondern gegen einige der vornehmsten Unterzeichner des
Tractates vom 11. Mai selber. Der Vertrag fällt also, nach der Interpretation
Derbys, wenn durch den Tractatbruch eines Garanten alle übrigen ihrer Ver¬
pflichtungen enthoben sind, grade in den Fällen dahin, gegen die man ihn
vornehmlich geschlossen. Die Collectivgarantie läßt sich, schlechterdings nicht
anders verstehen als eine gemeinsame Verpflichtung aller Garanten gegen
jedweden Störer der garantirten Neutralität Luxemburgs."

Hiergegen fühlte sich Lord Derby gedrungen, zunächst den unbestrittenen
Satz ins Feld zu führen, daß eine Collectivgarantie die Paciscenten nur soweit
binde, als der Garantievertrag von allen in derselben Weise interpretirt werde.*)
Nur ist das Citat dieses Satzes im vorliegenden Falle unglaublich unglücklich
gewählt. Denn erstens läßt über die unbedingte Neutralitätsqualität Luxem¬
burgs der Vertrag vom 11. Mai nicht den geringsten Zweifel aufkommen, und
zweitens hat der vom englischen Premier citirte Satz auch die sehr unliebsame
und für den von ihm angetretenen Beweis sehr bedenkliche Kehrseite, "daß der
zum Beistand aufgerufene Garant dem Vertrage keine andere Auslegung geben
darf, als worüber die Hauptparteien einig sind, mindestens keinen andern, als
welchen der anrufende Theil damit verbunden haben will," und daß er, von
beiden Parteien aufgerufen, zwar das Recht der Auslegung, "jedoch nicht über
die beiderseitige," wenn auch verschiedene Ansicht hinaus, hat.**)

Als offen verkündete SelbstbankrotterMrung der Staatsmacht des Ehrgefühls
und des öffentlichen Gewissens von Großbritannien vollends ist es zu betrachten,




-) Heffter, § 97. S. 171.
<") Heffter, ebendas.

für eine so unverfängliche Garantieleistung drei Tage Zeit zur Ueberlegung gegönnt
habe." dahin zu beantworten, „daß ihm die Abneigung des englischen Publikums
vor jeder neuen Staatsverpflichtung diese Bedenken eingeflößt habe." Die
Garantie für Luxemburg hatte aber England laut des Vertrags von 1839
und § 2. des Traktats vom 11. Mai notorisch schon vor 28 Jahren
übernommen!

Nur der wackere alte Carl Rüssel legte an diesem Tage Verwahrung ein
gegen diese frivole und schimpfliche Verhöhnung feierlicher Staatsverträge.
Ihm nach erscholl der Ingrimm der deutsch-nationalen Presse, vor allem der
preußischen Ministerialblätter.

Aber nicht minder häßlich waren darum die Scenen im englischen Ober-
Hause in der Sitzung vom 4. Juli d. I.

Hier entwickelte Lord Houghton klar und scharf die Blößen der derbyschen
Interpretation. „Doch wahrlich nicht gegen die Türkei, gegen Spanien, Däne¬
mark oder Griechenland, rief er, hat man die Neutralität Luxemburgs auf¬
gerichtet und garantirt. sondern gegen einige der vornehmsten Unterzeichner des
Tractates vom 11. Mai selber. Der Vertrag fällt also, nach der Interpretation
Derbys, wenn durch den Tractatbruch eines Garanten alle übrigen ihrer Ver¬
pflichtungen enthoben sind, grade in den Fällen dahin, gegen die man ihn
vornehmlich geschlossen. Die Collectivgarantie läßt sich, schlechterdings nicht
anders verstehen als eine gemeinsame Verpflichtung aller Garanten gegen
jedweden Störer der garantirten Neutralität Luxemburgs."

Hiergegen fühlte sich Lord Derby gedrungen, zunächst den unbestrittenen
Satz ins Feld zu führen, daß eine Collectivgarantie die Paciscenten nur soweit
binde, als der Garantievertrag von allen in derselben Weise interpretirt werde.*)
Nur ist das Citat dieses Satzes im vorliegenden Falle unglaublich unglücklich
gewählt. Denn erstens läßt über die unbedingte Neutralitätsqualität Luxem¬
burgs der Vertrag vom 11. Mai nicht den geringsten Zweifel aufkommen, und
zweitens hat der vom englischen Premier citirte Satz auch die sehr unliebsame
und für den von ihm angetretenen Beweis sehr bedenkliche Kehrseite, „daß der
zum Beistand aufgerufene Garant dem Vertrage keine andere Auslegung geben
darf, als worüber die Hauptparteien einig sind, mindestens keinen andern, als
welchen der anrufende Theil damit verbunden haben will," und daß er, von
beiden Parteien aufgerufen, zwar das Recht der Auslegung, „jedoch nicht über
die beiderseitige," wenn auch verschiedene Ansicht hinaus, hat.**)

Als offen verkündete SelbstbankrotterMrung der Staatsmacht des Ehrgefühls
und des öffentlichen Gewissens von Großbritannien vollends ist es zu betrachten,




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/159>, abgerufen am 15.01.2025.