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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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tralisirt ist, so wird die Aufrechterhaltung oder die Gründung fester Plätze
auf seinem Gebiet ohne Nutzen und Gegenstand. Infolge dessen
ist man übereingekommen, daß die Stadt Luxemburg aufhören soll, eine befestigte
Stadt zu sein."

Nicht minder erklärt dann Preußen in Art. 4 das Besatzungsrecht in Luxem¬
burg nur "gemäß den in Art. 2 und 3 enthaltenen Stipulationen", d. h. doch
nur so weit und so lange diese Basis des Vertrags von den Contractsmächten
gehalten und aufrechterhalten wird, ausgeben zu wollen.

Das Wuthgeschrei der französischen Chauvinisten und nicht minder unsrer
Particularisten, das sofort nach Bekanntwerden des londoner Vertrags in Scene
gesetzt wurde, leistete allen denen, die sich den Vertrag vom 11. Mai nicht näher
zurechtzulegen in der Lage waren und nur das beschämende Gefühl des dem-
nächstigen Abmarsches der preußischen Garnison aus Luxemburg in sich hegten,
den sichern Trost, daß Preußen auch hier das Rechte getroffen und mindestens
keine Schande auf uns geladen habe. Diejenigen aber, die den Vertrag völker¬
rechtlich zu lesen verstanden, erblickten darin mit Freuden alle nur möglichen
Garantien für die beschlossene Neutralität. Jeder freilich mußte daneben klar
sein, daß damit Luxemburg nicht aus der Erde gerissen und unnahbar und un¬
veräußerlich als wie Sterne selbst an den Himmel gehangen sei. Jeder sah in
einem europäischen Kriege die Möglichkeit gegeben, daß eine oder mehrere der
an dem Kriege betheiligten oder in stiller Parteinahme befangenen Garanten des
Vertrags vom 11. Mai einem Attentat auf die Neutralität Luxemburgs mehr
oder minder passiv zuschauen, daß wohl auch eine oder die andere kriegführende
Macht sich denDurchmarsch oder das Schlachtterrain in Luxemburg erzwingen werde.

Aber das hatte niemand erwartet, daß England, der Staat, auf dessen
Einladung und Ehrlichkeit gestützt der Congreß sich zusammengefunden, das
schon die gastliche Verpflichtung hatte, keinen der an der Themse Erschienenen
zu beleidigen, daß der Staat, von dessen Zähigkeit des Entschlusses man ein
um so treueres, mannhafteres Festhalten am gegebenen Worte erwarten durfte:
daß dieser Staat in der unerhörtesten Weise seine Ehren- und Vertrags¬
verpflichtungen ableugnen, und der öffentlichen Moral Europas zum Scandal
dienen werdet

Dies ist geschehen!

Die zwerghaften Epigonen der Pitt, George Canning und Robert Peel im
Verein mit jener erlauchten Aristokratie Altenglands, die man uns Deutschen
als unerreichbare Musterbilder wahrhaft hohen patriotischen Adels mit Recht
so oft gepriesen, nicht minder die Männer, die das N. ?- (member ok?ar-
liarnent) unter ihrem Namen ihr Lebtag als einen weit über die Grenzen
ihres Vaterlandes geschätzten höchsten Ehrentitel halten -- sie alle haben -- mit
wenigen rühmlichen Ausnahmen -- eine solche Interpretation des Vertrages vom


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tralisirt ist, so wird die Aufrechterhaltung oder die Gründung fester Plätze
auf seinem Gebiet ohne Nutzen und Gegenstand. Infolge dessen
ist man übereingekommen, daß die Stadt Luxemburg aufhören soll, eine befestigte
Stadt zu sein."

Nicht minder erklärt dann Preußen in Art. 4 das Besatzungsrecht in Luxem¬
burg nur „gemäß den in Art. 2 und 3 enthaltenen Stipulationen", d. h. doch
nur so weit und so lange diese Basis des Vertrags von den Contractsmächten
gehalten und aufrechterhalten wird, ausgeben zu wollen.

Das Wuthgeschrei der französischen Chauvinisten und nicht minder unsrer
Particularisten, das sofort nach Bekanntwerden des londoner Vertrags in Scene
gesetzt wurde, leistete allen denen, die sich den Vertrag vom 11. Mai nicht näher
zurechtzulegen in der Lage waren und nur das beschämende Gefühl des dem-
nächstigen Abmarsches der preußischen Garnison aus Luxemburg in sich hegten,
den sichern Trost, daß Preußen auch hier das Rechte getroffen und mindestens
keine Schande auf uns geladen habe. Diejenigen aber, die den Vertrag völker¬
rechtlich zu lesen verstanden, erblickten darin mit Freuden alle nur möglichen
Garantien für die beschlossene Neutralität. Jeder freilich mußte daneben klar
sein, daß damit Luxemburg nicht aus der Erde gerissen und unnahbar und un¬
veräußerlich als wie Sterne selbst an den Himmel gehangen sei. Jeder sah in
einem europäischen Kriege die Möglichkeit gegeben, daß eine oder mehrere der
an dem Kriege betheiligten oder in stiller Parteinahme befangenen Garanten des
Vertrags vom 11. Mai einem Attentat auf die Neutralität Luxemburgs mehr
oder minder passiv zuschauen, daß wohl auch eine oder die andere kriegführende
Macht sich denDurchmarsch oder das Schlachtterrain in Luxemburg erzwingen werde.

Aber das hatte niemand erwartet, daß England, der Staat, auf dessen
Einladung und Ehrlichkeit gestützt der Congreß sich zusammengefunden, das
schon die gastliche Verpflichtung hatte, keinen der an der Themse Erschienenen
zu beleidigen, daß der Staat, von dessen Zähigkeit des Entschlusses man ein
um so treueres, mannhafteres Festhalten am gegebenen Worte erwarten durfte:
daß dieser Staat in der unerhörtesten Weise seine Ehren- und Vertrags¬
verpflichtungen ableugnen, und der öffentlichen Moral Europas zum Scandal
dienen werdet

Dies ist geschehen!

Die zwerghaften Epigonen der Pitt, George Canning und Robert Peel im
Verein mit jener erlauchten Aristokratie Altenglands, die man uns Deutschen
als unerreichbare Musterbilder wahrhaft hohen patriotischen Adels mit Recht
so oft gepriesen, nicht minder die Männer, die das N. ?- (member ok?ar-
liarnent) unter ihrem Namen ihr Lebtag als einen weit über die Grenzen
ihres Vaterlandes geschätzten höchsten Ehrentitel halten — sie alle haben — mit
wenigen rühmlichen Ausnahmen — eine solche Interpretation des Vertrages vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/157>, abgerufen am 15.01.2025.