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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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erachtete es der Mühe werth, sie hinauszuwerfen. Sie dachten: "der Klügste
giebt nach" und gingen von selber. Man hat ihnen nicht die Uniform zerrissen
-- es wär' auch schade für das Kleid! -- noch ihnen in die Wang' gebissen
vor übergroßem Herzeleid, beim Abschied nämlich. Vielmehr fand jene retrograde
Bewegung beider hohenzollern-preußischen Bevölkerung den lebhaftesten Beifall.
Die dummen Leute hatten eben nicht den geringsten Appetit dazu, aus dem
eisigen Schatten des Borussenthums in den Hort der württembergischen Freibeit
übergeführt zu werden.'

Dies war das Ende des Satyr-Dramas, welches nebenden erhabenen
Tragödien des Jahres 1866 nicht fehlen durfte. So will es das Gesetz der
Tetralogie.

Giebt dieser ebenso einfache wie rührende Hergang nicht zu denken? Was
ist es. das diese Süddeutschen, diese Schwaben, diese Katholiken, diese Bauern
zwischen Neckar und Bodensee, an den vorwiegend Protestantischen deutschen
Norden fesselt? Warum wollen die Quellen der Donau und die Niederungen
der Spree nicht von einander lassen? Warum legen diese siebcnzigtausend Be¬
wohner der rauhen Alp einen so hohen Werth auf die Staatsgemeinschaft mit
den Bewohnern der norddeutschen Ebene? Warum hängen sie so fest an der
preußischen Monarchie, welche, bevor sie ihnen Wohlthaten erweisen konnte,
genöthigt war, ihnen Lasten aufzuerlegen? Warum hängen sie so sehr an ihr,
obgleich die so weit entfernte und isolirte Lage des Ländchens nicht alle Seg¬
nungen des Großstaats dorthin gelangen läßt?

Sind diese Süddeutschen etwa fanatisirte Feudale, eine zweite schwarz¬
weiße Vendee, die aus einer thörichten romantischen Marotte die Knechtschaft
der Freiheit vorzieht? Ganz gewiß nicht. Sie lieben die Freiheit nicht minder,
diese preußischen Schwaben, als sie die württembergschen Schwaben lieben.
Aber sie unterscheiden sich von den particularistischen Schwaben des von den
Abfällen der radicalen Presse in Preußen lebenden "Beobachters" in Stuttgart
dadurch, daß sie, was letzteren abgeht, einen Begriff vom Staat und von der
nationalen Aufgabe des Staats haben, daß sie wissen, daß die politische Frei¬
heit und die nationale Einheit nicht anders realisirt werden können, als auf
der Grundlage des wirklichen Staats, welcher deren Voraussetzung bildet, und
daß der Kleinstaat, der seine Sonderexistenz über die Existenz der Nation, der
den Theil über das Ganze setzt, kein Staat ist, so wenig, wie ein Schiff von
zwei Fuß Länge, mag es auch an Deck und Takelage noch so mustergiltig
sein, mag es auch jeden einzelnen Theil eines großen Fahrzeuzes mit vewunderns-
werther Vollständigkeit und Vollendung en mimaturs enthalten, doch nie und
nimmer ein wirkliches Schiff ist, mit dem man Meere befährt. Sie wissen,
daß ein großer Staat, ein wirklicher Staat, seine culturhistorische Mission er-
lüllt und erfüllen muß, wenn er nicht zu Grunde gehen will; daß er seiner


erachtete es der Mühe werth, sie hinauszuwerfen. Sie dachten: „der Klügste
giebt nach" und gingen von selber. Man hat ihnen nicht die Uniform zerrissen
— es wär' auch schade für das Kleid! — noch ihnen in die Wang' gebissen
vor übergroßem Herzeleid, beim Abschied nämlich. Vielmehr fand jene retrograde
Bewegung beider hohenzollern-preußischen Bevölkerung den lebhaftesten Beifall.
Die dummen Leute hatten eben nicht den geringsten Appetit dazu, aus dem
eisigen Schatten des Borussenthums in den Hort der württembergischen Freibeit
übergeführt zu werden.'

Dies war das Ende des Satyr-Dramas, welches nebenden erhabenen
Tragödien des Jahres 1866 nicht fehlen durfte. So will es das Gesetz der
Tetralogie.

Giebt dieser ebenso einfache wie rührende Hergang nicht zu denken? Was
ist es. das diese Süddeutschen, diese Schwaben, diese Katholiken, diese Bauern
zwischen Neckar und Bodensee, an den vorwiegend Protestantischen deutschen
Norden fesselt? Warum wollen die Quellen der Donau und die Niederungen
der Spree nicht von einander lassen? Warum legen diese siebcnzigtausend Be¬
wohner der rauhen Alp einen so hohen Werth auf die Staatsgemeinschaft mit
den Bewohnern der norddeutschen Ebene? Warum hängen sie so fest an der
preußischen Monarchie, welche, bevor sie ihnen Wohlthaten erweisen konnte,
genöthigt war, ihnen Lasten aufzuerlegen? Warum hängen sie so sehr an ihr,
obgleich die so weit entfernte und isolirte Lage des Ländchens nicht alle Seg¬
nungen des Großstaats dorthin gelangen läßt?

Sind diese Süddeutschen etwa fanatisirte Feudale, eine zweite schwarz¬
weiße Vendee, die aus einer thörichten romantischen Marotte die Knechtschaft
der Freiheit vorzieht? Ganz gewiß nicht. Sie lieben die Freiheit nicht minder,
diese preußischen Schwaben, als sie die württembergschen Schwaben lieben.
Aber sie unterscheiden sich von den particularistischen Schwaben des von den
Abfällen der radicalen Presse in Preußen lebenden „Beobachters" in Stuttgart
dadurch, daß sie, was letzteren abgeht, einen Begriff vom Staat und von der
nationalen Aufgabe des Staats haben, daß sie wissen, daß die politische Frei¬
heit und die nationale Einheit nicht anders realisirt werden können, als auf
der Grundlage des wirklichen Staats, welcher deren Voraussetzung bildet, und
daß der Kleinstaat, der seine Sonderexistenz über die Existenz der Nation, der
den Theil über das Ganze setzt, kein Staat ist, so wenig, wie ein Schiff von
zwei Fuß Länge, mag es auch an Deck und Takelage noch so mustergiltig
sein, mag es auch jeden einzelnen Theil eines großen Fahrzeuzes mit vewunderns-
werther Vollständigkeit und Vollendung en mimaturs enthalten, doch nie und
nimmer ein wirkliches Schiff ist, mit dem man Meere befährt. Sie wissen,
daß ein großer Staat, ein wirklicher Staat, seine culturhistorische Mission er-
lüllt und erfüllen muß, wenn er nicht zu Grunde gehen will; daß er seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/150>, abgerufen am 15.01.2025.