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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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bilitiren, als vollberechtigter Apostel neben dem älteren darzustellen, die juden-
christliche Reaction dadurch zu neutralisiren, daß er seinen Helden dem Haupt
der gegnerischen Partei in allem gleich und ebenbürtig macht. In diesem
Sinne sucht er alle Spuren des früheren Gegensatzes auszulöschen und die Tra¬
dition zu einem Bild vollständiger Harmonie umzugestalten. Die Sage vom
Magier Simon mit ihrer gegen Paulus gerichteten Spitze fand der Verfasser
Vor, er konnte sie nicht ignoriren, aber er mußte sie unschädlich machen ; er
nimmt sie auf, aber er entfernt aus ihr jede Beziehung auf seinen Apostel.
Noch sind die häßlichen Züge erkennbar, welche die Judenchristen ersannen, um
die Liebesgabe des Paulus als einen Versuch darzustellen, sich betrügerisch in
das Apostelamt einzuschleichen. Aber die Schmach trifft nicht mehr den Pau-
lus. Simon ist jetzt ein wirklicher Samaritaner, der mit Paulus nicht das
Mindeste gemein hat, und damit ja jedes MißVerständniß abgeschnitten und die
gehässige Deutung der Gegenpartei unmöglich werde, wird die Geschichte ab¬
gemacht und der Magier völlig beseitigt, noch ehe die Bekehrung des Paulus
erzählt wird. Ja so vorsichtig geht der Verfasser zu Werk, daß er jenes Motiv,
welches den Paulus wirklich nach Jerusalem führte, völlig ignorirt und die
doch nicht wegzuläugnende Thatsache, daß Paulus eine Armensteuer nach Je¬
rusalem gebracht hat, an einem ganz anderen Ort und mit andern Umständen
erzählt, als die Sache nach den eigenen Briefen des Apostels sich zugetragen
hat. So blieb nicht viel von der Erfindung der feindlichen Partei, aber auch
nicht viel von der wirklichen Geschichte übrig.

In dieser Weise arbeitete die christliche Sage. In dieser Weise suchten die
Parteien den Stoff der Tradition für sich zu verwerthen und wacker umzudeuten,
was die Darstellung der Gegner daraus gemacht hatte. Später begegnet uns
noch einmal eine sehr abenteuerliche Darstellung, in welcher derselbe Zweck, den
die Apostelgeschichte verfolgte, auf andere Weise erreicht ist. Diese hatte jeder
künftigen Identifikation des Apostels Paulus mit dem Magier Simon dadurch
vorgebeugt, daß sie den einen beseitigte, bevor sie den andern auftreten ließ.
Man muß gestehen, daß derselbe Zweck erreicht wurde, wenn man soweit ging,
den Paulus wie den Petrus als Gegner des Simon auftreten zu lassen. Diese
letzte Wendung der Sage erscheint in der apokryphen Schrift acts. L. 8- ^xosto-
loi-um?etri et?auli. Nach ihrer Erzählung war, als Paulus nach Rom^
kam, Petrus mit dem Magier bereits daselbst anwesend. Durch die Predigt
der beiden Apostel wurde der größte Theil des Volks bekehrt: aber auch der
aus Neid ihnen entgegenwirkende Magier fand durch seine Künste Anhang, ob¬
gleich Petrus durch die Wunder, die er verrichtete, durch Krankenheilungen und
Todtenerweckungen seine Magie widerlegte. Vor Nero selbst wurde der Streit
der beiden Apostel mit dem Magier verhandelt, und Petrus stellt hier vor dem
Kaiser seinem Mitapostel ein förmliches Zeugniß der Orthodoxie aus, ja er be-


bilitiren, als vollberechtigter Apostel neben dem älteren darzustellen, die juden-
christliche Reaction dadurch zu neutralisiren, daß er seinen Helden dem Haupt
der gegnerischen Partei in allem gleich und ebenbürtig macht. In diesem
Sinne sucht er alle Spuren des früheren Gegensatzes auszulöschen und die Tra¬
dition zu einem Bild vollständiger Harmonie umzugestalten. Die Sage vom
Magier Simon mit ihrer gegen Paulus gerichteten Spitze fand der Verfasser
Vor, er konnte sie nicht ignoriren, aber er mußte sie unschädlich machen ; er
nimmt sie auf, aber er entfernt aus ihr jede Beziehung auf seinen Apostel.
Noch sind die häßlichen Züge erkennbar, welche die Judenchristen ersannen, um
die Liebesgabe des Paulus als einen Versuch darzustellen, sich betrügerisch in
das Apostelamt einzuschleichen. Aber die Schmach trifft nicht mehr den Pau-
lus. Simon ist jetzt ein wirklicher Samaritaner, der mit Paulus nicht das
Mindeste gemein hat, und damit ja jedes MißVerständniß abgeschnitten und die
gehässige Deutung der Gegenpartei unmöglich werde, wird die Geschichte ab¬
gemacht und der Magier völlig beseitigt, noch ehe die Bekehrung des Paulus
erzählt wird. Ja so vorsichtig geht der Verfasser zu Werk, daß er jenes Motiv,
welches den Paulus wirklich nach Jerusalem führte, völlig ignorirt und die
doch nicht wegzuläugnende Thatsache, daß Paulus eine Armensteuer nach Je¬
rusalem gebracht hat, an einem ganz anderen Ort und mit andern Umständen
erzählt, als die Sache nach den eigenen Briefen des Apostels sich zugetragen
hat. So blieb nicht viel von der Erfindung der feindlichen Partei, aber auch
nicht viel von der wirklichen Geschichte übrig.

In dieser Weise arbeitete die christliche Sage. In dieser Weise suchten die
Parteien den Stoff der Tradition für sich zu verwerthen und wacker umzudeuten,
was die Darstellung der Gegner daraus gemacht hatte. Später begegnet uns
noch einmal eine sehr abenteuerliche Darstellung, in welcher derselbe Zweck, den
die Apostelgeschichte verfolgte, auf andere Weise erreicht ist. Diese hatte jeder
künftigen Identifikation des Apostels Paulus mit dem Magier Simon dadurch
vorgebeugt, daß sie den einen beseitigte, bevor sie den andern auftreten ließ.
Man muß gestehen, daß derselbe Zweck erreicht wurde, wenn man soweit ging,
den Paulus wie den Petrus als Gegner des Simon auftreten zu lassen. Diese
letzte Wendung der Sage erscheint in der apokryphen Schrift acts. L. 8- ^xosto-
loi-um?etri et?auli. Nach ihrer Erzählung war, als Paulus nach Rom^
kam, Petrus mit dem Magier bereits daselbst anwesend. Durch die Predigt
der beiden Apostel wurde der größte Theil des Volks bekehrt: aber auch der
aus Neid ihnen entgegenwirkende Magier fand durch seine Künste Anhang, ob¬
gleich Petrus durch die Wunder, die er verrichtete, durch Krankenheilungen und
Todtenerweckungen seine Magie widerlegte. Vor Nero selbst wurde der Streit
der beiden Apostel mit dem Magier verhandelt, und Petrus stellt hier vor dem
Kaiser seinem Mitapostel ein förmliches Zeugniß der Orthodoxie aus, ja er be-


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[0143] bilitiren, als vollberechtigter Apostel neben dem älteren darzustellen, die juden- christliche Reaction dadurch zu neutralisiren, daß er seinen Helden dem Haupt der gegnerischen Partei in allem gleich und ebenbürtig macht. In diesem Sinne sucht er alle Spuren des früheren Gegensatzes auszulöschen und die Tra¬ dition zu einem Bild vollständiger Harmonie umzugestalten. Die Sage vom Magier Simon mit ihrer gegen Paulus gerichteten Spitze fand der Verfasser Vor, er konnte sie nicht ignoriren, aber er mußte sie unschädlich machen ; er nimmt sie auf, aber er entfernt aus ihr jede Beziehung auf seinen Apostel. Noch sind die häßlichen Züge erkennbar, welche die Judenchristen ersannen, um die Liebesgabe des Paulus als einen Versuch darzustellen, sich betrügerisch in das Apostelamt einzuschleichen. Aber die Schmach trifft nicht mehr den Pau- lus. Simon ist jetzt ein wirklicher Samaritaner, der mit Paulus nicht das Mindeste gemein hat, und damit ja jedes MißVerständniß abgeschnitten und die gehässige Deutung der Gegenpartei unmöglich werde, wird die Geschichte ab¬ gemacht und der Magier völlig beseitigt, noch ehe die Bekehrung des Paulus erzählt wird. Ja so vorsichtig geht der Verfasser zu Werk, daß er jenes Motiv, welches den Paulus wirklich nach Jerusalem führte, völlig ignorirt und die doch nicht wegzuläugnende Thatsache, daß Paulus eine Armensteuer nach Je¬ rusalem gebracht hat, an einem ganz anderen Ort und mit andern Umständen erzählt, als die Sache nach den eigenen Briefen des Apostels sich zugetragen hat. So blieb nicht viel von der Erfindung der feindlichen Partei, aber auch nicht viel von der wirklichen Geschichte übrig. In dieser Weise arbeitete die christliche Sage. In dieser Weise suchten die Parteien den Stoff der Tradition für sich zu verwerthen und wacker umzudeuten, was die Darstellung der Gegner daraus gemacht hatte. Später begegnet uns noch einmal eine sehr abenteuerliche Darstellung, in welcher derselbe Zweck, den die Apostelgeschichte verfolgte, auf andere Weise erreicht ist. Diese hatte jeder künftigen Identifikation des Apostels Paulus mit dem Magier Simon dadurch vorgebeugt, daß sie den einen beseitigte, bevor sie den andern auftreten ließ. Man muß gestehen, daß derselbe Zweck erreicht wurde, wenn man soweit ging, den Paulus wie den Petrus als Gegner des Simon auftreten zu lassen. Diese letzte Wendung der Sage erscheint in der apokryphen Schrift acts. L. 8- ^xosto- loi-um?etri et?auli. Nach ihrer Erzählung war, als Paulus nach Rom^ kam, Petrus mit dem Magier bereits daselbst anwesend. Durch die Predigt der beiden Apostel wurde der größte Theil des Volks bekehrt: aber auch der aus Neid ihnen entgegenwirkende Magier fand durch seine Künste Anhang, ob¬ gleich Petrus durch die Wunder, die er verrichtete, durch Krankenheilungen und Todtenerweckungen seine Magie widerlegte. Vor Nero selbst wurde der Streit der beiden Apostel mit dem Magier verhandelt, und Petrus stellt hier vor dem Kaiser seinem Mitapostel ein förmliches Zeugniß der Orthodoxie aus, ja er be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/143>, abgerufen am 15.01.2025.