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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Sage zu erkennen. Vor allem muh als Thatsache angenommen werden, daß
in Samarien ein Simon, in Verbindung mit der Helena, als göttliches Wesen
verehrt wurde. Noch in der Apostelgeschichte ist dieser Zug kenntlich, indem sie
ihn von Alt und Jung als "große Goitcekr.,se" angestaunt werden läßt, und
das Zeugniß des Justinus, der selbst ein Samaritaner war, beseitigt in dieser
Beziehung jeden Zweifel. Dies aber weist offenbar auf einen mythologischen
Hintergrund der Sage. Andrerseits deutet die persönliche Gegnerschaft des
Petrus, und was von der Lehre des Magiers erzählt wird, unverkennbar auf
diejenige Persönlichkeit, die wirklich im Leben dem Petrus gegenüberstand und
der man in judenchristlichen Kreisen nicht Schlimmes genug nachsagen konnte,
auf den Apostel Paulus. Simon, ursprünglich eine samaritanische Landesgott¬
heit, ist zu einer Caricatur des Apostels Paulus geworden, dies ist das Ganze
Geheimniß der Sage.*)

Man hat nun wirklich die Entdeckung gemacht, daß unter dem Namen
semo in Samarien der Sonnengott, sonst Baal genannt, verehrt wurde, und
daß er die Hauptgottheit der Samaritaner war, wie denn die Helena, seine
Genossin, die phönizische Buhlerin, nichts Anderes ist als die in den vorder¬
asiatischen Culten als Göttin der Zeugung verehrte Mondgöttin. Aber woher
nun die Uebertragung dieses heidnischen Sonnengottes auf den Apostel Paulus?

Ein tiefer Haß bestand bekanntlich seit den Tagen des Exils zwischen den
Juden und den in Samaria zurückgebliebenen Volksgenossen. Als die Juden
aus der Gefangenschaft zurückkehrten, trafen sie hier ein Mischvolk an, das
zum größten Theil aus Heiden bestand, zum kleineren Theil aus Jehovaver-
ehrern. Aber auch die letzteren wurden von den treugebliebenen Juden nicht
als vollvürtig, sondern als halbe Heiden angesehen, und als sie mit am neuen
Tempel bauen wollten, schroff zurückgewiesen. Der Haß zwischen Garizim und
Zion zieht sich durch die ganze folgende Geschichte. Und nun versetze man sich
in die Zeit nach dem Tod des Paulus, in die Zeit der heftigsten Feindschaft
zwischen den paulinischen Heidenchristen und den orthodoxen Judenchristen.
Diese konnten in jenen Unbeschnittenen gleichfalls nur halbe Heiden erkennen.
Wie jene falschgläubigen Samaritaner in den reinen Jehovadienst einzudringen
versuchten, so wollten jetzt die Heidenchristen, die das Gesetz verwarfen, unbe¬
rechtigt in die wahre Gemeinde sich drängen. Konnte es für sie eine treffen-
dere, eine empfindlichere Bezeichnung geben, als wenn man sie Samaritaner
oder Simonianer hieß, deren Name schon dem orthodoxen Juden ein Greuel
war? Und für ihr Haupt, für Paulus selbst, konnte wegwerfender Haß etwas
Tätlicheres ersinnen, als wenn er mit dem Samaritanergott semo identrficirt



") Man vergleiche außer der bereits angeführte" Literatur noch Volckmar, die Religion
Jesu. S, 287 u. 343.*
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Sage zu erkennen. Vor allem muh als Thatsache angenommen werden, daß
in Samarien ein Simon, in Verbindung mit der Helena, als göttliches Wesen
verehrt wurde. Noch in der Apostelgeschichte ist dieser Zug kenntlich, indem sie
ihn von Alt und Jung als „große Goitcekr.,se" angestaunt werden läßt, und
das Zeugniß des Justinus, der selbst ein Samaritaner war, beseitigt in dieser
Beziehung jeden Zweifel. Dies aber weist offenbar auf einen mythologischen
Hintergrund der Sage. Andrerseits deutet die persönliche Gegnerschaft des
Petrus, und was von der Lehre des Magiers erzählt wird, unverkennbar auf
diejenige Persönlichkeit, die wirklich im Leben dem Petrus gegenüberstand und
der man in judenchristlichen Kreisen nicht Schlimmes genug nachsagen konnte,
auf den Apostel Paulus. Simon, ursprünglich eine samaritanische Landesgott¬
heit, ist zu einer Caricatur des Apostels Paulus geworden, dies ist das Ganze
Geheimniß der Sage.*)

Man hat nun wirklich die Entdeckung gemacht, daß unter dem Namen
semo in Samarien der Sonnengott, sonst Baal genannt, verehrt wurde, und
daß er die Hauptgottheit der Samaritaner war, wie denn die Helena, seine
Genossin, die phönizische Buhlerin, nichts Anderes ist als die in den vorder¬
asiatischen Culten als Göttin der Zeugung verehrte Mondgöttin. Aber woher
nun die Uebertragung dieses heidnischen Sonnengottes auf den Apostel Paulus?

Ein tiefer Haß bestand bekanntlich seit den Tagen des Exils zwischen den
Juden und den in Samaria zurückgebliebenen Volksgenossen. Als die Juden
aus der Gefangenschaft zurückkehrten, trafen sie hier ein Mischvolk an, das
zum größten Theil aus Heiden bestand, zum kleineren Theil aus Jehovaver-
ehrern. Aber auch die letzteren wurden von den treugebliebenen Juden nicht
als vollvürtig, sondern als halbe Heiden angesehen, und als sie mit am neuen
Tempel bauen wollten, schroff zurückgewiesen. Der Haß zwischen Garizim und
Zion zieht sich durch die ganze folgende Geschichte. Und nun versetze man sich
in die Zeit nach dem Tod des Paulus, in die Zeit der heftigsten Feindschaft
zwischen den paulinischen Heidenchristen und den orthodoxen Judenchristen.
Diese konnten in jenen Unbeschnittenen gleichfalls nur halbe Heiden erkennen.
Wie jene falschgläubigen Samaritaner in den reinen Jehovadienst einzudringen
versuchten, so wollten jetzt die Heidenchristen, die das Gesetz verwarfen, unbe¬
rechtigt in die wahre Gemeinde sich drängen. Konnte es für sie eine treffen-
dere, eine empfindlichere Bezeichnung geben, als wenn man sie Samaritaner
oder Simonianer hieß, deren Name schon dem orthodoxen Juden ein Greuel
war? Und für ihr Haupt, für Paulus selbst, konnte wegwerfender Haß etwas
Tätlicheres ersinnen, als wenn er mit dem Samaritanergott semo identrficirt



") Man vergleiche außer der bereits angeführte» Literatur noch Volckmar, die Religion
Jesu. S, 287 u. 343.*
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[0141] Sage zu erkennen. Vor allem muh als Thatsache angenommen werden, daß in Samarien ein Simon, in Verbindung mit der Helena, als göttliches Wesen verehrt wurde. Noch in der Apostelgeschichte ist dieser Zug kenntlich, indem sie ihn von Alt und Jung als „große Goitcekr.,se" angestaunt werden läßt, und das Zeugniß des Justinus, der selbst ein Samaritaner war, beseitigt in dieser Beziehung jeden Zweifel. Dies aber weist offenbar auf einen mythologischen Hintergrund der Sage. Andrerseits deutet die persönliche Gegnerschaft des Petrus, und was von der Lehre des Magiers erzählt wird, unverkennbar auf diejenige Persönlichkeit, die wirklich im Leben dem Petrus gegenüberstand und der man in judenchristlichen Kreisen nicht Schlimmes genug nachsagen konnte, auf den Apostel Paulus. Simon, ursprünglich eine samaritanische Landesgott¬ heit, ist zu einer Caricatur des Apostels Paulus geworden, dies ist das Ganze Geheimniß der Sage.*) Man hat nun wirklich die Entdeckung gemacht, daß unter dem Namen semo in Samarien der Sonnengott, sonst Baal genannt, verehrt wurde, und daß er die Hauptgottheit der Samaritaner war, wie denn die Helena, seine Genossin, die phönizische Buhlerin, nichts Anderes ist als die in den vorder¬ asiatischen Culten als Göttin der Zeugung verehrte Mondgöttin. Aber woher nun die Uebertragung dieses heidnischen Sonnengottes auf den Apostel Paulus? Ein tiefer Haß bestand bekanntlich seit den Tagen des Exils zwischen den Juden und den in Samaria zurückgebliebenen Volksgenossen. Als die Juden aus der Gefangenschaft zurückkehrten, trafen sie hier ein Mischvolk an, das zum größten Theil aus Heiden bestand, zum kleineren Theil aus Jehovaver- ehrern. Aber auch die letzteren wurden von den treugebliebenen Juden nicht als vollvürtig, sondern als halbe Heiden angesehen, und als sie mit am neuen Tempel bauen wollten, schroff zurückgewiesen. Der Haß zwischen Garizim und Zion zieht sich durch die ganze folgende Geschichte. Und nun versetze man sich in die Zeit nach dem Tod des Paulus, in die Zeit der heftigsten Feindschaft zwischen den paulinischen Heidenchristen und den orthodoxen Judenchristen. Diese konnten in jenen Unbeschnittenen gleichfalls nur halbe Heiden erkennen. Wie jene falschgläubigen Samaritaner in den reinen Jehovadienst einzudringen versuchten, so wollten jetzt die Heidenchristen, die das Gesetz verwarfen, unbe¬ rechtigt in die wahre Gemeinde sich drängen. Konnte es für sie eine treffen- dere, eine empfindlichere Bezeichnung geben, als wenn man sie Samaritaner oder Simonianer hieß, deren Name schon dem orthodoxen Juden ein Greuel war? Und für ihr Haupt, für Paulus selbst, konnte wegwerfender Haß etwas Tätlicheres ersinnen, als wenn er mit dem Samaritanergott semo identrficirt ") Man vergleiche außer der bereits angeführte» Literatur noch Volckmar, die Religion Jesu. S, 287 u. 343.* 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/141>, abgerufen am 15.01.2025.