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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Kaiserin von Nußland nach Bessarabien begrüßt worden ist, bestätigen, was
schon früher aus Lemberg gemeldet wurde, daß der Haß gegen das Polenthum
die östreichischen Sympathien des Landvolks in russische verwandelt hat. Aehn-
lich steht es mit den slawischen Unterthanen der ungarischen Krone, die durch
ihre Antipathien gegen die siegreichen Magyaren Rußland in die Arme getrieben
werden. Nichts desto weniger richtet die östreichische Staatsweisheit ihre Blicke
unausgesetzt nach Westen; man scheint zu glauben, dem wachsenden russischen
Einfluß in der östlichen Hälfte des Reichs könne nicht besser begegnet werden,
als durch Bekämpfung des preußischen Ansehens in Deutschland.

An gefügigen Werkzeugen dieser Politik fehlt es weder diesseits noch jen¬
seits des Main' und die publicistische Agitation gegen Preußen und den nord¬
deutschen Bund wird nirgend eifriger betrieben, als in dem Bundesgebiet selbst.
Wechselweise unter demokratischer und conservativ-particularistischer Maske wird
gegen die Consolidation der neugeschaffenen Verhältnisse Propaganda gemacht,
direct und indirect für die Anerkennung des deutschen Berufs der Habsburger,
gelegentlich auch der napoleoniden gearbeitet. In der nordschleswigschen Frage
haben wir nur noch zwischen einer inneren Niederlage oder einer auswärtigen
Verwickelung zu wählen, denn diesclbePartei, welche Preußen unablässig angreift,
weil es durch seine Vergrößerung Deutschland in die Gefahr eines französischen
Kriegs gebracht, ist gleichzeitig bemüht, diesen Krieg zu beschleunigen und dem
berliner Cabinet die Verständigung mit Paris und Kopenhagen moralisch unmög¬
lich zu machen.

Es bedarf eines großen Maßes von Verblendung und Kurzsichtigkeit, um
im Angesicht einer solchen Sachlage keine andern Feinde als die conservativen
Minister in Berlin, keine andern'Befürchtungen als die vor Beeinträchtigung
der Volksfreiheit zu kennen. Wenn die Demokratie es über sich gewinnen
kann, keinen Bundesgenossen zu verschmähen, der sich im Kampfe gegen das Mini¬
sterium Bismarck verwenden läßt, wenn sie die vorhandene Form der deutschen
Staatseinheir bekämpft, wo die Möglichkeit der Herstellung einer anderen Form nicht
mehr gegeben, der Zerfall des Bestehenden vielmehr mit einer allgemeinen Auf¬
lösung identisch geworden ist. so macht sie die Verständigung mit Politikern,
welchen der Staatsgedanke noch nicht ganz abhanden gekommen ist. bis aus
Weiteres unmöglich. Was an die Stelle des norddeutschen Bundes und seiner gegen¬
wärtigen Verfassung trete" soll, wenn die Wünsche der Gegner fras realisiren, weiß uns
weder die berliner Demokratie, noch die süddeutsche Kleinstaaterei und deren
Anhang zu sagen. Bis zur freien Verständigung sämmtlicher souveräner
deutscher Stämme in dem Jammer äußerer Ohnmacht und innerer Rathlosig-
keit zu verharren, ist den Deutschen bisher nur von den Weisen des Bundestags
zugemuthet worden. Will die Demokratie auch nur für einen Augenblick in die
Erbschaft desselben eintreten oder uns gar zumuthen, freiwillig in diesen Zustand
zurückzufallen, so ist es um ihr Recht wie um ihren Einfluß in Deutschland
für lange geschehen. -- "Fiesko ist todt, ich gehe zum Andreas!"




Herausgeber - Gustav Zreytng. -- Verantwortlicher Redacteur: Julius Eckcirdt.
Verlag von F. L. HerSig. -- Druck von Hüthel 6- Segler in Leipzig.

Kaiserin von Nußland nach Bessarabien begrüßt worden ist, bestätigen, was
schon früher aus Lemberg gemeldet wurde, daß der Haß gegen das Polenthum
die östreichischen Sympathien des Landvolks in russische verwandelt hat. Aehn-
lich steht es mit den slawischen Unterthanen der ungarischen Krone, die durch
ihre Antipathien gegen die siegreichen Magyaren Rußland in die Arme getrieben
werden. Nichts desto weniger richtet die östreichische Staatsweisheit ihre Blicke
unausgesetzt nach Westen; man scheint zu glauben, dem wachsenden russischen
Einfluß in der östlichen Hälfte des Reichs könne nicht besser begegnet werden,
als durch Bekämpfung des preußischen Ansehens in Deutschland.

An gefügigen Werkzeugen dieser Politik fehlt es weder diesseits noch jen¬
seits des Main' und die publicistische Agitation gegen Preußen und den nord¬
deutschen Bund wird nirgend eifriger betrieben, als in dem Bundesgebiet selbst.
Wechselweise unter demokratischer und conservativ-particularistischer Maske wird
gegen die Consolidation der neugeschaffenen Verhältnisse Propaganda gemacht,
direct und indirect für die Anerkennung des deutschen Berufs der Habsburger,
gelegentlich auch der napoleoniden gearbeitet. In der nordschleswigschen Frage
haben wir nur noch zwischen einer inneren Niederlage oder einer auswärtigen
Verwickelung zu wählen, denn diesclbePartei, welche Preußen unablässig angreift,
weil es durch seine Vergrößerung Deutschland in die Gefahr eines französischen
Kriegs gebracht, ist gleichzeitig bemüht, diesen Krieg zu beschleunigen und dem
berliner Cabinet die Verständigung mit Paris und Kopenhagen moralisch unmög¬
lich zu machen.

Es bedarf eines großen Maßes von Verblendung und Kurzsichtigkeit, um
im Angesicht einer solchen Sachlage keine andern Feinde als die conservativen
Minister in Berlin, keine andern'Befürchtungen als die vor Beeinträchtigung
der Volksfreiheit zu kennen. Wenn die Demokratie es über sich gewinnen
kann, keinen Bundesgenossen zu verschmähen, der sich im Kampfe gegen das Mini¬
sterium Bismarck verwenden läßt, wenn sie die vorhandene Form der deutschen
Staatseinheir bekämpft, wo die Möglichkeit der Herstellung einer anderen Form nicht
mehr gegeben, der Zerfall des Bestehenden vielmehr mit einer allgemeinen Auf¬
lösung identisch geworden ist. so macht sie die Verständigung mit Politikern,
welchen der Staatsgedanke noch nicht ganz abhanden gekommen ist. bis aus
Weiteres unmöglich. Was an die Stelle des norddeutschen Bundes und seiner gegen¬
wärtigen Verfassung trete» soll, wenn die Wünsche der Gegner fras realisiren, weiß uns
weder die berliner Demokratie, noch die süddeutsche Kleinstaaterei und deren
Anhang zu sagen. Bis zur freien Verständigung sämmtlicher souveräner
deutscher Stämme in dem Jammer äußerer Ohnmacht und innerer Rathlosig-
keit zu verharren, ist den Deutschen bisher nur von den Weisen des Bundestags
zugemuthet worden. Will die Demokratie auch nur für einen Augenblick in die
Erbschaft desselben eintreten oder uns gar zumuthen, freiwillig in diesen Zustand
zurückzufallen, so ist es um ihr Recht wie um ihren Einfluß in Deutschland
für lange geschehen. — „Fiesko ist todt, ich gehe zum Andreas!"




Herausgeber - Gustav Zreytng. — Verantwortlicher Redacteur: Julius Eckcirdt.
Verlag von F. L. HerSig. — Druck von Hüthel 6- Segler in Leipzig.
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[0130] Kaiserin von Nußland nach Bessarabien begrüßt worden ist, bestätigen, was schon früher aus Lemberg gemeldet wurde, daß der Haß gegen das Polenthum die östreichischen Sympathien des Landvolks in russische verwandelt hat. Aehn- lich steht es mit den slawischen Unterthanen der ungarischen Krone, die durch ihre Antipathien gegen die siegreichen Magyaren Rußland in die Arme getrieben werden. Nichts desto weniger richtet die östreichische Staatsweisheit ihre Blicke unausgesetzt nach Westen; man scheint zu glauben, dem wachsenden russischen Einfluß in der östlichen Hälfte des Reichs könne nicht besser begegnet werden, als durch Bekämpfung des preußischen Ansehens in Deutschland. An gefügigen Werkzeugen dieser Politik fehlt es weder diesseits noch jen¬ seits des Main' und die publicistische Agitation gegen Preußen und den nord¬ deutschen Bund wird nirgend eifriger betrieben, als in dem Bundesgebiet selbst. Wechselweise unter demokratischer und conservativ-particularistischer Maske wird gegen die Consolidation der neugeschaffenen Verhältnisse Propaganda gemacht, direct und indirect für die Anerkennung des deutschen Berufs der Habsburger, gelegentlich auch der napoleoniden gearbeitet. In der nordschleswigschen Frage haben wir nur noch zwischen einer inneren Niederlage oder einer auswärtigen Verwickelung zu wählen, denn diesclbePartei, welche Preußen unablässig angreift, weil es durch seine Vergrößerung Deutschland in die Gefahr eines französischen Kriegs gebracht, ist gleichzeitig bemüht, diesen Krieg zu beschleunigen und dem berliner Cabinet die Verständigung mit Paris und Kopenhagen moralisch unmög¬ lich zu machen. Es bedarf eines großen Maßes von Verblendung und Kurzsichtigkeit, um im Angesicht einer solchen Sachlage keine andern Feinde als die conservativen Minister in Berlin, keine andern'Befürchtungen als die vor Beeinträchtigung der Volksfreiheit zu kennen. Wenn die Demokratie es über sich gewinnen kann, keinen Bundesgenossen zu verschmähen, der sich im Kampfe gegen das Mini¬ sterium Bismarck verwenden läßt, wenn sie die vorhandene Form der deutschen Staatseinheir bekämpft, wo die Möglichkeit der Herstellung einer anderen Form nicht mehr gegeben, der Zerfall des Bestehenden vielmehr mit einer allgemeinen Auf¬ lösung identisch geworden ist. so macht sie die Verständigung mit Politikern, welchen der Staatsgedanke noch nicht ganz abhanden gekommen ist. bis aus Weiteres unmöglich. Was an die Stelle des norddeutschen Bundes und seiner gegen¬ wärtigen Verfassung trete» soll, wenn die Wünsche der Gegner fras realisiren, weiß uns weder die berliner Demokratie, noch die süddeutsche Kleinstaaterei und deren Anhang zu sagen. Bis zur freien Verständigung sämmtlicher souveräner deutscher Stämme in dem Jammer äußerer Ohnmacht und innerer Rathlosig- keit zu verharren, ist den Deutschen bisher nur von den Weisen des Bundestags zugemuthet worden. Will die Demokratie auch nur für einen Augenblick in die Erbschaft desselben eintreten oder uns gar zumuthen, freiwillig in diesen Zustand zurückzufallen, so ist es um ihr Recht wie um ihren Einfluß in Deutschland für lange geschehen. — „Fiesko ist todt, ich gehe zum Andreas!" Herausgeber - Gustav Zreytng. — Verantwortlicher Redacteur: Julius Eckcirdt. Verlag von F. L. HerSig. — Druck von Hüthel 6- Segler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/130>, abgerufen am 15.01.2025.