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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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nicht abgeneigt, ein Entrüstungsstmm wegen Vaterlandsverraths in Scene
gesetzt.

In Frankreich haben die Dinge unterdessen eine Wendung genommen,
die den Aussichten auf einen dauernden Frieden nichts weniger als günstig ist
und der gereizten Haltung der officiösen pariser Presse in Sachen Nordschieswigs
eine Wichtigkeit giebt, die sie an und für sich noch nicht beanspruchen dürste.
Der große Eindruck, den die Hinrichtung des unglücklichen Maximilian in allen
Kreisen der pariser Gesellschaft gemacht hat, ruft die Erinnerung an die mexi¬
kanischen Sünden des zweiten Kaiserreichs in einem Augenblick wach, da die
Volksvertretung eben mit einer Durchsicht der Rechnungen für dieselben beschäf¬
tigt ist. Die Kammerdebatten über das Budget und die geforderten "neuen
außerordentlichen Credite" im Betrage von 168 Millionen sind mit einer Leiden¬
schaftlichkeit und Erbitterung geführt worden, weiche alles übertrifft, was wir
an ähnlichen Vorgängen in dem kaiserlich französischen vorxs IsZisIaM erlebt
haben. Daß es nicht die alte Opposition sondern die tiörs-Partei ist, die in
so entschiedener Weise gegen die Negierung vorgeht, beweist, wie rasch und be¬
deutend die Zahl der mit dem gegenwärtigen Regime Unzufriedenen seit dem Winter
zugenommen hat. Mag das Gerücht von einem bevorstehenden Ministerwechsel
zu Gunsten der Dumoulin und Ollivier begründet sein oder nicht, bei der gegen¬
wärtigen Stimmung Frankreichs gegen Preußen und Deutschland ist es zweifellos,
welche Richtung man der explodirendcn nationalen Unzufriedenheit zu geben ver¬
suchen wird. Diese Unzufriedenheit aber wird, sobald erst die Ausstellung ge¬
schlossen ist, sicher in aufsteigender Proportion zunehmen und die Regierung,
schneller als diese vielleicht selbst meint, zur Action zwingen. Die beiden stärksten
und hervorragendsten Eigenschaften des französischen Volksgeistes, Ehrgeiz und
materielles Interesse, sind in letzter Zeit von der Regierung so empfindlich ver¬
letzt worden, daß die Erregtheit desselben sich nicht von selbst legen wird und
nothwendig nach Außen abgeleitet werden muß. Während die wachsende Staats¬
schuld die Steuerkräfte aufs äußerste anspannt, die bevorstehende Militärreor-
ganisativn neue Lasten auf die alten häuft, tausende von mexikanischen Staats¬
gläubigern vergeblich auf die Bezahlung ihrer Zinscoupons harren, die Verwirk-
lichung der kaiserlichen Verheißungen vom 19. Januar noch immer auf sich
warten läßt, hat die Hinrichtung Maximilians alles, was der großen Nation
an Ehrgefühl übrig geblieben, aufs empfindlichste gekränkt. Die Entdeckung,
daß das Decret vom October 1865, durch welches alle mexikanischen Republikaner
für vogelfrei erklärt wurden und das man als die wahre Ursache der gegen
Maximilian geübten Barbarei bezeichnete -- nicht in San Angel, sondern in
den Tuilerien entstanden ist, hat das Gefühl der Mitverantwortlichkeit Frank¬
reichs für das unglückliche Ende des mexikanischen Kaisers bereits so geschärft,
daß Napoleon der Dritte seinen Marschall Bazaine aus der Hauptstadt verweisen


nicht abgeneigt, ein Entrüstungsstmm wegen Vaterlandsverraths in Scene
gesetzt.

In Frankreich haben die Dinge unterdessen eine Wendung genommen,
die den Aussichten auf einen dauernden Frieden nichts weniger als günstig ist
und der gereizten Haltung der officiösen pariser Presse in Sachen Nordschieswigs
eine Wichtigkeit giebt, die sie an und für sich noch nicht beanspruchen dürste.
Der große Eindruck, den die Hinrichtung des unglücklichen Maximilian in allen
Kreisen der pariser Gesellschaft gemacht hat, ruft die Erinnerung an die mexi¬
kanischen Sünden des zweiten Kaiserreichs in einem Augenblick wach, da die
Volksvertretung eben mit einer Durchsicht der Rechnungen für dieselben beschäf¬
tigt ist. Die Kammerdebatten über das Budget und die geforderten „neuen
außerordentlichen Credite" im Betrage von 168 Millionen sind mit einer Leiden¬
schaftlichkeit und Erbitterung geführt worden, weiche alles übertrifft, was wir
an ähnlichen Vorgängen in dem kaiserlich französischen vorxs IsZisIaM erlebt
haben. Daß es nicht die alte Opposition sondern die tiörs-Partei ist, die in
so entschiedener Weise gegen die Negierung vorgeht, beweist, wie rasch und be¬
deutend die Zahl der mit dem gegenwärtigen Regime Unzufriedenen seit dem Winter
zugenommen hat. Mag das Gerücht von einem bevorstehenden Ministerwechsel
zu Gunsten der Dumoulin und Ollivier begründet sein oder nicht, bei der gegen¬
wärtigen Stimmung Frankreichs gegen Preußen und Deutschland ist es zweifellos,
welche Richtung man der explodirendcn nationalen Unzufriedenheit zu geben ver¬
suchen wird. Diese Unzufriedenheit aber wird, sobald erst die Ausstellung ge¬
schlossen ist, sicher in aufsteigender Proportion zunehmen und die Regierung,
schneller als diese vielleicht selbst meint, zur Action zwingen. Die beiden stärksten
und hervorragendsten Eigenschaften des französischen Volksgeistes, Ehrgeiz und
materielles Interesse, sind in letzter Zeit von der Regierung so empfindlich ver¬
letzt worden, daß die Erregtheit desselben sich nicht von selbst legen wird und
nothwendig nach Außen abgeleitet werden muß. Während die wachsende Staats¬
schuld die Steuerkräfte aufs äußerste anspannt, die bevorstehende Militärreor-
ganisativn neue Lasten auf die alten häuft, tausende von mexikanischen Staats¬
gläubigern vergeblich auf die Bezahlung ihrer Zinscoupons harren, die Verwirk-
lichung der kaiserlichen Verheißungen vom 19. Januar noch immer auf sich
warten läßt, hat die Hinrichtung Maximilians alles, was der großen Nation
an Ehrgefühl übrig geblieben, aufs empfindlichste gekränkt. Die Entdeckung,
daß das Decret vom October 1865, durch welches alle mexikanischen Republikaner
für vogelfrei erklärt wurden und das man als die wahre Ursache der gegen
Maximilian geübten Barbarei bezeichnete — nicht in San Angel, sondern in
den Tuilerien entstanden ist, hat das Gefühl der Mitverantwortlichkeit Frank¬
reichs für das unglückliche Ende des mexikanischen Kaisers bereits so geschärft,
daß Napoleon der Dritte seinen Marschall Bazaine aus der Hauptstadt verweisen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/128>, abgerufen am 15.01.2025.