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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Neuen Provinzen (Frankfurt, Hannover und "Meisenheim" ausgenommen) ist
die Einführung der preußischen Civilproceßordnung, für Nassau die Wiederher¬
stellung der bereits 1848 errungenen, in den Honigmonaten kleinstaatlicher
Reaction wieder abgeschafften Trennung der Justiz von der Verwaltung, für
Schleswig-Holstein endlich die Anstellung von Einzelnrichtern angeordnet worden.
Aber weder von diesen Neformmaßregcln noch von der Vorbereitung entsprechen¬
der Neugestaltungen für Hannover ist in Preußen während der letzten Wochen
vorzugsweise die Rede gewesen: die Verhandlungen wegen Nordschleswigs haben
die Theilnahme an allen übrigen Vorgängen fast vollständig verschlungen und
wie ernsthaft die Befürchtung vor Verwickelungen wegen, derselben auch von
Seiten der Regierung genommen wird, geht aus der Zurücknahme des Befehls
zur Ausweisung der gegen die Erfüllung der Militärpflicht rennenden Nordschles-
wiger und aus jener Herrn von Scheel-Plessen ertheilten Weisung zu größerer
Schonung gegen die Grenzdistricte hervor, von welcher die Berliner Handels- und
Börsenzeitung neulich Mittheilung machte.

Die innern Schwierigkeiten der noidschleswigschen Grenzrcgulirung, welche
immer nur auf Unkosten eines der beiden Stämme möglich ist, welche von
einander geschieden weiden sollen, sind sicher nicht gering anzuschlagen und der
Streit darüber, ob der Demarkationslinie die Garantie für die Dänemark abzu¬
tretenden deutschen Gebiete vorhergehen solle oder umgekehrt, würde allein dazu
hinreichen, die Entscheidung über diese Auseinandersetzung auf Wochen und Mo¬
nate hinauszuschieben. Aber noch sehr viel größer sind die äußern Schwierig¬
keiten, welche durch das Verhältniß, in welchem Frankreich und der deutsche
Pariiculaüsmus zu dieser Frage stehen, hinzugetreten sind. Frankreich wird
mit keinem Arrangement zufrieden sein, das sich nicht im Sinne einer demüthi¬
genden Nachgiebigkeit Preußens aus dcutenließe und Preußens deutsche Feinde, --
auch die, welche heute dem französisch-dänischen Drängen Vorschub leisten, werden
aus jedem Abkommen Capital zu schlagen wissen, um hinterher wegen Preis¬
geben deutscher Marken u. s. w. Klage zu erheben und Preußens deutschen Ein¬
fluß zu schwache". Allerdings hat nur die Sächsische Zeitung Naivetät genug
besessen, um an die in Aussicht genommene Volksabstimmung in Nordschleswig
die "logisch-consequente" Forderung eines sutkiÄM universal für ganz Schles¬
wig-Holstein und womöglich alle übrigen annectirten Länder zu knüpfen
die Zahl derer aber, die aus der Grenzregüliruugsangelegenheit für Preußen
ungünstige Folgerungen zu ziehen gedenken, ist Legion. Die Gegner scheuen sich
in dieser Beziehung nicht, die einander widersprechendsten Anforderungen an das
berliner Cabinet zu stellen: heute wird über die rücksichtslose Härte gegen die
nordschleswigschen Dänen geklagt und möglichstes Entgegenkommen gegen die
kopenhagener Wünsche als einziges Mittel zur Erhaltung des Friedens empfohlen
und morgen auf das bloße Gerücht hin, Graf Bismarck sei Concessionen


Neuen Provinzen (Frankfurt, Hannover und „Meisenheim" ausgenommen) ist
die Einführung der preußischen Civilproceßordnung, für Nassau die Wiederher¬
stellung der bereits 1848 errungenen, in den Honigmonaten kleinstaatlicher
Reaction wieder abgeschafften Trennung der Justiz von der Verwaltung, für
Schleswig-Holstein endlich die Anstellung von Einzelnrichtern angeordnet worden.
Aber weder von diesen Neformmaßregcln noch von der Vorbereitung entsprechen¬
der Neugestaltungen für Hannover ist in Preußen während der letzten Wochen
vorzugsweise die Rede gewesen: die Verhandlungen wegen Nordschleswigs haben
die Theilnahme an allen übrigen Vorgängen fast vollständig verschlungen und
wie ernsthaft die Befürchtung vor Verwickelungen wegen, derselben auch von
Seiten der Regierung genommen wird, geht aus der Zurücknahme des Befehls
zur Ausweisung der gegen die Erfüllung der Militärpflicht rennenden Nordschles-
wiger und aus jener Herrn von Scheel-Plessen ertheilten Weisung zu größerer
Schonung gegen die Grenzdistricte hervor, von welcher die Berliner Handels- und
Börsenzeitung neulich Mittheilung machte.

Die innern Schwierigkeiten der noidschleswigschen Grenzrcgulirung, welche
immer nur auf Unkosten eines der beiden Stämme möglich ist, welche von
einander geschieden weiden sollen, sind sicher nicht gering anzuschlagen und der
Streit darüber, ob der Demarkationslinie die Garantie für die Dänemark abzu¬
tretenden deutschen Gebiete vorhergehen solle oder umgekehrt, würde allein dazu
hinreichen, die Entscheidung über diese Auseinandersetzung auf Wochen und Mo¬
nate hinauszuschieben. Aber noch sehr viel größer sind die äußern Schwierig¬
keiten, welche durch das Verhältniß, in welchem Frankreich und der deutsche
Pariiculaüsmus zu dieser Frage stehen, hinzugetreten sind. Frankreich wird
mit keinem Arrangement zufrieden sein, das sich nicht im Sinne einer demüthi¬
genden Nachgiebigkeit Preußens aus dcutenließe und Preußens deutsche Feinde, —
auch die, welche heute dem französisch-dänischen Drängen Vorschub leisten, werden
aus jedem Abkommen Capital zu schlagen wissen, um hinterher wegen Preis¬
geben deutscher Marken u. s. w. Klage zu erheben und Preußens deutschen Ein¬
fluß zu schwache». Allerdings hat nur die Sächsische Zeitung Naivetät genug
besessen, um an die in Aussicht genommene Volksabstimmung in Nordschleswig
die „logisch-consequente" Forderung eines sutkiÄM universal für ganz Schles¬
wig-Holstein und womöglich alle übrigen annectirten Länder zu knüpfen
die Zahl derer aber, die aus der Grenzregüliruugsangelegenheit für Preußen
ungünstige Folgerungen zu ziehen gedenken, ist Legion. Die Gegner scheuen sich
in dieser Beziehung nicht, die einander widersprechendsten Anforderungen an das
berliner Cabinet zu stellen: heute wird über die rücksichtslose Härte gegen die
nordschleswigschen Dänen geklagt und möglichstes Entgegenkommen gegen die
kopenhagener Wünsche als einziges Mittel zur Erhaltung des Friedens empfohlen
und morgen auf das bloße Gerücht hin, Graf Bismarck sei Concessionen


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[0127] Neuen Provinzen (Frankfurt, Hannover und „Meisenheim" ausgenommen) ist die Einführung der preußischen Civilproceßordnung, für Nassau die Wiederher¬ stellung der bereits 1848 errungenen, in den Honigmonaten kleinstaatlicher Reaction wieder abgeschafften Trennung der Justiz von der Verwaltung, für Schleswig-Holstein endlich die Anstellung von Einzelnrichtern angeordnet worden. Aber weder von diesen Neformmaßregcln noch von der Vorbereitung entsprechen¬ der Neugestaltungen für Hannover ist in Preußen während der letzten Wochen vorzugsweise die Rede gewesen: die Verhandlungen wegen Nordschleswigs haben die Theilnahme an allen übrigen Vorgängen fast vollständig verschlungen und wie ernsthaft die Befürchtung vor Verwickelungen wegen, derselben auch von Seiten der Regierung genommen wird, geht aus der Zurücknahme des Befehls zur Ausweisung der gegen die Erfüllung der Militärpflicht rennenden Nordschles- wiger und aus jener Herrn von Scheel-Plessen ertheilten Weisung zu größerer Schonung gegen die Grenzdistricte hervor, von welcher die Berliner Handels- und Börsenzeitung neulich Mittheilung machte. Die innern Schwierigkeiten der noidschleswigschen Grenzrcgulirung, welche immer nur auf Unkosten eines der beiden Stämme möglich ist, welche von einander geschieden weiden sollen, sind sicher nicht gering anzuschlagen und der Streit darüber, ob der Demarkationslinie die Garantie für die Dänemark abzu¬ tretenden deutschen Gebiete vorhergehen solle oder umgekehrt, würde allein dazu hinreichen, die Entscheidung über diese Auseinandersetzung auf Wochen und Mo¬ nate hinauszuschieben. Aber noch sehr viel größer sind die äußern Schwierig¬ keiten, welche durch das Verhältniß, in welchem Frankreich und der deutsche Pariiculaüsmus zu dieser Frage stehen, hinzugetreten sind. Frankreich wird mit keinem Arrangement zufrieden sein, das sich nicht im Sinne einer demüthi¬ genden Nachgiebigkeit Preußens aus dcutenließe und Preußens deutsche Feinde, — auch die, welche heute dem französisch-dänischen Drängen Vorschub leisten, werden aus jedem Abkommen Capital zu schlagen wissen, um hinterher wegen Preis¬ geben deutscher Marken u. s. w. Klage zu erheben und Preußens deutschen Ein¬ fluß zu schwache». Allerdings hat nur die Sächsische Zeitung Naivetät genug besessen, um an die in Aussicht genommene Volksabstimmung in Nordschleswig die „logisch-consequente" Forderung eines sutkiÄM universal für ganz Schles¬ wig-Holstein und womöglich alle übrigen annectirten Länder zu knüpfen die Zahl derer aber, die aus der Grenzregüliruugsangelegenheit für Preußen ungünstige Folgerungen zu ziehen gedenken, ist Legion. Die Gegner scheuen sich in dieser Beziehung nicht, die einander widersprechendsten Anforderungen an das berliner Cabinet zu stellen: heute wird über die rücksichtslose Härte gegen die nordschleswigschen Dänen geklagt und möglichstes Entgegenkommen gegen die kopenhagener Wünsche als einziges Mittel zur Erhaltung des Friedens empfohlen und morgen auf das bloße Gerücht hin, Graf Bismarck sei Concessionen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/127>, abgerufen am 15.01.2025.