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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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die national-liberale Partei die ihr gebotene Gelegenheit, sich als die wahre
Vertreterin der neugeschaffenen Situation an die Spitze der Vertheidigung der
norddeutschen Bundesverfassung zu stellen, so hat sie es zu verantworten, wenn
jene "unzweifelhaften" Mängel derselben, mit deren Eingeständniß bis jetzt jede
liberale Apologie derselben eingeleitet worden ist, in aller Schroffheit ausgebildet,
die lebenskräftigen Keime derselben aber erstickt werden. Und daß es an solchen
nicht fehlt, hat sich bereits bei ihrer Einführung ausgewiesen.

Noch sind seit dieser Einführung nicht vierzehn Tage vergangen und schon haben
wir Resultate derselben zu registnren, die bei aller relativen Geringfügigkeit immer
größer sind als alte Errungenschaften, deren sich die "entschiedene" Demokratie
seit Jahr und Tag rühmen kann: aus Thüringen wurde neulich die Aufhebung
der thun-taxisschen Post- und Telegraphenvcrwaltung^ gemeldet, an deren
Stelle die preußische getreten ist und im Königreich Sachsen hat das aus Art. 3
der Verfassung begründete unbeschränkte Niederlassungs- und Freizügigkeitsrecht
die Aufhebung der Schranken zur Folge gehabt, welche bisher der freien Be¬
wegung der Bevölkerung im Wege standen, die Juden z. B. beinahe voll¬
ständig ausschlossen. Ein drittes Resultat steht vor der Thür: die Volksver¬
tretung Waldecks, welche sich außer Stande sah, den Anforderungen des nord¬
deutschen Bundes an die Steuerlast dieses Ländchens zu entsprechen, hat mit
allen gegen eine Stimme den Anschluß desselben an den preußischen Staat oder
ein diesem entsprechendes Arrangement gefordert. Nach particularistischer Auf¬
fassung ist diese Thatsache allerdings nur ein Argument mehr für den Unsegen,
der aus jeder Verbindung mit Preußen ruht. Das wirkliche Verhältniß ist aber
dieses, daß die Bewohner Waldecks den militärischen Schutz ihres Ländchens
und die Aufbringung der Unkosten für denselben bisher Preußen überlassen
hatten und durch die an sie getretene Nothwendigkeit, dieselben selbst zu über¬
nehmen, nicht mehr in der Lage geblieben sind, außerdem den Luxus eines
selbständigen Regierungs- und Hofapparats zu tragen.

Die Einfachheit dieses Rechenexempels verhindert die Particularisten freilich
nicht, über den erschrecklichen Steuerdruck zu jammern, der die Länder des neuen
Bundes bedrohe, ihnen zum Schaden und allein Preußen zum Gewinn. Das
fruchtbare Feld, das sich dieser Agitation durch die angekündigte Tabakssteuer
zu erschließen schien, ist bereits wieder auf einige Zeit unpraktikabel geworden,
denn die Überweisung der gesammten Vorlage an das Zollparlament schiebt
die Verwirklichung derselben, wenn sie überhaupt eintreten soll, weit hinaus
und wird das eigentliche Odium, den angedrohten lästigen Modus der Steuer¬
erhebung, welche die Producenten treffen soll, sicher aus der Welt schaffen.

Ziemlich gleichzeitig mit der Publikation der Bundesverfassung haben auch
in den von Preußen annectirten Ländern verschiedene wichtige Neugestaltungen
auf den Gebieten der Rechtspflege und Verwaltung Platz gegriffen: für alle


die national-liberale Partei die ihr gebotene Gelegenheit, sich als die wahre
Vertreterin der neugeschaffenen Situation an die Spitze der Vertheidigung der
norddeutschen Bundesverfassung zu stellen, so hat sie es zu verantworten, wenn
jene „unzweifelhaften" Mängel derselben, mit deren Eingeständniß bis jetzt jede
liberale Apologie derselben eingeleitet worden ist, in aller Schroffheit ausgebildet,
die lebenskräftigen Keime derselben aber erstickt werden. Und daß es an solchen
nicht fehlt, hat sich bereits bei ihrer Einführung ausgewiesen.

Noch sind seit dieser Einführung nicht vierzehn Tage vergangen und schon haben
wir Resultate derselben zu registnren, die bei aller relativen Geringfügigkeit immer
größer sind als alte Errungenschaften, deren sich die „entschiedene" Demokratie
seit Jahr und Tag rühmen kann: aus Thüringen wurde neulich die Aufhebung
der thun-taxisschen Post- und Telegraphenvcrwaltung^ gemeldet, an deren
Stelle die preußische getreten ist und im Königreich Sachsen hat das aus Art. 3
der Verfassung begründete unbeschränkte Niederlassungs- und Freizügigkeitsrecht
die Aufhebung der Schranken zur Folge gehabt, welche bisher der freien Be¬
wegung der Bevölkerung im Wege standen, die Juden z. B. beinahe voll¬
ständig ausschlossen. Ein drittes Resultat steht vor der Thür: die Volksver¬
tretung Waldecks, welche sich außer Stande sah, den Anforderungen des nord¬
deutschen Bundes an die Steuerlast dieses Ländchens zu entsprechen, hat mit
allen gegen eine Stimme den Anschluß desselben an den preußischen Staat oder
ein diesem entsprechendes Arrangement gefordert. Nach particularistischer Auf¬
fassung ist diese Thatsache allerdings nur ein Argument mehr für den Unsegen,
der aus jeder Verbindung mit Preußen ruht. Das wirkliche Verhältniß ist aber
dieses, daß die Bewohner Waldecks den militärischen Schutz ihres Ländchens
und die Aufbringung der Unkosten für denselben bisher Preußen überlassen
hatten und durch die an sie getretene Nothwendigkeit, dieselben selbst zu über¬
nehmen, nicht mehr in der Lage geblieben sind, außerdem den Luxus eines
selbständigen Regierungs- und Hofapparats zu tragen.

Die Einfachheit dieses Rechenexempels verhindert die Particularisten freilich
nicht, über den erschrecklichen Steuerdruck zu jammern, der die Länder des neuen
Bundes bedrohe, ihnen zum Schaden und allein Preußen zum Gewinn. Das
fruchtbare Feld, das sich dieser Agitation durch die angekündigte Tabakssteuer
zu erschließen schien, ist bereits wieder auf einige Zeit unpraktikabel geworden,
denn die Überweisung der gesammten Vorlage an das Zollparlament schiebt
die Verwirklichung derselben, wenn sie überhaupt eintreten soll, weit hinaus
und wird das eigentliche Odium, den angedrohten lästigen Modus der Steuer¬
erhebung, welche die Producenten treffen soll, sicher aus der Welt schaffen.

Ziemlich gleichzeitig mit der Publikation der Bundesverfassung haben auch
in den von Preußen annectirten Ländern verschiedene wichtige Neugestaltungen
auf den Gebieten der Rechtspflege und Verwaltung Platz gegriffen: für alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/126>, abgerufen am 15.01.2025.