Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.dern kann, mit Anstand, ja mit dem Schein freudiger Freiwilligkeit zu thun. Diese Haltung der württembergischen Regierung ist um so anerkennens- Bei dieser Stimmung der großen Menge muß die radikale und ultramon- dern kann, mit Anstand, ja mit dem Schein freudiger Freiwilligkeit zu thun. Diese Haltung der württembergischen Regierung ist um so anerkennens- Bei dieser Stimmung der großen Menge muß die radikale und ultramon- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0119" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191349"/> <p xml:id="ID_297" prev="#ID_296"> dern kann, mit Anstand, ja mit dem Schein freudiger Freiwilligkeit zu thun.<lb/> Was auch insgeheim die Stimmung am Hofe sein mag, die Regierung hat<lb/> offen den Weg des Anschlusses an die norddeutsche Macht betreten. Dieselben<lb/> Grundsäht, welche sie bei jenen Verhandlungen geleitet haben, bestimmen auch<lb/> sonst ihr Verhalten. Wir wollen es freilich Herrn von Golther nicht hoch an¬<lb/> rechnen, daß er nach neunmonatlichen anderweitigen Versuchen sich genöthigt<lb/> sah. an die Stelle Paulis nach Tübingen einen Gelehrten zu berufen, der die<lb/> politische Richtung des Vertriebenen theilt, übrigens Württemberger ist. Höchst<lb/> erfreulich ist aber die Thätigkeit, die in unserm Kriegsministerium herrscht. Auch<lb/> die letzten Bedenken gegen die preußischen Einrichtungen sind gefallen, und in aller<lb/> Stille, ohne viel Aufhebens zu machen, geschieht die Umgestaltung des Heer¬<lb/> wesens nach dem preußischen System. Wie in anderen Kreisen war auch un¬<lb/> ter unsern Offizieren nach dem friedlichen Ausgang des luxemburger Handels<lb/> die Besorgniß entstanden, daß die militärischen Reformen ins Stocken gerathen,<lb/> insbesondere die Adoption der preußischen Bewaffnung und des preußischen<lb/> Reglements wieder rückgängig gemacht werden könnten. Es ist dies glücklicher»<lb/> weise nicht eingetroffen. In Ludwigsburg befinden sich gegenwärtig — wenn<lb/> König Wilhelm das erlebt hätte! — badische Offiziere, welche auserlesene Mann¬<lb/> schaften mit der Handhabung der preußischen Schußwaffe vertraut machen. In<lb/> kurzem wird das bayrische Contingent das einzige sein, das seine eigenthümliche<lb/> Waffe besitzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_298"> Diese Haltung der württembergischen Regierung ist um so anerkennens-<lb/> werther, als sie auf die Zustimmung der Kammern, die im September zusammen¬<lb/> treten werden, noch keineswegs mit Sicherhit rechnen kann, zumal wenn zur<lb/> Genehmigung des neuen Zollvereinsvertrags, als eine Verfassungsänderung in-<lb/> volvirend, die Zweidrittelsmehrheit erforderlich sein sollte. Die große Mehrheit<lb/> des Landes ist freilich mit der Negierung einverstanden, wie sich schon an seiner<lb/> völlig passiven Haltung zeigt. Aber die Zustimmung des Landes ist eben eine<lb/> rein Passive, die Negierung besitzt nicht eigentlich eine Stütze daran. Man hat<lb/> im Grunde das Zustandekommen der militärischen und volkswirthschaftlichen<lb/> Verträge mit Preußen mit einer Gleichgiltigkeit aufgenommen, die sich nur<lb/> daraus erklärt, daß jedermann im Stillen längst überzeugt war, daß die Dinge<lb/> ja doch so kommen würden. Man war nicht überrascht, man nahm den Anschluß<lb/> an Preußen als etwas längst Bekanntes auf. über das man eigentlich gar nicht<lb/> debattirte. Zum Debattiren hatte man andere Stoffe. Das Reglement für<lb/> den neuerbauten Stuttgarter Bahnhof, durch welches einer wahrhaft anarchischen<lb/> Bummelei ein Ende gemacht wurde, hat die Gemüther ungleich lebhafter in<lb/> Bewegung gesetzt als jene Staatsverträge, die gleichfalls eingewurzelter Bummelei,<lb/> nur auf anderen Gebieten, ein Ende machen sollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_299" next="#ID_300"> Bei dieser Stimmung der großen Menge muß die radikale und ultramon-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
dern kann, mit Anstand, ja mit dem Schein freudiger Freiwilligkeit zu thun.
Was auch insgeheim die Stimmung am Hofe sein mag, die Regierung hat
offen den Weg des Anschlusses an die norddeutsche Macht betreten. Dieselben
Grundsäht, welche sie bei jenen Verhandlungen geleitet haben, bestimmen auch
sonst ihr Verhalten. Wir wollen es freilich Herrn von Golther nicht hoch an¬
rechnen, daß er nach neunmonatlichen anderweitigen Versuchen sich genöthigt
sah. an die Stelle Paulis nach Tübingen einen Gelehrten zu berufen, der die
politische Richtung des Vertriebenen theilt, übrigens Württemberger ist. Höchst
erfreulich ist aber die Thätigkeit, die in unserm Kriegsministerium herrscht. Auch
die letzten Bedenken gegen die preußischen Einrichtungen sind gefallen, und in aller
Stille, ohne viel Aufhebens zu machen, geschieht die Umgestaltung des Heer¬
wesens nach dem preußischen System. Wie in anderen Kreisen war auch un¬
ter unsern Offizieren nach dem friedlichen Ausgang des luxemburger Handels
die Besorgniß entstanden, daß die militärischen Reformen ins Stocken gerathen,
insbesondere die Adoption der preußischen Bewaffnung und des preußischen
Reglements wieder rückgängig gemacht werden könnten. Es ist dies glücklicher»
weise nicht eingetroffen. In Ludwigsburg befinden sich gegenwärtig — wenn
König Wilhelm das erlebt hätte! — badische Offiziere, welche auserlesene Mann¬
schaften mit der Handhabung der preußischen Schußwaffe vertraut machen. In
kurzem wird das bayrische Contingent das einzige sein, das seine eigenthümliche
Waffe besitzt.
Diese Haltung der württembergischen Regierung ist um so anerkennens-
werther, als sie auf die Zustimmung der Kammern, die im September zusammen¬
treten werden, noch keineswegs mit Sicherhit rechnen kann, zumal wenn zur
Genehmigung des neuen Zollvereinsvertrags, als eine Verfassungsänderung in-
volvirend, die Zweidrittelsmehrheit erforderlich sein sollte. Die große Mehrheit
des Landes ist freilich mit der Negierung einverstanden, wie sich schon an seiner
völlig passiven Haltung zeigt. Aber die Zustimmung des Landes ist eben eine
rein Passive, die Negierung besitzt nicht eigentlich eine Stütze daran. Man hat
im Grunde das Zustandekommen der militärischen und volkswirthschaftlichen
Verträge mit Preußen mit einer Gleichgiltigkeit aufgenommen, die sich nur
daraus erklärt, daß jedermann im Stillen längst überzeugt war, daß die Dinge
ja doch so kommen würden. Man war nicht überrascht, man nahm den Anschluß
an Preußen als etwas längst Bekanntes auf. über das man eigentlich gar nicht
debattirte. Zum Debattiren hatte man andere Stoffe. Das Reglement für
den neuerbauten Stuttgarter Bahnhof, durch welches einer wahrhaft anarchischen
Bummelei ein Ende gemacht wurde, hat die Gemüther ungleich lebhafter in
Bewegung gesetzt als jene Staatsverträge, die gleichfalls eingewurzelter Bummelei,
nur auf anderen Gebieten, ein Ende machen sollen.
Bei dieser Stimmung der großen Menge muß die radikale und ultramon-
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