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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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beiden Parteien nicht gefallen haben, denn es wurde dagegen Appellation an¬
gezeigt, und ging diese an das vorgesetzte Obergericht, das Hof- und Appellations-
gericht zu Dillenburg. Die Acten wurden dahin gesandt und das neue Urtheil
gesprochen. Mit einer Abschrift dieses Erkenntnisses kehrten die Acten zurück
und in einem Nesripte hatte diesmal das Obergericht zu Dillenburg das herzog¬
liche Amt angewiesen, wegen eines Formfehlers oder einer Nachlässigkeit in der
Redaction des bewußten Testaments dem Landoberschultheißcn einen Verweis zu
ertheilen und denselben aufzufordern, in Zukunft streng nach der Vorschrift zu
Verfahren. Der Beamte hatte natürlich nur einen der schönen Kopfbogen vor
sich zu legen und diesen Verweis dem hohen Auftrag entsprechend an seinen
Untergebenen zu richten, es mag sein, daß er sich nicht gefreut hatte, einen
solchen Auftrag zu erhalten, Thatsache aber ist es, daß er erst in Aerger aus¬
brach, als er nach einigen Stunden den sich selbst ertheilten Verweis auf seinem
andern Arbeitstisch, an welchem er sich als Landoberschulthciß fühlte, vorfand
und zur Kenntniß nahm. Der Landoberschulthciß konnte nun vor Aerger nicht
mehr ruhen, er setzte sich sofort hin und berichtete eine lange und gelehrte Ver¬
theidigung an das Amt und setzte darin auseinander, warum er also verfahren
bei Abfassung des Testamentes und bat schließlich, diese seine Nemonstration an
das Obergericht gelangen zu lassen. Was in dem Mann kochte, war nunmehr
heraus, es stand auf schönem Papier und der Bureaudiener siegelte es, adrcsstrte
es und trug es hinüber in das andere Zimmer, wo der Herr Amtmann zu
sitzen Pflegte. Nach einiger Zeit fand sich auch der Amtmann ein und erbrach
den Bericht des Landoberschultheißcn und ohne einen Schein von Parteilichkeit
legte er die Vertheidigung mit einem Berichte dem Obergericht vor.

Dasselbe muß nun im Recht gewesen sein oder die Gründe des großen
Juristen und Praktikers nicht gewürdigt haben; es rescribnte, daß es bei dem
Verweis bleiben solle und in Zukunft anders verfahren werden müßte. Auch
diesen harten Bescheid theilte der Amtmann in großer Seelenruhe dem unter¬
geordneten Landoberschultheißcn mit; und es war erst an diesem zu ergrimmen
und mit heftiger Feder dem Gerichtshof zu Leibe zu rücken, der in seiner All¬
wissenheit glaubte, keines Menschen Gründe hören zu dürfen. Es mag diese
zweite Nemonstration etwas unhöflich gewesen sein und es sollen überhaupt die
Juristen leicht bei Streiten über wissenschaftliche Sätze oder deren Anwendung
auf einzelne Fälle in kleine Anzüglichkeiten gerathen -- zum Beweis die be¬
kannte "ZMLLtio vomiti-eng, und die Antwort des Juvcntius darauf -- oder
war der Herr Referent am Obergericht sehr empfindlich gegen Angriffe auf seine
Autorität, genug es erging von neuem ein Rescript an das Amt, worin dem
Landobcrschulthcißen der Verweis wiederholt bestätigt und ihm nebenher wegen
einiger bitteren Bemerkungen über den ganzen Nescriptsproceß eine Discipiinar-
strafe von si. ö angesetzt wurde. Der Amtmann mußte diese Strafe in das


beiden Parteien nicht gefallen haben, denn es wurde dagegen Appellation an¬
gezeigt, und ging diese an das vorgesetzte Obergericht, das Hof- und Appellations-
gericht zu Dillenburg. Die Acten wurden dahin gesandt und das neue Urtheil
gesprochen. Mit einer Abschrift dieses Erkenntnisses kehrten die Acten zurück
und in einem Nesripte hatte diesmal das Obergericht zu Dillenburg das herzog¬
liche Amt angewiesen, wegen eines Formfehlers oder einer Nachlässigkeit in der
Redaction des bewußten Testaments dem Landoberschultheißcn einen Verweis zu
ertheilen und denselben aufzufordern, in Zukunft streng nach der Vorschrift zu
Verfahren. Der Beamte hatte natürlich nur einen der schönen Kopfbogen vor
sich zu legen und diesen Verweis dem hohen Auftrag entsprechend an seinen
Untergebenen zu richten, es mag sein, daß er sich nicht gefreut hatte, einen
solchen Auftrag zu erhalten, Thatsache aber ist es, daß er erst in Aerger aus¬
brach, als er nach einigen Stunden den sich selbst ertheilten Verweis auf seinem
andern Arbeitstisch, an welchem er sich als Landoberschulthciß fühlte, vorfand
und zur Kenntniß nahm. Der Landoberschulthciß konnte nun vor Aerger nicht
mehr ruhen, er setzte sich sofort hin und berichtete eine lange und gelehrte Ver¬
theidigung an das Amt und setzte darin auseinander, warum er also verfahren
bei Abfassung des Testamentes und bat schließlich, diese seine Nemonstration an
das Obergericht gelangen zu lassen. Was in dem Mann kochte, war nunmehr
heraus, es stand auf schönem Papier und der Bureaudiener siegelte es, adrcsstrte
es und trug es hinüber in das andere Zimmer, wo der Herr Amtmann zu
sitzen Pflegte. Nach einiger Zeit fand sich auch der Amtmann ein und erbrach
den Bericht des Landoberschultheißcn und ohne einen Schein von Parteilichkeit
legte er die Vertheidigung mit einem Berichte dem Obergericht vor.

Dasselbe muß nun im Recht gewesen sein oder die Gründe des großen
Juristen und Praktikers nicht gewürdigt haben; es rescribnte, daß es bei dem
Verweis bleiben solle und in Zukunft anders verfahren werden müßte. Auch
diesen harten Bescheid theilte der Amtmann in großer Seelenruhe dem unter¬
geordneten Landoberschultheißcn mit; und es war erst an diesem zu ergrimmen
und mit heftiger Feder dem Gerichtshof zu Leibe zu rücken, der in seiner All¬
wissenheit glaubte, keines Menschen Gründe hören zu dürfen. Es mag diese
zweite Nemonstration etwas unhöflich gewesen sein und es sollen überhaupt die
Juristen leicht bei Streiten über wissenschaftliche Sätze oder deren Anwendung
auf einzelne Fälle in kleine Anzüglichkeiten gerathen — zum Beweis die be¬
kannte «ZMLLtio vomiti-eng, und die Antwort des Juvcntius darauf — oder
war der Herr Referent am Obergericht sehr empfindlich gegen Angriffe auf seine
Autorität, genug es erging von neuem ein Rescript an das Amt, worin dem
Landobcrschulthcißen der Verweis wiederholt bestätigt und ihm nebenher wegen
einiger bitteren Bemerkungen über den ganzen Nescriptsproceß eine Discipiinar-
strafe von si. ö angesetzt wurde. Der Amtmann mußte diese Strafe in das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/97>, abgerufen am 23.07.2024.