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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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verstehen; und die seinem Beruf eigenthümliche realistische Denkungsweise
sorgte dafür, daß er nicht in die Excesse der Phantasie verfiel, die es seit jenen
Tagen so manchem ehrlichen Liberalen erschwerte, sich mit dem Gange der vater¬
ländischen Dinge zu befreunden.

So darf man annehmen, daß eine sehr bedeutende Minderheit, vielleicht
sogar schon die Mehrheit der hannöverschen Offiziere vollkommen bereit war,
ins preußische Heer überzutreten, als die Verhandlungen früh im Herbste be¬
gannen. Noch aber hielt der von dem vertriebenen Hofe her genährte Geist
feindseligen Widerstandes diese Neigung im Zaume. In der "Neuen Welt" zu
Hietzing bei Wien, dem Asyl des Exkönigs und seiner paar Getreuen, scheint
man sich geraume Zeit dem Wahne hingegeben zu haben, man könne die Masse
des Offiziercorps überhaupt vom Eintritt in die preußische Armee zurückhalten.
Im nächsten Frühling hoffte man ja die Turcos und Zuaven am Rheine er¬
scheinen zu sehen, und dann war alle Noth vorüber. Da dieses Luftschloß sich
doch nur für die erregbare Einbildungskraft der Emigration, nicht aber für die
prosaischen Existenzsorgen der in den Schoß ihrer Familien zurückgekehrten
Offiziere bewohnbar erwies, so nahm man den Traum eines Masseneintritts in
die sächsische Armee und ähnliche Projecte auf. Dort sollten die Ritter des
entthronten Welfenhauses bei erträglicher Leibeskraft und Berufsübung erhalten
werden, bis die Trompete sie zum Nachezuge abrief. Allein auch diese Nebel"
gebilde zerrannen bei genauerer Betrachtung. Gleichzeitig entwickelte man preu-
ßischerseits in Berlin und Hannover eine musterhafte Geduld. Man litt es,
daß eine Anzahl höherer Offiziere von keineswegs sehr ausgeprägter Preußen¬
freundlichkeit sich als eine "Commission" für die Leitung dieser Angelegenheit
aufwarfen, und unterhandelte mit ihnen sogar in Berlin. Der Generalgou¬
vemeur ließ es sich gefallen, daß diese Commission, ohne es ihm nur anzukün¬
digen, von seinen ihr zu enge dünkenden Jnstructionen an die oberste Instanz
appellirte. General v. Voigts-Nhetz entfaltete überhaupt in dieser ganzen lang¬
wierigen Unterhandlung eine Rücksicht, die dem ebenfalls so rücksichtsvollen Ci-
vilcommissär an seiner Seite schon viel zu weit ging. Aber das Ergebniß hat
alle beobachtete Rücksicht, nun gerechtfertigt. Nachdem der König Georg noch
die redlichen Bemühungen des General v. d. Knesebeck hartnäckig zurück¬
gewiesen, denselben sogar durch seine Creaturen ungehindert hatte beleidigen
lassen, gab er am Tage vor Weihnachten den dringenden Vorstellungen einiger
Mitglieder der oben erwähnten Commission nach. Sie haben ihn wahrschein¬
lich darauf hingewiesen, daß die Masse der Offiziere auf keine Art länger zu¬
rückzuhalten sei. In der That hatten die Meldungen zum Eintritt auf alle
Gefahr hin bereits begonnen. Unter diesen Umständen bequemte sich der ver¬
jagte Welfenkönig. vernünftigem Rathe Gehör zu schenken, anstatt noch länger
auf die leidenschaftlichen Eingebungen seiner Exilsgefährten oder solcher jun-


verstehen; und die seinem Beruf eigenthümliche realistische Denkungsweise
sorgte dafür, daß er nicht in die Excesse der Phantasie verfiel, die es seit jenen
Tagen so manchem ehrlichen Liberalen erschwerte, sich mit dem Gange der vater¬
ländischen Dinge zu befreunden.

So darf man annehmen, daß eine sehr bedeutende Minderheit, vielleicht
sogar schon die Mehrheit der hannöverschen Offiziere vollkommen bereit war,
ins preußische Heer überzutreten, als die Verhandlungen früh im Herbste be¬
gannen. Noch aber hielt der von dem vertriebenen Hofe her genährte Geist
feindseligen Widerstandes diese Neigung im Zaume. In der „Neuen Welt" zu
Hietzing bei Wien, dem Asyl des Exkönigs und seiner paar Getreuen, scheint
man sich geraume Zeit dem Wahne hingegeben zu haben, man könne die Masse
des Offiziercorps überhaupt vom Eintritt in die preußische Armee zurückhalten.
Im nächsten Frühling hoffte man ja die Turcos und Zuaven am Rheine er¬
scheinen zu sehen, und dann war alle Noth vorüber. Da dieses Luftschloß sich
doch nur für die erregbare Einbildungskraft der Emigration, nicht aber für die
prosaischen Existenzsorgen der in den Schoß ihrer Familien zurückgekehrten
Offiziere bewohnbar erwies, so nahm man den Traum eines Masseneintritts in
die sächsische Armee und ähnliche Projecte auf. Dort sollten die Ritter des
entthronten Welfenhauses bei erträglicher Leibeskraft und Berufsübung erhalten
werden, bis die Trompete sie zum Nachezuge abrief. Allein auch diese Nebel»
gebilde zerrannen bei genauerer Betrachtung. Gleichzeitig entwickelte man preu-
ßischerseits in Berlin und Hannover eine musterhafte Geduld. Man litt es,
daß eine Anzahl höherer Offiziere von keineswegs sehr ausgeprägter Preußen¬
freundlichkeit sich als eine „Commission" für die Leitung dieser Angelegenheit
aufwarfen, und unterhandelte mit ihnen sogar in Berlin. Der Generalgou¬
vemeur ließ es sich gefallen, daß diese Commission, ohne es ihm nur anzukün¬
digen, von seinen ihr zu enge dünkenden Jnstructionen an die oberste Instanz
appellirte. General v. Voigts-Nhetz entfaltete überhaupt in dieser ganzen lang¬
wierigen Unterhandlung eine Rücksicht, die dem ebenfalls so rücksichtsvollen Ci-
vilcommissär an seiner Seite schon viel zu weit ging. Aber das Ergebniß hat
alle beobachtete Rücksicht, nun gerechtfertigt. Nachdem der König Georg noch
die redlichen Bemühungen des General v. d. Knesebeck hartnäckig zurück¬
gewiesen, denselben sogar durch seine Creaturen ungehindert hatte beleidigen
lassen, gab er am Tage vor Weihnachten den dringenden Vorstellungen einiger
Mitglieder der oben erwähnten Commission nach. Sie haben ihn wahrschein¬
lich darauf hingewiesen, daß die Masse der Offiziere auf keine Art länger zu¬
rückzuhalten sei. In der That hatten die Meldungen zum Eintritt auf alle
Gefahr hin bereits begonnen. Unter diesen Umständen bequemte sich der ver¬
jagte Welfenkönig. vernünftigem Rathe Gehör zu schenken, anstatt noch länger
auf die leidenschaftlichen Eingebungen seiner Exilsgefährten oder solcher jun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/82>, abgerufen am 04.07.2024.