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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Aber der junge Mann darf kein Weichling sein, er muß ernsten"Willen haben,
denn es ist freilich dem Trägen und Lässigen ein willkommener Vorwand,
körperliche Uebermüdung hindere ihn an geistiger Arbeit. Besonders sich
selbst wird er damit sehr häusig betrügen, um den Weg in die Restauration,
statt zur Arbeit zu nehmen. Den gesunden Menschen macht die körperliche
Motion vielmehr zu geistiger Arbeit doppelt tüchtig, und wenn Schreiber dieses
aus eigener Erfahrung sprechen darf, so muß er gestehen, daß er immer mit
größerer Lust und frischerer Kraft an seine juristischen Arbeiten geht, wenn der
Körper vorher sich eine Stunde in freier Luft getummelt hat, als wenn er
eben dem trägen Bette entstiegen ist.

Eins freilich bleibt wahr: unbequem ist das Militärjahr. Keinen Augen¬
blick darf der Freiwillige sich selber aus den Augen verlieren, auf der Straße
muß er die Aufmerksamkeit auf die Vorübergehenden richten, damit den Vor¬
gesetzten die vorschriftsmäßigen Honneurs gemacht werden, zu Hause muß er
seine Sachen im Stande halten, um jeden Augenblick im Dienst erscheinen zu
können. Ein altes Witzwort sagt: "Was muß der Soldat zuerst thun, wenn
er Morgens aus dem Bette steigt?" -- Antwort: "Er muß Abends vorher
seine Knöpfe geputzt haben!" Ueber keine vor ihm liegende Stunde kann der
Freiwillige mit Sicherheit disponiren, -- der königliche Dienst ist unbedingt,
keine Rücksicht des bürgerlichen Lebens, keine Entschuldigung gilt, selbst die
Stunden der Nacht schützen nicht vor ihm, denn das Allarmsignal zwingt zu
sofortigen Erscheinen.

Der Freiwillige steht unter einem eisernen Gesetz: ein nicht geputzter Knopf,
eine versäumte Minute, die geringste Vergeßlichkeit setzt ihn der Gefahr harter
und demüthigender Strafen aus. Hat er das Unglück körperlich ungeschickt zu
sein, so muß er nachexerciren und ist dem Spott und den Zurechtweisungen der
subalternen Vorgesetzten ausgesetzt. Kleineren Strafen, wie nachexerciren, ist
man oft beim besten Willen zu entgehen nicht im Stande. Wohl noch kein
Freiwilliger mag sein Dienstjahr beendet haben, ohne einmal unverdienterweise
verwiesen oder bestraft worden zu sein. Sich zu beschweren ist mißlich, da man
unweigerlich bestraft wird, wenn die Beschwerde unbegründet erfunden wird.

Die Arreststrafcn. die vom Hauptmann für jedes kleinste Versehen, z. B.
Zuspätkommen, schlechtes Putzen, mangelhaftes Grüßen u. dergl.. verhängt wer¬
den können, sind für den Gebildeten fast unerträglich. Mittelarrest, eine ge-
wöhMch auf drei Tage für kleinere Vergehen festgesetzte Strafe, besteht z. B.
in der Einsperrung in einen schwach erleuchteten, käfigartigen Raum mit einer
Holzbank als Möbel und einem schweren Schwarzbrod als ausschließlicher
Nahrung. Jedes Vergehen auf Wache, z. B. das sich Hinsetzen eine" auf
Posten Befindlichen, zieht dagegen schon achttägigen strengen Arrest nach sich;
da wird der Mann in einen leeren Käsig gesperrt, der durch ein faustgroßes


Aber der junge Mann darf kein Weichling sein, er muß ernsten"Willen haben,
denn es ist freilich dem Trägen und Lässigen ein willkommener Vorwand,
körperliche Uebermüdung hindere ihn an geistiger Arbeit. Besonders sich
selbst wird er damit sehr häusig betrügen, um den Weg in die Restauration,
statt zur Arbeit zu nehmen. Den gesunden Menschen macht die körperliche
Motion vielmehr zu geistiger Arbeit doppelt tüchtig, und wenn Schreiber dieses
aus eigener Erfahrung sprechen darf, so muß er gestehen, daß er immer mit
größerer Lust und frischerer Kraft an seine juristischen Arbeiten geht, wenn der
Körper vorher sich eine Stunde in freier Luft getummelt hat, als wenn er
eben dem trägen Bette entstiegen ist.

Eins freilich bleibt wahr: unbequem ist das Militärjahr. Keinen Augen¬
blick darf der Freiwillige sich selber aus den Augen verlieren, auf der Straße
muß er die Aufmerksamkeit auf die Vorübergehenden richten, damit den Vor¬
gesetzten die vorschriftsmäßigen Honneurs gemacht werden, zu Hause muß er
seine Sachen im Stande halten, um jeden Augenblick im Dienst erscheinen zu
können. Ein altes Witzwort sagt: „Was muß der Soldat zuerst thun, wenn
er Morgens aus dem Bette steigt?" — Antwort: „Er muß Abends vorher
seine Knöpfe geputzt haben!" Ueber keine vor ihm liegende Stunde kann der
Freiwillige mit Sicherheit disponiren, — der königliche Dienst ist unbedingt,
keine Rücksicht des bürgerlichen Lebens, keine Entschuldigung gilt, selbst die
Stunden der Nacht schützen nicht vor ihm, denn das Allarmsignal zwingt zu
sofortigen Erscheinen.

Der Freiwillige steht unter einem eisernen Gesetz: ein nicht geputzter Knopf,
eine versäumte Minute, die geringste Vergeßlichkeit setzt ihn der Gefahr harter
und demüthigender Strafen aus. Hat er das Unglück körperlich ungeschickt zu
sein, so muß er nachexerciren und ist dem Spott und den Zurechtweisungen der
subalternen Vorgesetzten ausgesetzt. Kleineren Strafen, wie nachexerciren, ist
man oft beim besten Willen zu entgehen nicht im Stande. Wohl noch kein
Freiwilliger mag sein Dienstjahr beendet haben, ohne einmal unverdienterweise
verwiesen oder bestraft worden zu sein. Sich zu beschweren ist mißlich, da man
unweigerlich bestraft wird, wenn die Beschwerde unbegründet erfunden wird.

Die Arreststrafcn. die vom Hauptmann für jedes kleinste Versehen, z. B.
Zuspätkommen, schlechtes Putzen, mangelhaftes Grüßen u. dergl.. verhängt wer¬
den können, sind für den Gebildeten fast unerträglich. Mittelarrest, eine ge-
wöhMch auf drei Tage für kleinere Vergehen festgesetzte Strafe, besteht z. B.
in der Einsperrung in einen schwach erleuchteten, käfigartigen Raum mit einer
Holzbank als Möbel und einem schweren Schwarzbrod als ausschließlicher
Nahrung. Jedes Vergehen auf Wache, z. B. das sich Hinsetzen eine» auf
Posten Befindlichen, zieht dagegen schon achttägigen strengen Arrest nach sich;
da wird der Mann in einen leeren Käsig gesperrt, der durch ein faustgroßes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/74>, abgerufen am 23.12.2024.