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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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nennen, der seine um acht Tage verlängerten Herbstferien von nunmehr vier¬
wöchentlicher Länge dazu benutzte, unmittelbar aus der Schulstube heraus in
acht Tagen bis Athen zu reisen, in den folgenden zwei Wochen Athen und
Korinth. Argos und Mykenä, Delphi und Theben, die Schlachtfelder von Chai-
roneia. Platäa und Marathon zu besuchen und dann eiligst heimzukehren;
Sonntag Abend wieder angekommen, tritt er am Montag Morgen vor seine
Schüler, und sicherlich hat die Stunde, da er ihnen frisch von den gesehenen
Wundern erzählt, tieferen Eindruck auf diese gemacht und reichere Anregungen
hinterlassen, als manche Woche des gesammten sonstigen Unterrichts. Sollen
wir noch einen Mann namhaft machen, der zeigen kann, welche Früchte die
Benutzung aller Hilfsmittel des Lernens und Schauens in einer glücklich org"-
nistrten, für alles Schöne und Echte empfänglichen Natur zu zeitigen vermag?
Es ist Friedrich Gottlieb Welcker. In liebevoller Vertrautheit mit den Klassikern
aufgewachsen, hat dieser Mann zuerst in der Jugend mehre Jahre in Rom
zubringen können; dann war es ihm, den Sechzigern nahe, noch beschieden
Griechenland und Kleinasien zu besuchen, grade noch zeitig genug, um alle Ein¬
drücke in voller Frische in sich aufzunehmen. Ohne je eine philologische Vor¬
lesung gehört zu haben, ist er einer der anregendsten und begeisterndsten Lehrer
der Wissenschaft geworden und hat sein ganzes Leben lang unablässig und
mit dem glänzendsten Erfolge gestrebt, das Alterthum in seiner Gesammtheit
zu erfassen und den Jüngern lebendig vor Augen zu stellen. Die griechische
Poesie in jeder Aeußerung zu verfolgen, in den verschiedenen Gattungen der
Literatur nicht minder als in den Werken der bildenden Kunst und in
den tiefsten Schöpfungen des Glaubens und religiöser Speculation, das
ist die Arbeit seines mehr als achtzigjähriger Lebens. So steht denn auch
seine ganze Thätigkeit selber da wie ein Kunstwerk, abgerundet und in sich
geschlossen, eine Quelle reichster Belehrung, dauernden Genusses, dankbarer
Bewunderung.




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nennen, der seine um acht Tage verlängerten Herbstferien von nunmehr vier¬
wöchentlicher Länge dazu benutzte, unmittelbar aus der Schulstube heraus in
acht Tagen bis Athen zu reisen, in den folgenden zwei Wochen Athen und
Korinth. Argos und Mykenä, Delphi und Theben, die Schlachtfelder von Chai-
roneia. Platäa und Marathon zu besuchen und dann eiligst heimzukehren;
Sonntag Abend wieder angekommen, tritt er am Montag Morgen vor seine
Schüler, und sicherlich hat die Stunde, da er ihnen frisch von den gesehenen
Wundern erzählt, tieferen Eindruck auf diese gemacht und reichere Anregungen
hinterlassen, als manche Woche des gesammten sonstigen Unterrichts. Sollen
wir noch einen Mann namhaft machen, der zeigen kann, welche Früchte die
Benutzung aller Hilfsmittel des Lernens und Schauens in einer glücklich org«-
nistrten, für alles Schöne und Echte empfänglichen Natur zu zeitigen vermag?
Es ist Friedrich Gottlieb Welcker. In liebevoller Vertrautheit mit den Klassikern
aufgewachsen, hat dieser Mann zuerst in der Jugend mehre Jahre in Rom
zubringen können; dann war es ihm, den Sechzigern nahe, noch beschieden
Griechenland und Kleinasien zu besuchen, grade noch zeitig genug, um alle Ein¬
drücke in voller Frische in sich aufzunehmen. Ohne je eine philologische Vor¬
lesung gehört zu haben, ist er einer der anregendsten und begeisterndsten Lehrer
der Wissenschaft geworden und hat sein ganzes Leben lang unablässig und
mit dem glänzendsten Erfolge gestrebt, das Alterthum in seiner Gesammtheit
zu erfassen und den Jüngern lebendig vor Augen zu stellen. Die griechische
Poesie in jeder Aeußerung zu verfolgen, in den verschiedenen Gattungen der
Literatur nicht minder als in den Werken der bildenden Kunst und in
den tiefsten Schöpfungen des Glaubens und religiöser Speculation, das
ist die Arbeit seines mehr als achtzigjähriger Lebens. So steht denn auch
seine ganze Thätigkeit selber da wie ein Kunstwerk, abgerundet und in sich
geschlossen, eine Quelle reichster Belehrung, dauernden Genusses, dankbarer
Bewunderung.




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[0069] nennen, der seine um acht Tage verlängerten Herbstferien von nunmehr vier¬ wöchentlicher Länge dazu benutzte, unmittelbar aus der Schulstube heraus in acht Tagen bis Athen zu reisen, in den folgenden zwei Wochen Athen und Korinth. Argos und Mykenä, Delphi und Theben, die Schlachtfelder von Chai- roneia. Platäa und Marathon zu besuchen und dann eiligst heimzukehren; Sonntag Abend wieder angekommen, tritt er am Montag Morgen vor seine Schüler, und sicherlich hat die Stunde, da er ihnen frisch von den gesehenen Wundern erzählt, tieferen Eindruck auf diese gemacht und reichere Anregungen hinterlassen, als manche Woche des gesammten sonstigen Unterrichts. Sollen wir noch einen Mann namhaft machen, der zeigen kann, welche Früchte die Benutzung aller Hilfsmittel des Lernens und Schauens in einer glücklich org«- nistrten, für alles Schöne und Echte empfänglichen Natur zu zeitigen vermag? Es ist Friedrich Gottlieb Welcker. In liebevoller Vertrautheit mit den Klassikern aufgewachsen, hat dieser Mann zuerst in der Jugend mehre Jahre in Rom zubringen können; dann war es ihm, den Sechzigern nahe, noch beschieden Griechenland und Kleinasien zu besuchen, grade noch zeitig genug, um alle Ein¬ drücke in voller Frische in sich aufzunehmen. Ohne je eine philologische Vor¬ lesung gehört zu haben, ist er einer der anregendsten und begeisterndsten Lehrer der Wissenschaft geworden und hat sein ganzes Leben lang unablässig und mit dem glänzendsten Erfolge gestrebt, das Alterthum in seiner Gesammtheit zu erfassen und den Jüngern lebendig vor Augen zu stellen. Die griechische Poesie in jeder Aeußerung zu verfolgen, in den verschiedenen Gattungen der Literatur nicht minder als in den Werken der bildenden Kunst und in den tiefsten Schöpfungen des Glaubens und religiöser Speculation, das ist die Arbeit seines mehr als achtzigjähriger Lebens. So steht denn auch seine ganze Thätigkeit selber da wie ein Kunstwerk, abgerundet und in sich geschlossen, eine Quelle reichster Belehrung, dauernden Genusses, dankbarer Bewunderung. 8'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/69>, abgerufen am 25.07.2024.