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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Rührend die Harfe, und zween Haupttummeler tanzen im Kreise,
Wie den Gesang er beginnt, und drehen sich hierhin und dorthin.

Auch der Inhalt des Gesanges currere an die homerische Linosklage und
die "Heldenlieder", Es sind selbstgedichtete Lieder von den Thaten berühmter
Freiheitskämpfer aus dem Türkenknegc, von den letzten Räubern, deren Hin¬
richtung bedauert wird, "denn so tapfer sind wir nicht, wenn es einmal gegen
den Türken geht", von Charos, dem verderblichen Alten, der dem Hirten seine
Heerde raubt und ihn selbst zum Hades hinabzieht; oder es wird eine Sage
berichtet von dem heiligen Dionysios, der in seiner Kindheit nach Naxia zog
und dort die erste Rede pflanzte, welche schon selbiges Tages die Naxioten er"
quiekte und berückte. Wer den Dichter will versteh", muß in Dichters Lande
gehn. Hier ist alles homerisch, auch die Delphine, welche das Schiff umspielen,
wie einst das tyrrenische Fahrzeug, das den Gott Dionysos trug; ja in Syra
wimmeln zur Erinnerung an den ältesten berühmten Syrier, an den "göttlichen
Sauhirten" die steilen Straßen der Oberstadt von den Thieren, deren Hut auf
Ithaka einst dem geraubten Königssohne oblag. Freilich leben auch die unholden
Gesellen der Odyssee fort in den KIcphtcn und Räubern; nur die verderblichen
Ungeheuer jener Schiffermärchcn sind ganz und gar verschwunden oder haben
doch unbedeutenderen, weniger gefährlichen als lästigen Nachfolgern Platz
gemacht.

Erwecken so in Griechenland -- und wenig anders ist es in Italien --
die Neste der Kunst wie die lebendige Umgebung bei jedem Schritt das Bild
der alten Zeit, so wird dieser Eindruck noch bedeutend erhöht durch den
unvergänglichen Hintergrund, den die stets sich wiederverjüngende Natur heute
Wie damals durch die ganze Gestaltung der Gegend geschaffen hat und schasst.
Wenn wir in den wild zerklüfteten Gebirgen des nördlichen Arkadiens in schauer¬
lichster Einöde einer kolossalen, himmelanstrcvenden Bergwand gegenüberstehen,
über welche im innersten Winkel der Schlucht der schmale Staubbach der Styx
hoch aus der Schneedecke des Bergstockes herabrinnt, da wird die Phantasie der
alten Hellenen in uns wieder lebendig, welche diese Gegend in die Unterwelt
versetzte, da begreifen wir die Gewalt des Schwures, welcher selbst die olympi¬
schen Götter band:


Zeuge mir jetzo die Erd' und der wölbende Himmel da oben,
Auch das kräuselnde Wasser des Styxfalls, was ja der größte
Und der furchtbarste Eidschwur ist für die seligen Götter.

Auch der alte Glaube an die gefährlichen Wirkungen des eiskalten Wassers ist
noch jetzt im Volke lebendig, niemand trinkt von der Fluth, die das umliegende
Gestein so giftig grün färbt. Nicht minder gewaltig wirkt auf ein für Natur-
eindrücke empfängliches Gemüth die enge Thalschlucht, an deren nördlichem
Rande Delphi liegt, terrassenförmig rasch emporsteigend zu dem künstlichen Pia-


Rührend die Harfe, und zween Haupttummeler tanzen im Kreise,
Wie den Gesang er beginnt, und drehen sich hierhin und dorthin.

Auch der Inhalt des Gesanges currere an die homerische Linosklage und
die „Heldenlieder", Es sind selbstgedichtete Lieder von den Thaten berühmter
Freiheitskämpfer aus dem Türkenknegc, von den letzten Räubern, deren Hin¬
richtung bedauert wird, „denn so tapfer sind wir nicht, wenn es einmal gegen
den Türken geht", von Charos, dem verderblichen Alten, der dem Hirten seine
Heerde raubt und ihn selbst zum Hades hinabzieht; oder es wird eine Sage
berichtet von dem heiligen Dionysios, der in seiner Kindheit nach Naxia zog
und dort die erste Rede pflanzte, welche schon selbiges Tages die Naxioten er«
quiekte und berückte. Wer den Dichter will versteh», muß in Dichters Lande
gehn. Hier ist alles homerisch, auch die Delphine, welche das Schiff umspielen,
wie einst das tyrrenische Fahrzeug, das den Gott Dionysos trug; ja in Syra
wimmeln zur Erinnerung an den ältesten berühmten Syrier, an den „göttlichen
Sauhirten" die steilen Straßen der Oberstadt von den Thieren, deren Hut auf
Ithaka einst dem geraubten Königssohne oblag. Freilich leben auch die unholden
Gesellen der Odyssee fort in den KIcphtcn und Räubern; nur die verderblichen
Ungeheuer jener Schiffermärchcn sind ganz und gar verschwunden oder haben
doch unbedeutenderen, weniger gefährlichen als lästigen Nachfolgern Platz
gemacht.

Erwecken so in Griechenland — und wenig anders ist es in Italien —
die Neste der Kunst wie die lebendige Umgebung bei jedem Schritt das Bild
der alten Zeit, so wird dieser Eindruck noch bedeutend erhöht durch den
unvergänglichen Hintergrund, den die stets sich wiederverjüngende Natur heute
Wie damals durch die ganze Gestaltung der Gegend geschaffen hat und schasst.
Wenn wir in den wild zerklüfteten Gebirgen des nördlichen Arkadiens in schauer¬
lichster Einöde einer kolossalen, himmelanstrcvenden Bergwand gegenüberstehen,
über welche im innersten Winkel der Schlucht der schmale Staubbach der Styx
hoch aus der Schneedecke des Bergstockes herabrinnt, da wird die Phantasie der
alten Hellenen in uns wieder lebendig, welche diese Gegend in die Unterwelt
versetzte, da begreifen wir die Gewalt des Schwures, welcher selbst die olympi¬
schen Götter band:


Zeuge mir jetzo die Erd' und der wölbende Himmel da oben,
Auch das kräuselnde Wasser des Styxfalls, was ja der größte
Und der furchtbarste Eidschwur ist für die seligen Götter.

Auch der alte Glaube an die gefährlichen Wirkungen des eiskalten Wassers ist
noch jetzt im Volke lebendig, niemand trinkt von der Fluth, die das umliegende
Gestein so giftig grün färbt. Nicht minder gewaltig wirkt auf ein für Natur-
eindrücke empfängliches Gemüth die enge Thalschlucht, an deren nördlichem
Rande Delphi liegt, terrassenförmig rasch emporsteigend zu dem künstlichen Pia-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/62>, abgerufen am 23.12.2024.