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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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noch die nöthigen Belege fehlen möchten. -- Daneben giebt sich das Interesse
an ausländischer Literatur auch in diesem brieflichen Austausch .kund: "Grade
die junge Masse der Nationen" -- schreibt Goethe -- "die sich nach uns um¬
sieht, lebt mit einer andern, die aus dem alten Eigenen beharrt, in Wide> streit,
deshalb suchen sie sich durch uns zu stärken, indem sie, was an uns kräftig
sein mag, gelten lassen. Es ist ein eigenes Verhältniß, das sich erst "einigen
und zurecht schicken muß, welches aber mehr Zeit erfordern möchte, als uns zum
Mitwirken übrig geblieben ist."

Vorzüglich anregend ist ihm die französische Zeitung "to Klobe", doch nur
so lange sie nicht an dem politischen Partcikampf jener Tage selbst entschiedenen
Antheil nimmt, sobald dies (1827) geschieht, sinkt seine Theilnahme und er
prophezeit eine neue Staatsumwälzung. Seine politischen Anschauungen offen¬
baren sich jedoch von einer andern interessanten Seite, als er auf die Versamm¬
lungen der Naturforscher zu sprechen kommt: "Was den politischen Punkt be¬
trifft,^" wurde ich einem Staatsmann sagen: grade jetzt, da eine unselige
Schrift des Joh. Wit die widerwärtigsten Geheimnisse aufdeckt und dergleichen
noch mehre folgen werden, so ist es jklug, die wissenschafilichen Notablen einer
Nation auch einmal bei sich zu versammeln, zu versuchen, in wiefern man Zu¬
trauen zu ihnen gewinnen, ihnen Zutrauen einflößen könne; man würde gewiß
Bortheil davon ziehen und wenn man ihnen den Hellenismus nachgäbe, gar
wohl bemerken: daß man in neuerer Zeit vor eigentlichen Verschwörungen und
Erschütterungen bei uns wohl gesichert sei."

Der letzte Brief Goethes, acht Tage vor seinem Tode, zeigt uns den Alt¬
meister noch in ganzer Vollkraft des Schaffens und die Schlußzeilen rufen den
Sinn seines letzten Ausspruchs beim Abscheiden in bewegender Weise zur Er¬
innerung. --

Aber ganz als den ewigen Jüngling finden wir ihn in seinem alleriehien
Concept wieder, das noch später als dieser Brief fällt und uns unter den Bei¬
lagen aufbewahrt ist. Nachdem er bemerkt, daß das Studium der Spiralität
des Pflanzcnwachsthums ihn nicht losgelassen, fügt er hinzu:

"Im Anfange mußte die Schlingpflanze sich um den sich erhebenden Stamm
in kaum merklichen Kreisen herumwinden. Jemehr er sich aber der obern zarten
Spitze näherte, desto schneller mußte die Schneckenlinie sich drehen, um endlich
in einem Kreise auf einem Diskus sich zu versammeln, dem Tanze ähnlich, wo
man sich in der Jugend gar oft Brust an Brust. Herz an Herz mit den liebens¬
würdigsten Kindern selbst wider Willen gedrückt sah." (S. 282.)

Noch manche andere solcher gelegentlichen Bemerkungen von köstlichem Werth
sind in diesen Beilagen zuerst gesammelt. Das Juwel unter denselben aber ist
der Brief an eine Kunstschülerin in Prag, den das gute Kind, wie uns Stern¬
berg berichtet, forian als ein Amulet an ihrem Herzen trug. Diese zarte Pietät


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noch die nöthigen Belege fehlen möchten. — Daneben giebt sich das Interesse
an ausländischer Literatur auch in diesem brieflichen Austausch .kund: „Grade
die junge Masse der Nationen" — schreibt Goethe — „die sich nach uns um¬
sieht, lebt mit einer andern, die aus dem alten Eigenen beharrt, in Wide> streit,
deshalb suchen sie sich durch uns zu stärken, indem sie, was an uns kräftig
sein mag, gelten lassen. Es ist ein eigenes Verhältniß, das sich erst »einigen
und zurecht schicken muß, welches aber mehr Zeit erfordern möchte, als uns zum
Mitwirken übrig geblieben ist."

Vorzüglich anregend ist ihm die französische Zeitung „to Klobe", doch nur
so lange sie nicht an dem politischen Partcikampf jener Tage selbst entschiedenen
Antheil nimmt, sobald dies (1827) geschieht, sinkt seine Theilnahme und er
prophezeit eine neue Staatsumwälzung. Seine politischen Anschauungen offen¬
baren sich jedoch von einer andern interessanten Seite, als er auf die Versamm¬
lungen der Naturforscher zu sprechen kommt: „Was den politischen Punkt be¬
trifft,^» wurde ich einem Staatsmann sagen: grade jetzt, da eine unselige
Schrift des Joh. Wit die widerwärtigsten Geheimnisse aufdeckt und dergleichen
noch mehre folgen werden, so ist es jklug, die wissenschafilichen Notablen einer
Nation auch einmal bei sich zu versammeln, zu versuchen, in wiefern man Zu¬
trauen zu ihnen gewinnen, ihnen Zutrauen einflößen könne; man würde gewiß
Bortheil davon ziehen und wenn man ihnen den Hellenismus nachgäbe, gar
wohl bemerken: daß man in neuerer Zeit vor eigentlichen Verschwörungen und
Erschütterungen bei uns wohl gesichert sei."

Der letzte Brief Goethes, acht Tage vor seinem Tode, zeigt uns den Alt¬
meister noch in ganzer Vollkraft des Schaffens und die Schlußzeilen rufen den
Sinn seines letzten Ausspruchs beim Abscheiden in bewegender Weise zur Er¬
innerung. —

Aber ganz als den ewigen Jüngling finden wir ihn in seinem alleriehien
Concept wieder, das noch später als dieser Brief fällt und uns unter den Bei¬
lagen aufbewahrt ist. Nachdem er bemerkt, daß das Studium der Spiralität
des Pflanzcnwachsthums ihn nicht losgelassen, fügt er hinzu:

„Im Anfange mußte die Schlingpflanze sich um den sich erhebenden Stamm
in kaum merklichen Kreisen herumwinden. Jemehr er sich aber der obern zarten
Spitze näherte, desto schneller mußte die Schneckenlinie sich drehen, um endlich
in einem Kreise auf einem Diskus sich zu versammeln, dem Tanze ähnlich, wo
man sich in der Jugend gar oft Brust an Brust. Herz an Herz mit den liebens¬
würdigsten Kindern selbst wider Willen gedrückt sah." (S. 282.)

Noch manche andere solcher gelegentlichen Bemerkungen von köstlichem Werth
sind in diesen Beilagen zuerst gesammelt. Das Juwel unter denselben aber ist
der Brief an eine Kunstschülerin in Prag, den das gute Kind, wie uns Stern¬
berg berichtet, forian als ein Amulet an ihrem Herzen trug. Diese zarte Pietät


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/533>, abgerufen am 24.07.2024.