Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn es alle Zeitungen verkündigen, die Magyaren selbst jubelnd behaupten,
die Regierung, die wiener wie die peslhcr, feierlich proclamirt. Die Ungarn
besitzen ihr selbständiges Ministerium, das Land ist in seine alte Machtvoll¬
kommenheit eingeführt, die Gesetze des Jahres 1848 sind wieder hergestellt, die
Oberherrlichkeit der Magyaren über die anderen Stämme, die Herrschaft des
engeren Ungarns über die Nebenländer anerkannt. Und dennoch ist in Wahr¬
heit der Ausgleich noch lange nicht fertig. Von vollendetem Ausgleiche kann
man erst dann reden, wenn die Stellung Ungarns zu den Erbländern geregelt,
das Verhältniß der Neichsregicrung zu den Ländcrgewalten einst geordnet ist.
Es ist dies wichtig, die Mehrheit der Magyaren erklärt, diese Regelung und
Ordnung sei nicht ihre Sache. Sie wären befriedigt, es mögen nun die anderen
Provinzen sehen, wie sie sich zu dem thatsächlich selbständigen Ungarn stellen
wollen. Eine ungarische Frage, einen ungarischen Vcrfassungsstrcit gebe es seit
dem Ministerium Andrassy nicht mehr. Dann giebt es aber eine östreichische
Frage, einen östreichischen Verfassungsstreit. Die Namen sind geändert, die
Sache ist geblieben. Wenn der wiener Reichsrath schlüssig geworden, zwischen
ihm und dem ungarischen Landtage das Einverständnis; erreicht, wenn die ge¬
meinsamen Angelegenheiten genau bestimmt und der Modus ihrer Behandlung
gefunden ist, denn ist der Ausgleich auch sachlich vorhanden und wirklich voll¬
endet. Herr v. Beust weiß, daß diese Verhandlungen nicht glatt verlaufen
werden, er hat aber nicht falsch gerechnet, wenn er annimmt, daß alle späteren
Schwierigkeiten den Nimbus seiner That nicht verwischen werden. Er ist der
Wunderthäter und bei Wundern ist bekanntlich der erste Glaube entscheidend,
dem letzten Erfolge des Wunders nachzuspüren, nimmt sich niemand die Zeit,
dazu haben nur Wenige die Lust und den Eifer.

Doch hüten wir uns, Herrn v. Beust zu verläumden. Man sagt, er konnte
leicht mit den Ungarn Frieden schließen, indem er sich ihnen auf Gnade und
Ungnade ergab. Das ist nur bis zu einem gewissen Grade richtig. Er hat
allerdings viele Staatsinteressen compromittirt, dadurch, daß er den Antheil
Ungarns an der Staatsschuld in Frage ließ, die Einheit des Zollgebietes. die
Sicherheit des Handelsverkehrs nicht wahrte, "kündbare Zoll- und Handels¬
verträge zwischen Ungarn und den Erbländern" zuließ, die Früchte eines langen
Kampfes geopfert. Die Ziele seiner persönlichen Politik hat er nicht außer
Acht gelassen, seinen Ruf eines klugen und gewandten Mannes nicht gefährdet.
Den Warnern und Zweiflern an der Nichtigkeit seiner Kunst hält er Folgendes
entgegen: Das ungarische Ministerium ist nicht so stark, als man es durch die
ihm bewilligten Zugeständnisse glaubt, die Stellung der Magyaren nicht so fest,
daß sie der östreichischen Freundschaft entbehren können. Alle die Schwierigkeiten,
mit welchen die östreichische Administration seit 1850 zu kämpfen hatte, wird
auch die ungarische Verwaltung auf ihrem Wege antreffen. Sie wird nicht


Grenjboten I. 1867. 66

wenn es alle Zeitungen verkündigen, die Magyaren selbst jubelnd behaupten,
die Regierung, die wiener wie die peslhcr, feierlich proclamirt. Die Ungarn
besitzen ihr selbständiges Ministerium, das Land ist in seine alte Machtvoll¬
kommenheit eingeführt, die Gesetze des Jahres 1848 sind wieder hergestellt, die
Oberherrlichkeit der Magyaren über die anderen Stämme, die Herrschaft des
engeren Ungarns über die Nebenländer anerkannt. Und dennoch ist in Wahr¬
heit der Ausgleich noch lange nicht fertig. Von vollendetem Ausgleiche kann
man erst dann reden, wenn die Stellung Ungarns zu den Erbländern geregelt,
das Verhältniß der Neichsregicrung zu den Ländcrgewalten einst geordnet ist.
Es ist dies wichtig, die Mehrheit der Magyaren erklärt, diese Regelung und
Ordnung sei nicht ihre Sache. Sie wären befriedigt, es mögen nun die anderen
Provinzen sehen, wie sie sich zu dem thatsächlich selbständigen Ungarn stellen
wollen. Eine ungarische Frage, einen ungarischen Vcrfassungsstrcit gebe es seit
dem Ministerium Andrassy nicht mehr. Dann giebt es aber eine östreichische
Frage, einen östreichischen Verfassungsstreit. Die Namen sind geändert, die
Sache ist geblieben. Wenn der wiener Reichsrath schlüssig geworden, zwischen
ihm und dem ungarischen Landtage das Einverständnis; erreicht, wenn die ge¬
meinsamen Angelegenheiten genau bestimmt und der Modus ihrer Behandlung
gefunden ist, denn ist der Ausgleich auch sachlich vorhanden und wirklich voll¬
endet. Herr v. Beust weiß, daß diese Verhandlungen nicht glatt verlaufen
werden, er hat aber nicht falsch gerechnet, wenn er annimmt, daß alle späteren
Schwierigkeiten den Nimbus seiner That nicht verwischen werden. Er ist der
Wunderthäter und bei Wundern ist bekanntlich der erste Glaube entscheidend,
dem letzten Erfolge des Wunders nachzuspüren, nimmt sich niemand die Zeit,
dazu haben nur Wenige die Lust und den Eifer.

Doch hüten wir uns, Herrn v. Beust zu verläumden. Man sagt, er konnte
leicht mit den Ungarn Frieden schließen, indem er sich ihnen auf Gnade und
Ungnade ergab. Das ist nur bis zu einem gewissen Grade richtig. Er hat
allerdings viele Staatsinteressen compromittirt, dadurch, daß er den Antheil
Ungarns an der Staatsschuld in Frage ließ, die Einheit des Zollgebietes. die
Sicherheit des Handelsverkehrs nicht wahrte, „kündbare Zoll- und Handels¬
verträge zwischen Ungarn und den Erbländern" zuließ, die Früchte eines langen
Kampfes geopfert. Die Ziele seiner persönlichen Politik hat er nicht außer
Acht gelassen, seinen Ruf eines klugen und gewandten Mannes nicht gefährdet.
Den Warnern und Zweiflern an der Nichtigkeit seiner Kunst hält er Folgendes
entgegen: Das ungarische Ministerium ist nicht so stark, als man es durch die
ihm bewilligten Zugeständnisse glaubt, die Stellung der Magyaren nicht so fest,
daß sie der östreichischen Freundschaft entbehren können. Alle die Schwierigkeiten,
mit welchen die östreichische Administration seit 1850 zu kämpfen hatte, wird
auch die ungarische Verwaltung auf ihrem Wege antreffen. Sie wird nicht


Grenjboten I. 1867. 66
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0523" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190682"/>
            <p xml:id="ID_1729" prev="#ID_1728"> wenn es alle Zeitungen verkündigen, die Magyaren selbst jubelnd behaupten,<lb/>
die Regierung, die wiener wie die peslhcr, feierlich proclamirt. Die Ungarn<lb/>
besitzen ihr selbständiges Ministerium, das Land ist in seine alte Machtvoll¬<lb/>
kommenheit eingeführt, die Gesetze des Jahres 1848 sind wieder hergestellt, die<lb/>
Oberherrlichkeit der Magyaren über die anderen Stämme, die Herrschaft des<lb/>
engeren Ungarns über die Nebenländer anerkannt. Und dennoch ist in Wahr¬<lb/>
heit der Ausgleich noch lange nicht fertig. Von vollendetem Ausgleiche kann<lb/>
man erst dann reden, wenn die Stellung Ungarns zu den Erbländern geregelt,<lb/>
das Verhältniß der Neichsregicrung zu den Ländcrgewalten einst geordnet ist.<lb/>
Es ist dies wichtig, die Mehrheit der Magyaren erklärt, diese Regelung und<lb/>
Ordnung sei nicht ihre Sache. Sie wären befriedigt, es mögen nun die anderen<lb/>
Provinzen sehen, wie sie sich zu dem thatsächlich selbständigen Ungarn stellen<lb/>
wollen. Eine ungarische Frage, einen ungarischen Vcrfassungsstrcit gebe es seit<lb/>
dem Ministerium Andrassy nicht mehr. Dann giebt es aber eine östreichische<lb/>
Frage, einen östreichischen Verfassungsstreit. Die Namen sind geändert, die<lb/>
Sache ist geblieben. Wenn der wiener Reichsrath schlüssig geworden, zwischen<lb/>
ihm und dem ungarischen Landtage das Einverständnis; erreicht, wenn die ge¬<lb/>
meinsamen Angelegenheiten genau bestimmt und der Modus ihrer Behandlung<lb/>
gefunden ist, denn ist der Ausgleich auch sachlich vorhanden und wirklich voll¬<lb/>
endet. Herr v. Beust weiß, daß diese Verhandlungen nicht glatt verlaufen<lb/>
werden, er hat aber nicht falsch gerechnet, wenn er annimmt, daß alle späteren<lb/>
Schwierigkeiten den Nimbus seiner That nicht verwischen werden. Er ist der<lb/>
Wunderthäter und bei Wundern ist bekanntlich der erste Glaube entscheidend,<lb/>
dem letzten Erfolge des Wunders nachzuspüren, nimmt sich niemand die Zeit,<lb/>
dazu haben nur Wenige die Lust und den Eifer.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1730" next="#ID_1731"> Doch hüten wir uns, Herrn v. Beust zu verläumden. Man sagt, er konnte<lb/>
leicht mit den Ungarn Frieden schließen, indem er sich ihnen auf Gnade und<lb/>
Ungnade ergab. Das ist nur bis zu einem gewissen Grade richtig. Er hat<lb/>
allerdings viele Staatsinteressen compromittirt, dadurch, daß er den Antheil<lb/>
Ungarns an der Staatsschuld in Frage ließ, die Einheit des Zollgebietes. die<lb/>
Sicherheit des Handelsverkehrs nicht wahrte, &#x201E;kündbare Zoll- und Handels¬<lb/>
verträge zwischen Ungarn und den Erbländern" zuließ, die Früchte eines langen<lb/>
Kampfes geopfert. Die Ziele seiner persönlichen Politik hat er nicht außer<lb/>
Acht gelassen, seinen Ruf eines klugen und gewandten Mannes nicht gefährdet.<lb/>
Den Warnern und Zweiflern an der Nichtigkeit seiner Kunst hält er Folgendes<lb/>
entgegen: Das ungarische Ministerium ist nicht so stark, als man es durch die<lb/>
ihm bewilligten Zugeständnisse glaubt, die Stellung der Magyaren nicht so fest,<lb/>
daß sie der östreichischen Freundschaft entbehren können. Alle die Schwierigkeiten,<lb/>
mit welchen die östreichische Administration seit 1850 zu kämpfen hatte, wird<lb/>
auch die ungarische Verwaltung auf ihrem Wege antreffen. Sie wird nicht</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenjboten I. 1867. 66</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0523] wenn es alle Zeitungen verkündigen, die Magyaren selbst jubelnd behaupten, die Regierung, die wiener wie die peslhcr, feierlich proclamirt. Die Ungarn besitzen ihr selbständiges Ministerium, das Land ist in seine alte Machtvoll¬ kommenheit eingeführt, die Gesetze des Jahres 1848 sind wieder hergestellt, die Oberherrlichkeit der Magyaren über die anderen Stämme, die Herrschaft des engeren Ungarns über die Nebenländer anerkannt. Und dennoch ist in Wahr¬ heit der Ausgleich noch lange nicht fertig. Von vollendetem Ausgleiche kann man erst dann reden, wenn die Stellung Ungarns zu den Erbländern geregelt, das Verhältniß der Neichsregicrung zu den Ländcrgewalten einst geordnet ist. Es ist dies wichtig, die Mehrheit der Magyaren erklärt, diese Regelung und Ordnung sei nicht ihre Sache. Sie wären befriedigt, es mögen nun die anderen Provinzen sehen, wie sie sich zu dem thatsächlich selbständigen Ungarn stellen wollen. Eine ungarische Frage, einen ungarischen Vcrfassungsstrcit gebe es seit dem Ministerium Andrassy nicht mehr. Dann giebt es aber eine östreichische Frage, einen östreichischen Verfassungsstreit. Die Namen sind geändert, die Sache ist geblieben. Wenn der wiener Reichsrath schlüssig geworden, zwischen ihm und dem ungarischen Landtage das Einverständnis; erreicht, wenn die ge¬ meinsamen Angelegenheiten genau bestimmt und der Modus ihrer Behandlung gefunden ist, denn ist der Ausgleich auch sachlich vorhanden und wirklich voll¬ endet. Herr v. Beust weiß, daß diese Verhandlungen nicht glatt verlaufen werden, er hat aber nicht falsch gerechnet, wenn er annimmt, daß alle späteren Schwierigkeiten den Nimbus seiner That nicht verwischen werden. Er ist der Wunderthäter und bei Wundern ist bekanntlich der erste Glaube entscheidend, dem letzten Erfolge des Wunders nachzuspüren, nimmt sich niemand die Zeit, dazu haben nur Wenige die Lust und den Eifer. Doch hüten wir uns, Herrn v. Beust zu verläumden. Man sagt, er konnte leicht mit den Ungarn Frieden schließen, indem er sich ihnen auf Gnade und Ungnade ergab. Das ist nur bis zu einem gewissen Grade richtig. Er hat allerdings viele Staatsinteressen compromittirt, dadurch, daß er den Antheil Ungarns an der Staatsschuld in Frage ließ, die Einheit des Zollgebietes. die Sicherheit des Handelsverkehrs nicht wahrte, „kündbare Zoll- und Handels¬ verträge zwischen Ungarn und den Erbländern" zuließ, die Früchte eines langen Kampfes geopfert. Die Ziele seiner persönlichen Politik hat er nicht außer Acht gelassen, seinen Ruf eines klugen und gewandten Mannes nicht gefährdet. Den Warnern und Zweiflern an der Nichtigkeit seiner Kunst hält er Folgendes entgegen: Das ungarische Ministerium ist nicht so stark, als man es durch die ihm bewilligten Zugeständnisse glaubt, die Stellung der Magyaren nicht so fest, daß sie der östreichischen Freundschaft entbehren können. Alle die Schwierigkeiten, mit welchen die östreichische Administration seit 1850 zu kämpfen hatte, wird auch die ungarische Verwaltung auf ihrem Wege antreffen. Sie wird nicht Grenjboten I. 1867. 66

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/523
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/523>, abgerufen am 04.07.2024.