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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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freie Kirche im freien Staate formulirte. Hier reichten, das war ihm von
vornherein klar, die Mittel der Revolution und der Gewalt nicht aus. Er
war überzeugt, daß die Lösung nur in einer Versöhnung der Interessen des
Katholicismus und derjenigen der Nationalität bestehen könne. -- Wenn es
uns gelingt, sagte er, die katholische Well ^u überzeugen, daß die Vereinigung
Roms mit Italien geschehen kann ohne daß die Unabhängigkeit der Kirche
darunter leidet, dann haben wir das Problem gelöst. Der Papst muß die
Majestät seines Apostolats bewahren, und es wäre das größte Unglück, wenn
der Verlust der weltlichen Herrschaft den entgegengesetzten Erfolg hätte. Die
Unabhängigkeit des Papstes läßt sich durch die Trennung der beiden Gewalten
erlangen, wenn die Trennung ki.>r und bestimmt durchgeführt ist. Das Papst¬
thum ruht auf einer viel festeren Grundlage und ist weit mehr geachtet, wenn
es sich blos auf seine gcisil ehe Autorität stützt. Die eifrigen Katholiken sollten
diese Trennung wünschen, da sie dem Katholicismus ein mächtiges Element der
Macht verleihen würde. Die Kirche w rd im Schooß des italienischen Volkes,
das wesentlich katholisch ist, die sichersten Bürgschaften finden.

Cavour verbarg sich nicht, daß dies zunächst nur Hoffnungen seien; ernst¬
liche Persuche zur Verwirklichung wies er ab. da der gegenwärtige Augenblick
nickt geeignet sei. Aber er meinte, zu diesen Grundsätzen müsse der Staat
trotz dem Widerspruch des Papstes fort und fort sich bekennen und die Tren¬
nung der Gewalten vorläufig aus seinem eigenen Gebiet durchführen. Sähe
dann der Papst, daß die Absicht des Staats ni.l t sei, die Religion selbst zu
gefährden und daß diese wirklich nicht gefährdet sei, so werde er selbst eines
Tages seinen Sinn andem und sich aussöhnen mit der Nation, die sich an
die Kirche wendet, um >hr volle und ungetheilte Freiheit anzubieten gegen ihre
weltliche Herrschaft.

Cavour erkannte es also für eine Nothwendigkeit, zunächst auf dem Ge¬
biete der Gesetzgebung die Trennung durchzuführen, eine völlige Lösung aber
erwartete er erst von der freien Zustimmung des Papstes und der katholischen
Welt, und in diesem Stadium in die Frage eigentlich bis heute geblieben. Wie
wenig ander der Staat, so lange der Widerspruch der Culte dauerte, strikt sich
an den Grundsatz der Trennung halten konnte, bewies Cavour selbst, indem er
wenige Wochen nach jenen Reden in Kammer und Senat ein königliches Decret
veranlaßte, daß infolge des Aufhörens des neapolitanischen Concordats die Er¬
nennung und Enthebung der Bischöfe in beiden Sicilien nunmehr ein Krön-
recht sei. Dies war gewiß nicht im Sinne der Freiheit der Kirche. Indem der
Staat sich selbst emancipirte. gebrauchte er, so lange der Papst nicht entgegen¬
kam, seine Mittel dazu, die Kirche auf ihrem eigenen Gebiet zu beschränken.
Er war ohne Zweifel genöthigt dazu, aber es war doch im Widerspruch mit


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freie Kirche im freien Staate formulirte. Hier reichten, das war ihm von
vornherein klar, die Mittel der Revolution und der Gewalt nicht aus. Er
war überzeugt, daß die Lösung nur in einer Versöhnung der Interessen des
Katholicismus und derjenigen der Nationalität bestehen könne. — Wenn es
uns gelingt, sagte er, die katholische Well ^u überzeugen, daß die Vereinigung
Roms mit Italien geschehen kann ohne daß die Unabhängigkeit der Kirche
darunter leidet, dann haben wir das Problem gelöst. Der Papst muß die
Majestät seines Apostolats bewahren, und es wäre das größte Unglück, wenn
der Verlust der weltlichen Herrschaft den entgegengesetzten Erfolg hätte. Die
Unabhängigkeit des Papstes läßt sich durch die Trennung der beiden Gewalten
erlangen, wenn die Trennung ki.>r und bestimmt durchgeführt ist. Das Papst¬
thum ruht auf einer viel festeren Grundlage und ist weit mehr geachtet, wenn
es sich blos auf seine gcisil ehe Autorität stützt. Die eifrigen Katholiken sollten
diese Trennung wünschen, da sie dem Katholicismus ein mächtiges Element der
Macht verleihen würde. Die Kirche w rd im Schooß des italienischen Volkes,
das wesentlich katholisch ist, die sichersten Bürgschaften finden.

Cavour verbarg sich nicht, daß dies zunächst nur Hoffnungen seien; ernst¬
liche Persuche zur Verwirklichung wies er ab. da der gegenwärtige Augenblick
nickt geeignet sei. Aber er meinte, zu diesen Grundsätzen müsse der Staat
trotz dem Widerspruch des Papstes fort und fort sich bekennen und die Tren¬
nung der Gewalten vorläufig aus seinem eigenen Gebiet durchführen. Sähe
dann der Papst, daß die Absicht des Staats ni.l t sei, die Religion selbst zu
gefährden und daß diese wirklich nicht gefährdet sei, so werde er selbst eines
Tages seinen Sinn andem und sich aussöhnen mit der Nation, die sich an
die Kirche wendet, um >hr volle und ungetheilte Freiheit anzubieten gegen ihre
weltliche Herrschaft.

Cavour erkannte es also für eine Nothwendigkeit, zunächst auf dem Ge¬
biete der Gesetzgebung die Trennung durchzuführen, eine völlige Lösung aber
erwartete er erst von der freien Zustimmung des Papstes und der katholischen
Welt, und in diesem Stadium in die Frage eigentlich bis heute geblieben. Wie
wenig ander der Staat, so lange der Widerspruch der Culte dauerte, strikt sich
an den Grundsatz der Trennung halten konnte, bewies Cavour selbst, indem er
wenige Wochen nach jenen Reden in Kammer und Senat ein königliches Decret
veranlaßte, daß infolge des Aufhörens des neapolitanischen Concordats die Er¬
nennung und Enthebung der Bischöfe in beiden Sicilien nunmehr ein Krön-
recht sei. Dies war gewiß nicht im Sinne der Freiheit der Kirche. Indem der
Staat sich selbst emancipirte. gebrauchte er, so lange der Papst nicht entgegen¬
kam, seine Mittel dazu, die Kirche auf ihrem eigenen Gebiet zu beschränken.
Er war ohne Zweifel genöthigt dazu, aber es war doch im Widerspruch mit


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[0507] freie Kirche im freien Staate formulirte. Hier reichten, das war ihm von vornherein klar, die Mittel der Revolution und der Gewalt nicht aus. Er war überzeugt, daß die Lösung nur in einer Versöhnung der Interessen des Katholicismus und derjenigen der Nationalität bestehen könne. — Wenn es uns gelingt, sagte er, die katholische Well ^u überzeugen, daß die Vereinigung Roms mit Italien geschehen kann ohne daß die Unabhängigkeit der Kirche darunter leidet, dann haben wir das Problem gelöst. Der Papst muß die Majestät seines Apostolats bewahren, und es wäre das größte Unglück, wenn der Verlust der weltlichen Herrschaft den entgegengesetzten Erfolg hätte. Die Unabhängigkeit des Papstes läßt sich durch die Trennung der beiden Gewalten erlangen, wenn die Trennung ki.>r und bestimmt durchgeführt ist. Das Papst¬ thum ruht auf einer viel festeren Grundlage und ist weit mehr geachtet, wenn es sich blos auf seine gcisil ehe Autorität stützt. Die eifrigen Katholiken sollten diese Trennung wünschen, da sie dem Katholicismus ein mächtiges Element der Macht verleihen würde. Die Kirche w rd im Schooß des italienischen Volkes, das wesentlich katholisch ist, die sichersten Bürgschaften finden. Cavour verbarg sich nicht, daß dies zunächst nur Hoffnungen seien; ernst¬ liche Persuche zur Verwirklichung wies er ab. da der gegenwärtige Augenblick nickt geeignet sei. Aber er meinte, zu diesen Grundsätzen müsse der Staat trotz dem Widerspruch des Papstes fort und fort sich bekennen und die Tren¬ nung der Gewalten vorläufig aus seinem eigenen Gebiet durchführen. Sähe dann der Papst, daß die Absicht des Staats ni.l t sei, die Religion selbst zu gefährden und daß diese wirklich nicht gefährdet sei, so werde er selbst eines Tages seinen Sinn andem und sich aussöhnen mit der Nation, die sich an die Kirche wendet, um >hr volle und ungetheilte Freiheit anzubieten gegen ihre weltliche Herrschaft. Cavour erkannte es also für eine Nothwendigkeit, zunächst auf dem Ge¬ biete der Gesetzgebung die Trennung durchzuführen, eine völlige Lösung aber erwartete er erst von der freien Zustimmung des Papstes und der katholischen Welt, und in diesem Stadium in die Frage eigentlich bis heute geblieben. Wie wenig ander der Staat, so lange der Widerspruch der Culte dauerte, strikt sich an den Grundsatz der Trennung halten konnte, bewies Cavour selbst, indem er wenige Wochen nach jenen Reden in Kammer und Senat ein königliches Decret veranlaßte, daß infolge des Aufhörens des neapolitanischen Concordats die Er¬ nennung und Enthebung der Bischöfe in beiden Sicilien nunmehr ein Krön- recht sei. Dies war gewiß nicht im Sinne der Freiheit der Kirche. Indem der Staat sich selbst emancipirte. gebrauchte er, so lange der Papst nicht entgegen¬ kam, seine Mittel dazu, die Kirche auf ihrem eigenen Gebiet zu beschränken. Er war ohne Zweifel genöthigt dazu, aber es war doch im Widerspruch mit Grenzboten I. 18K7. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/507>, abgerufen am 24.07.2024.