Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

init und Cavour ihre Seele. Durchgeführt wurde damals trotz der päpstlichen
Proteste die Abschaffung der exemten bischöflichen Gerichtsbarkeit. Aber auch
alle anderen Punkte, die Civilehe, die Aufhebung der Conscriptionsfrciheit der
Geistlichen, die Verminderung der Diöcesen, die Aufhebung der Klöster, die
Einziehung des Kirchenguts kamen damals schon zur Sprache und sind seitdem
wiederholt verhandelt und zum Theil gesetzlich erledigt worden. An diesem Weg
der Gesetzgebung hielt Piemont und sein Nachfolger, das Königreich Italien
seitdem fest: er war das Mittel, die nationalen Kräfte zu entfesseln und dem
modernen Staat freie Bahn zu schaffen. War die Curie nicht zu einer gut¬
willigen Trennung beider Gebiete zu bewegen, so wollte wenigstens der Staat
für sich seine Befreiung von den kirchlichen Banden durchsetzen. Es war bei
dem Widerspruch der Curie der einzige Weg zu Resultaten zu gelangen: nur
dazu reichte er nicht aus, dem römischen Problem näher zu kommen. Rom
antwortete nur mit Anathemen und Excvmmunicationen, es blieb aufrecht trotz
allen Verlusten. Gelang es dem Staat, seine Emancipation durchzuführen, so
war er doch von der Beseitigung des Grundübels so weit entfernt als zuvor.
Indem die Gesetzgebung einzig nach den Interessen des Staats verfuhr, war
es ihr selbstverständlich um die Freiheit des Siaats. nicht ebenso um die Frei¬
heit der Kirche zu thun, und indem der kirchliche Widerstand in das politische
Gebiet übergriff, sah der Staat umgekehrt sich genöthigt, auch in die geistliche
Sphäre beschränkend einzugreifen. So verhärtete sich der Widerstand der Kirche,
je weiter der Staat vorwärts ging, aber es erzeugte sich zugleich in den Ma߬
regeln des Staats und selbst in den gesetzgeberischen Experimenten ein Schwanken
in den obersten Principien, wie grade die Umstände und die Zweckmäßigkeits¬
rücksichten es mit sich brachten. Dieses Schwanken hat im Grunde bis auf die
jetzige Zeit gedauert, und es konnte nicht anders sei", so oft es sich nur um
einzelne Reformen, nicht um eine principielle Lösung handelte.

So oft freilich die Formel für eine principielle Auseinandersetzung gesucht
wurde, kennte man sie nur in der gänzlichen Trennung beider Gebiete finden.
Praktisch wurde die Frage zum ersten Mal im Jahre 1861. Bis dahin waren
es im Grunde immer nur Theorien und ideale Principien, mit denen man die
letzten Probleme berührte. Jetzt aber sollte es sich erproben, wie weit sie zu¬
reichend waren für eine Verwirklichung der Ausgaben, welche der Gang der
nationalen Entwickelung gebieterisch gestellt hatte. Als zu den Annexionen in
Mittelitalien auch noch der Anschluß der südlichen Provinzen gekommen war,
als der Zug der Revolution auch noch die letzten Schranken schien hinwegreißen
ju wollen und die Radicalen ungestüm Rom als Hauptstadt verlangten, war
der Augenblick gekommen, da der Staatsmann Italiens ein politisches Pro¬
gramm für die römiscte Frage zu entwickeln hatte. Man weiß, wie Cavour
unter diesen Umständen, wenige Monate vor seinem Tode, das Programm: die


init und Cavour ihre Seele. Durchgeführt wurde damals trotz der päpstlichen
Proteste die Abschaffung der exemten bischöflichen Gerichtsbarkeit. Aber auch
alle anderen Punkte, die Civilehe, die Aufhebung der Conscriptionsfrciheit der
Geistlichen, die Verminderung der Diöcesen, die Aufhebung der Klöster, die
Einziehung des Kirchenguts kamen damals schon zur Sprache und sind seitdem
wiederholt verhandelt und zum Theil gesetzlich erledigt worden. An diesem Weg
der Gesetzgebung hielt Piemont und sein Nachfolger, das Königreich Italien
seitdem fest: er war das Mittel, die nationalen Kräfte zu entfesseln und dem
modernen Staat freie Bahn zu schaffen. War die Curie nicht zu einer gut¬
willigen Trennung beider Gebiete zu bewegen, so wollte wenigstens der Staat
für sich seine Befreiung von den kirchlichen Banden durchsetzen. Es war bei
dem Widerspruch der Curie der einzige Weg zu Resultaten zu gelangen: nur
dazu reichte er nicht aus, dem römischen Problem näher zu kommen. Rom
antwortete nur mit Anathemen und Excvmmunicationen, es blieb aufrecht trotz
allen Verlusten. Gelang es dem Staat, seine Emancipation durchzuführen, so
war er doch von der Beseitigung des Grundübels so weit entfernt als zuvor.
Indem die Gesetzgebung einzig nach den Interessen des Staats verfuhr, war
es ihr selbstverständlich um die Freiheit des Siaats. nicht ebenso um die Frei¬
heit der Kirche zu thun, und indem der kirchliche Widerstand in das politische
Gebiet übergriff, sah der Staat umgekehrt sich genöthigt, auch in die geistliche
Sphäre beschränkend einzugreifen. So verhärtete sich der Widerstand der Kirche,
je weiter der Staat vorwärts ging, aber es erzeugte sich zugleich in den Ma߬
regeln des Staats und selbst in den gesetzgeberischen Experimenten ein Schwanken
in den obersten Principien, wie grade die Umstände und die Zweckmäßigkeits¬
rücksichten es mit sich brachten. Dieses Schwanken hat im Grunde bis auf die
jetzige Zeit gedauert, und es konnte nicht anders sei», so oft es sich nur um
einzelne Reformen, nicht um eine principielle Lösung handelte.

So oft freilich die Formel für eine principielle Auseinandersetzung gesucht
wurde, kennte man sie nur in der gänzlichen Trennung beider Gebiete finden.
Praktisch wurde die Frage zum ersten Mal im Jahre 1861. Bis dahin waren
es im Grunde immer nur Theorien und ideale Principien, mit denen man die
letzten Probleme berührte. Jetzt aber sollte es sich erproben, wie weit sie zu¬
reichend waren für eine Verwirklichung der Ausgaben, welche der Gang der
nationalen Entwickelung gebieterisch gestellt hatte. Als zu den Annexionen in
Mittelitalien auch noch der Anschluß der südlichen Provinzen gekommen war,
als der Zug der Revolution auch noch die letzten Schranken schien hinwegreißen
ju wollen und die Radicalen ungestüm Rom als Hauptstadt verlangten, war
der Augenblick gekommen, da der Staatsmann Italiens ein politisches Pro¬
gramm für die römiscte Frage zu entwickeln hatte. Man weiß, wie Cavour
unter diesen Umständen, wenige Monate vor seinem Tode, das Programm: die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190665"/>
          <p xml:id="ID_1685" prev="#ID_1684"> init und Cavour ihre Seele. Durchgeführt wurde damals trotz der päpstlichen<lb/>
Proteste die Abschaffung der exemten bischöflichen Gerichtsbarkeit. Aber auch<lb/>
alle anderen Punkte, die Civilehe, die Aufhebung der Conscriptionsfrciheit der<lb/>
Geistlichen, die Verminderung der Diöcesen, die Aufhebung der Klöster, die<lb/>
Einziehung des Kirchenguts kamen damals schon zur Sprache und sind seitdem<lb/>
wiederholt verhandelt und zum Theil gesetzlich erledigt worden. An diesem Weg<lb/>
der Gesetzgebung hielt Piemont und sein Nachfolger, das Königreich Italien<lb/>
seitdem fest: er war das Mittel, die nationalen Kräfte zu entfesseln und dem<lb/>
modernen Staat freie Bahn zu schaffen. War die Curie nicht zu einer gut¬<lb/>
willigen Trennung beider Gebiete zu bewegen, so wollte wenigstens der Staat<lb/>
für sich seine Befreiung von den kirchlichen Banden durchsetzen. Es war bei<lb/>
dem Widerspruch der Curie der einzige Weg zu Resultaten zu gelangen: nur<lb/>
dazu reichte er nicht aus, dem römischen Problem näher zu kommen. Rom<lb/>
antwortete nur mit Anathemen und Excvmmunicationen, es blieb aufrecht trotz<lb/>
allen Verlusten. Gelang es dem Staat, seine Emancipation durchzuführen, so<lb/>
war er doch von der Beseitigung des Grundübels so weit entfernt als zuvor.<lb/>
Indem die Gesetzgebung einzig nach den Interessen des Staats verfuhr, war<lb/>
es ihr selbstverständlich um die Freiheit des Siaats. nicht ebenso um die Frei¬<lb/>
heit der Kirche zu thun, und indem der kirchliche Widerstand in das politische<lb/>
Gebiet übergriff, sah der Staat umgekehrt sich genöthigt, auch in die geistliche<lb/>
Sphäre beschränkend einzugreifen. So verhärtete sich der Widerstand der Kirche,<lb/>
je weiter der Staat vorwärts ging, aber es erzeugte sich zugleich in den Ma߬<lb/>
regeln des Staats und selbst in den gesetzgeberischen Experimenten ein Schwanken<lb/>
in den obersten Principien, wie grade die Umstände und die Zweckmäßigkeits¬<lb/>
rücksichten es mit sich brachten. Dieses Schwanken hat im Grunde bis auf die<lb/>
jetzige Zeit gedauert, und es konnte nicht anders sei», so oft es sich nur um<lb/>
einzelne Reformen, nicht um eine principielle Lösung handelte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1686" next="#ID_1687"> So oft freilich die Formel für eine principielle Auseinandersetzung gesucht<lb/>
wurde, kennte man sie nur in der gänzlichen Trennung beider Gebiete finden.<lb/>
Praktisch wurde die Frage zum ersten Mal im Jahre 1861. Bis dahin waren<lb/>
es im Grunde immer nur Theorien und ideale Principien, mit denen man die<lb/>
letzten Probleme berührte. Jetzt aber sollte es sich erproben, wie weit sie zu¬<lb/>
reichend waren für eine Verwirklichung der Ausgaben, welche der Gang der<lb/>
nationalen Entwickelung gebieterisch gestellt hatte. Als zu den Annexionen in<lb/>
Mittelitalien auch noch der Anschluß der südlichen Provinzen gekommen war,<lb/>
als der Zug der Revolution auch noch die letzten Schranken schien hinwegreißen<lb/>
ju wollen und die Radicalen ungestüm Rom als Hauptstadt verlangten, war<lb/>
der Augenblick gekommen, da der Staatsmann Italiens ein politisches Pro¬<lb/>
gramm für die römiscte Frage zu entwickeln hatte. Man weiß, wie Cavour<lb/>
unter diesen Umständen, wenige Monate vor seinem Tode, das Programm: die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] init und Cavour ihre Seele. Durchgeführt wurde damals trotz der päpstlichen Proteste die Abschaffung der exemten bischöflichen Gerichtsbarkeit. Aber auch alle anderen Punkte, die Civilehe, die Aufhebung der Conscriptionsfrciheit der Geistlichen, die Verminderung der Diöcesen, die Aufhebung der Klöster, die Einziehung des Kirchenguts kamen damals schon zur Sprache und sind seitdem wiederholt verhandelt und zum Theil gesetzlich erledigt worden. An diesem Weg der Gesetzgebung hielt Piemont und sein Nachfolger, das Königreich Italien seitdem fest: er war das Mittel, die nationalen Kräfte zu entfesseln und dem modernen Staat freie Bahn zu schaffen. War die Curie nicht zu einer gut¬ willigen Trennung beider Gebiete zu bewegen, so wollte wenigstens der Staat für sich seine Befreiung von den kirchlichen Banden durchsetzen. Es war bei dem Widerspruch der Curie der einzige Weg zu Resultaten zu gelangen: nur dazu reichte er nicht aus, dem römischen Problem näher zu kommen. Rom antwortete nur mit Anathemen und Excvmmunicationen, es blieb aufrecht trotz allen Verlusten. Gelang es dem Staat, seine Emancipation durchzuführen, so war er doch von der Beseitigung des Grundübels so weit entfernt als zuvor. Indem die Gesetzgebung einzig nach den Interessen des Staats verfuhr, war es ihr selbstverständlich um die Freiheit des Siaats. nicht ebenso um die Frei¬ heit der Kirche zu thun, und indem der kirchliche Widerstand in das politische Gebiet übergriff, sah der Staat umgekehrt sich genöthigt, auch in die geistliche Sphäre beschränkend einzugreifen. So verhärtete sich der Widerstand der Kirche, je weiter der Staat vorwärts ging, aber es erzeugte sich zugleich in den Ma߬ regeln des Staats und selbst in den gesetzgeberischen Experimenten ein Schwanken in den obersten Principien, wie grade die Umstände und die Zweckmäßigkeits¬ rücksichten es mit sich brachten. Dieses Schwanken hat im Grunde bis auf die jetzige Zeit gedauert, und es konnte nicht anders sei», so oft es sich nur um einzelne Reformen, nicht um eine principielle Lösung handelte. So oft freilich die Formel für eine principielle Auseinandersetzung gesucht wurde, kennte man sie nur in der gänzlichen Trennung beider Gebiete finden. Praktisch wurde die Frage zum ersten Mal im Jahre 1861. Bis dahin waren es im Grunde immer nur Theorien und ideale Principien, mit denen man die letzten Probleme berührte. Jetzt aber sollte es sich erproben, wie weit sie zu¬ reichend waren für eine Verwirklichung der Ausgaben, welche der Gang der nationalen Entwickelung gebieterisch gestellt hatte. Als zu den Annexionen in Mittelitalien auch noch der Anschluß der südlichen Provinzen gekommen war, als der Zug der Revolution auch noch die letzten Schranken schien hinwegreißen ju wollen und die Radicalen ungestüm Rom als Hauptstadt verlangten, war der Augenblick gekommen, da der Staatsmann Italiens ein politisches Pro¬ gramm für die römiscte Frage zu entwickeln hatte. Man weiß, wie Cavour unter diesen Umständen, wenige Monate vor seinem Tode, das Programm: die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/506>, abgerufen am 22.12.2024.