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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Virchows: "Unser aller Absicht ist ja doch, die Hoheuzollem auf den Thron
der Hohenstaufen zu setzen." Er ist Gegner des Entwurfs, oder vielmehr
"Vertrages", wie er ihn ausdrücklich nannte, nicht etwa, um, wie unsere süd¬
deutschen Radicalen sagen würde", Deutschland vor Preußen, sondern um
Preußen vor Deutschland zu retten; nicht aus Liebhaberei für Kleinfürsten, mit
denen einen "ewigen" Bund zu-schließen die Herren Diplomaten doch Wohl
nicht im Ernste beabsichtigten, auch nicht aus Begeisterung für die "provinzielle
Selbständigkeit", für welche Herr v. Wächter wirken möchte, sondern weil er
nicht will, daß Preußen mit seinen vierundzwanzig Millionen durch fünf Mil¬
lionen Bundesgenossen, die nicht nach dem Wunsche ihres Herzens, sondern
durch ein Spiel des Zufalls unter so und so viel kleine Herrscher vertheilt
worden sind, majorisirt werde. In dem Bundesrath sieht er die künstlichen
Mehrheiten des alten Bundestags wieder ausleben zu Ungunsten der gebührenden
Geltung des preußischen Staates. Dies Project will nicht einen Bundesstaat,
sondern einen Großstaat neutralisirt durch den Bundesrath und in
dem B u n d es f eit h err n gewissermaßen den Beamten dieser Organisation.
Statt dessen will Referent den König von Preußen als consiitutioncllen Chef
der Centralgewalt anerkannt wissen. Konstitutionell vor allem solle der neue
Bund werde", sonst sei er alle Anstrengungen nicht werth, sei er das nicht, so
unterscheide er sich Von Oestreich nur durch die Gleichartigkeit seiner Bevölke¬
rung. Der Vertrag hebt das verantwortliche preußische Kriegsministerium und
den preußischen Landtag auf, und wie wenig auch jene Verantwortlichkeit und
dieses Recht thatsächlich bisher besagt haben mag, es ist doch ein großer Unter¬
schied, ob man ein Recht aufgiebt oder es wegen fehlender Organe augenblick¬
lich nicht ausüben kann.

Referent will statt des Bundesrath im Einklang mit dem Wunsch der
oldenburgischen Regierung ein Staatcnhaus und statt eines Zollparlaments ein
Parlament mit ungeschmälerten Budgetrecht. Im andern Fall mißbrauche man
den Namen Parlament und werde die Süddeutschen, die recht gute Verfassungen
mit gesichertem Budgetrecht haben, ganz gewiß nicht "locken". Darum erklärt
sich Referent gegen den Entwurf, wie er vorliegt und gegen jedes Jnterimisti-
kum. Werde Beides abgelehnt, so bleibe das Militärbündnis! mit den
norddeutschen Regierungen gleichwohl geschlossen, die äußere Sicherheit sei un-
geschädigt, aber kein wesentliches.Recht sei geopfert.

Die Rede des Abgeordneten Miqriöl (Osnabrück) machte einen tiefen
Eindruck; sie vereinigt die Wärme süddeutscher mit der schlagenden Kraft nord¬
deutscher Beredsamkeit und wurde von wiederholtem lautem Beifall der Ver¬
sammlung getragen. Gleich seine ersten Worte, er werde den Entwurf nicht
vom preußischen, sondern vom deutschen Standpunkt aus prüfen und beurthei¬
len, wurden mit lautem Bravo aufgenommen. Dann fuhr er fort: "Der


Virchows: „Unser aller Absicht ist ja doch, die Hoheuzollem auf den Thron
der Hohenstaufen zu setzen." Er ist Gegner des Entwurfs, oder vielmehr
„Vertrages", wie er ihn ausdrücklich nannte, nicht etwa, um, wie unsere süd¬
deutschen Radicalen sagen würde», Deutschland vor Preußen, sondern um
Preußen vor Deutschland zu retten; nicht aus Liebhaberei für Kleinfürsten, mit
denen einen „ewigen" Bund zu-schließen die Herren Diplomaten doch Wohl
nicht im Ernste beabsichtigten, auch nicht aus Begeisterung für die „provinzielle
Selbständigkeit", für welche Herr v. Wächter wirken möchte, sondern weil er
nicht will, daß Preußen mit seinen vierundzwanzig Millionen durch fünf Mil¬
lionen Bundesgenossen, die nicht nach dem Wunsche ihres Herzens, sondern
durch ein Spiel des Zufalls unter so und so viel kleine Herrscher vertheilt
worden sind, majorisirt werde. In dem Bundesrath sieht er die künstlichen
Mehrheiten des alten Bundestags wieder ausleben zu Ungunsten der gebührenden
Geltung des preußischen Staates. Dies Project will nicht einen Bundesstaat,
sondern einen Großstaat neutralisirt durch den Bundesrath und in
dem B u n d es f eit h err n gewissermaßen den Beamten dieser Organisation.
Statt dessen will Referent den König von Preußen als consiitutioncllen Chef
der Centralgewalt anerkannt wissen. Konstitutionell vor allem solle der neue
Bund werde», sonst sei er alle Anstrengungen nicht werth, sei er das nicht, so
unterscheide er sich Von Oestreich nur durch die Gleichartigkeit seiner Bevölke¬
rung. Der Vertrag hebt das verantwortliche preußische Kriegsministerium und
den preußischen Landtag auf, und wie wenig auch jene Verantwortlichkeit und
dieses Recht thatsächlich bisher besagt haben mag, es ist doch ein großer Unter¬
schied, ob man ein Recht aufgiebt oder es wegen fehlender Organe augenblick¬
lich nicht ausüben kann.

Referent will statt des Bundesrath im Einklang mit dem Wunsch der
oldenburgischen Regierung ein Staatcnhaus und statt eines Zollparlaments ein
Parlament mit ungeschmälerten Budgetrecht. Im andern Fall mißbrauche man
den Namen Parlament und werde die Süddeutschen, die recht gute Verfassungen
mit gesichertem Budgetrecht haben, ganz gewiß nicht „locken". Darum erklärt
sich Referent gegen den Entwurf, wie er vorliegt und gegen jedes Jnterimisti-
kum. Werde Beides abgelehnt, so bleibe das Militärbündnis! mit den
norddeutschen Regierungen gleichwohl geschlossen, die äußere Sicherheit sei un-
geschädigt, aber kein wesentliches.Recht sei geopfert.

Die Rede des Abgeordneten Miqriöl (Osnabrück) machte einen tiefen
Eindruck; sie vereinigt die Wärme süddeutscher mit der schlagenden Kraft nord¬
deutscher Beredsamkeit und wurde von wiederholtem lautem Beifall der Ver¬
sammlung getragen. Gleich seine ersten Worte, er werde den Entwurf nicht
vom preußischen, sondern vom deutschen Standpunkt aus prüfen und beurthei¬
len, wurden mit lautem Bravo aufgenommen. Dann fuhr er fort: „Der


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[0490] Virchows: „Unser aller Absicht ist ja doch, die Hoheuzollem auf den Thron der Hohenstaufen zu setzen." Er ist Gegner des Entwurfs, oder vielmehr „Vertrages", wie er ihn ausdrücklich nannte, nicht etwa, um, wie unsere süd¬ deutschen Radicalen sagen würde», Deutschland vor Preußen, sondern um Preußen vor Deutschland zu retten; nicht aus Liebhaberei für Kleinfürsten, mit denen einen „ewigen" Bund zu-schließen die Herren Diplomaten doch Wohl nicht im Ernste beabsichtigten, auch nicht aus Begeisterung für die „provinzielle Selbständigkeit", für welche Herr v. Wächter wirken möchte, sondern weil er nicht will, daß Preußen mit seinen vierundzwanzig Millionen durch fünf Mil¬ lionen Bundesgenossen, die nicht nach dem Wunsche ihres Herzens, sondern durch ein Spiel des Zufalls unter so und so viel kleine Herrscher vertheilt worden sind, majorisirt werde. In dem Bundesrath sieht er die künstlichen Mehrheiten des alten Bundestags wieder ausleben zu Ungunsten der gebührenden Geltung des preußischen Staates. Dies Project will nicht einen Bundesstaat, sondern einen Großstaat neutralisirt durch den Bundesrath und in dem B u n d es f eit h err n gewissermaßen den Beamten dieser Organisation. Statt dessen will Referent den König von Preußen als consiitutioncllen Chef der Centralgewalt anerkannt wissen. Konstitutionell vor allem solle der neue Bund werde», sonst sei er alle Anstrengungen nicht werth, sei er das nicht, so unterscheide er sich Von Oestreich nur durch die Gleichartigkeit seiner Bevölke¬ rung. Der Vertrag hebt das verantwortliche preußische Kriegsministerium und den preußischen Landtag auf, und wie wenig auch jene Verantwortlichkeit und dieses Recht thatsächlich bisher besagt haben mag, es ist doch ein großer Unter¬ schied, ob man ein Recht aufgiebt oder es wegen fehlender Organe augenblick¬ lich nicht ausüben kann. Referent will statt des Bundesrath im Einklang mit dem Wunsch der oldenburgischen Regierung ein Staatcnhaus und statt eines Zollparlaments ein Parlament mit ungeschmälerten Budgetrecht. Im andern Fall mißbrauche man den Namen Parlament und werde die Süddeutschen, die recht gute Verfassungen mit gesichertem Budgetrecht haben, ganz gewiß nicht „locken". Darum erklärt sich Referent gegen den Entwurf, wie er vorliegt und gegen jedes Jnterimisti- kum. Werde Beides abgelehnt, so bleibe das Militärbündnis! mit den norddeutschen Regierungen gleichwohl geschlossen, die äußere Sicherheit sei un- geschädigt, aber kein wesentliches.Recht sei geopfert. Die Rede des Abgeordneten Miqriöl (Osnabrück) machte einen tiefen Eindruck; sie vereinigt die Wärme süddeutscher mit der schlagenden Kraft nord¬ deutscher Beredsamkeit und wurde von wiederholtem lautem Beifall der Ver¬ sammlung getragen. Gleich seine ersten Worte, er werde den Entwurf nicht vom preußischen, sondern vom deutschen Standpunkt aus prüfen und beurthei¬ len, wurden mit lautem Bravo aufgenommen. Dann fuhr er fort: „Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/490>, abgerufen am 25.07.2024.