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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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fühlte sich durch frühere Erklärungen beengt und kein Hörer wurde ermüdet
durch Wiederholungen schon bekannter Programme, wie das sonst infolge des
halböffentlichen Charakters der Ausschußverhandlungen unvermeidlich war. Der
Ton der Debatte, das Gepräge der Reden war des Hauses und der Sache
würdig. Die Polemik war bestimmt und ehrlich, aber frei von Leidenschaft und
persönlicher Gereiztheit, die Haltung der Hörer bei regsten.Interesse gemessen
und zu stürmischen Affectäußcrungen wenig geneigt. In der Verhandlung offen¬
barte sich bei allen Theilen ein guter Wille zur Verständigung auf annehmbaren
Grundlagen und bei den meisten auch guter Glaube an das Gelingen des
nationalen Werkes.

Es war überraschend, wie principielle Gegner in dem Vertrauen zusammen¬
trafen, daß sowohl eine vollständige Ablehnung der Borlage in der Gestalt, in
der sie gemacht worden, keineswegs ein Scheitern der' Einheitssache bedeute, daß
vielmehr dem ersten mißlungenen Versuche unfehlbar ein zweiter folgen werde,
der ganz gewiß gelingen müsse. Sie beide bauten theils auf die Wucht der
Lage und 'den Drang der Nation, theils auf das Ministerium, an dessen
Neigung zu Compromissen die Einen, an dessen Energie die Anderen appel-
lirten.

Der Abgeordnete Tochter begann die Debatte mit einem ausführlichen
Vortrage, in welchem er das Glaubensbekenntniß der National-Liberalen in der
vorliegenden Frage entwickelte. Die Rede dauerte über eine Stunde, zeichnete
sich durch Klarheit und Schärfe aus, war aber ruhigste Deduction und hatte
keine zündende Wirkung. Seinen Ausgangspunkt gab der Redner etwa so an:
Wir müssen an das Wert des Vcrfassungsbaues mit der Resignation heran¬
treten, daß wir zunächst nichts Abschließendes leisten, sondern nur ein Gerüst
hinstellen können, dessen innere Vollendung der Folgezeit zu überlassen ist, aber
wir müssen daran festhalten, keine Bestimmungen zu treffen oder gut zu heißen,
die eben diesem Ausbau den Weg verlegen oder ihn in unheilvolle Bahnen
drängen müßten. Das Letztere würde geschehen, wenn der vorliegende Entwurf
unverändert angenommen werden sollte.

Hierauf wirft Referent einen Rückblick auf die Freiheitsbestrebungen der
Kammern in den deutschen Klein- und Mittclstaatcn, die darum stets so ziellos
verliefen, weil sie, so lange die Großmächte absolutistisch regiert wurden, gleich¬
zeitig um die Einheit zu ringen hatten und in dem steten Gegenspiel zwischen
Anspannung und Erschlaffung ihre Kraft verbrauchten. "Erst durch die preu¬
ßischen Reichsstände," sagt Dahlmann einmal, "kann dem constituiioncllen System
in Deutschland ein gesicherter Ausbau werden." Preußen ist ein constitutioneller
Staat geworden, die ungeheuren Erfolge des letzten Sommers haben ihn zur
Basis der deutschen Einheit gemacht und die Verfassung, die jetzt geschaffen
werden muß, darf nicht durch die innere Politik die Scheidewand befestigen,


fühlte sich durch frühere Erklärungen beengt und kein Hörer wurde ermüdet
durch Wiederholungen schon bekannter Programme, wie das sonst infolge des
halböffentlichen Charakters der Ausschußverhandlungen unvermeidlich war. Der
Ton der Debatte, das Gepräge der Reden war des Hauses und der Sache
würdig. Die Polemik war bestimmt und ehrlich, aber frei von Leidenschaft und
persönlicher Gereiztheit, die Haltung der Hörer bei regsten.Interesse gemessen
und zu stürmischen Affectäußcrungen wenig geneigt. In der Verhandlung offen¬
barte sich bei allen Theilen ein guter Wille zur Verständigung auf annehmbaren
Grundlagen und bei den meisten auch guter Glaube an das Gelingen des
nationalen Werkes.

Es war überraschend, wie principielle Gegner in dem Vertrauen zusammen¬
trafen, daß sowohl eine vollständige Ablehnung der Borlage in der Gestalt, in
der sie gemacht worden, keineswegs ein Scheitern der' Einheitssache bedeute, daß
vielmehr dem ersten mißlungenen Versuche unfehlbar ein zweiter folgen werde,
der ganz gewiß gelingen müsse. Sie beide bauten theils auf die Wucht der
Lage und 'den Drang der Nation, theils auf das Ministerium, an dessen
Neigung zu Compromissen die Einen, an dessen Energie die Anderen appel-
lirten.

Der Abgeordnete Tochter begann die Debatte mit einem ausführlichen
Vortrage, in welchem er das Glaubensbekenntniß der National-Liberalen in der
vorliegenden Frage entwickelte. Die Rede dauerte über eine Stunde, zeichnete
sich durch Klarheit und Schärfe aus, war aber ruhigste Deduction und hatte
keine zündende Wirkung. Seinen Ausgangspunkt gab der Redner etwa so an:
Wir müssen an das Wert des Vcrfassungsbaues mit der Resignation heran¬
treten, daß wir zunächst nichts Abschließendes leisten, sondern nur ein Gerüst
hinstellen können, dessen innere Vollendung der Folgezeit zu überlassen ist, aber
wir müssen daran festhalten, keine Bestimmungen zu treffen oder gut zu heißen,
die eben diesem Ausbau den Weg verlegen oder ihn in unheilvolle Bahnen
drängen müßten. Das Letztere würde geschehen, wenn der vorliegende Entwurf
unverändert angenommen werden sollte.

Hierauf wirft Referent einen Rückblick auf die Freiheitsbestrebungen der
Kammern in den deutschen Klein- und Mittclstaatcn, die darum stets so ziellos
verliefen, weil sie, so lange die Großmächte absolutistisch regiert wurden, gleich¬
zeitig um die Einheit zu ringen hatten und in dem steten Gegenspiel zwischen
Anspannung und Erschlaffung ihre Kraft verbrauchten. „Erst durch die preu¬
ßischen Reichsstände," sagt Dahlmann einmal, „kann dem constituiioncllen System
in Deutschland ein gesicherter Ausbau werden." Preußen ist ein constitutioneller
Staat geworden, die ungeheuren Erfolge des letzten Sommers haben ihn zur
Basis der deutschen Einheit gemacht und die Verfassung, die jetzt geschaffen
werden muß, darf nicht durch die innere Politik die Scheidewand befestigen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/488>, abgerufen am 25.07.2024.