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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Elemente des damaligen Voll's gegenüber den im ersten Reichstage vertretenen
Regierungen der damaligen Territorien enthalten. Diese Vertretung des Volks
nach damaligen Begriffen also sollte -- ohne Dazwischenkunft der Fürsten --
in unmittelbarsten Verkehr mit der Majestät des Reichs, mit Kaiser und Kur¬
fürsten gebracht weiden; und zu den Competenzc" derselben sollte namentlich
die Sichtung und Verarbeitung jenes von den kaiserlichen Gerichten einzusen¬
denden Materials für eine neue Rechtsgesetzgebung im Reiche, zugleich aber auch
die Feststellung eines Militärbudgets für Unterhaltung des obenerwähnten
stehenden Neichsheeres sowie die Bestimmung über die Mittel der zu bildenden
Reicbskriegskasse zu Frankfurt a. M. und die Abnahme der Rechnungen über
diese Fonds gehören, -- also, um mit Ausdrücken unserer Zeit zu reden,
zwei ganz parlamentarische Aufgaben: eine gesetzgeberische und eine finanz-
controlirende.

Allein Cusanus blieb hierbei nicht stehen. Er wollte die Macht des Kaisers
auch noch durch eine andere wichtige Reform erweitert und gekräftigt wissen,
welche zugleich dazu dienen sollte, die geistlichen Reichsfürsten wieder mehr und
mehr ihrem eigentlichen Berufe, dem geistlichen, ungestörter zurückzugeben. Ueber-
zeugt einerseits von den Nachtheilen des weltlichen Regiments der Bischöfe (den
Papst nicht ausgenommen) für Kirche, Reich und Unterthanen, und andererseits
bestrebt, ihnen ihre fürstliche Würde, ihre äußere Stellung im Reiche und in
der Kirche zu erhalten, kam er auf den Gedanken, die Kirche zwar im Besitze
dieser Rechte und Einkünfte aus dem weltliche" Gebiete und den Bischöfen ihre
rcichsfürstlichc Würde zu belassen, die eigentliche Regierung und Verwaltung
ihres weltlichen Gebietes aber (das des Papstes nicht ausgenommen) auf den
Kaiser übergehen zu lassen, der sie durch Beamte, die er im Einvernehmen mit
den betreffenden geistlichen Würdenträgern zu ernennen haben würde, führen
ließe. Es leuchtet ein, welchen Zuwachs hierdurch die kaiserliche Macht gewonnen
haben würde.

Wenn wir diese Reformvorschläge des Nikolaus Cusanus überschauen, so
scheinen sie auf den ersten Blick ziemlich eng an das historisch Gegebene sich
anzuschließen. Cusanus will nicht den Einheitsstaat, geschweige denn den erb¬
lichen Einheitsstaat. Er läßt die Kurfürsten mit ihrem wichtigen Wahlrechte
und ihrer fundamentalen Stellung im Reiche ebenso wie die große Versamm¬
lung der Reichsfürsten, den alten Reichstag, diese beiden Unterbaue der kaiser¬
lichen Spitze im Wesentlichen unangetastet und giebt sich ausdrücklich für einen
Conservativen insofern aus, als er es sich zum Verdienste anrechnet, daß er in
seinen Vorschlägen zu neuen Zuthaten aus das historisch bereits Begründete,
Dagewesene und Bewährte zurückgehe.

Das that er allerdings. Cusanus wollte die alte Kaisermacht, wie sie >"
der glänzenden Zeit des Reichs gewesen, annähernd wiederherstellen und glaubte


Elemente des damaligen Voll's gegenüber den im ersten Reichstage vertretenen
Regierungen der damaligen Territorien enthalten. Diese Vertretung des Volks
nach damaligen Begriffen also sollte — ohne Dazwischenkunft der Fürsten —
in unmittelbarsten Verkehr mit der Majestät des Reichs, mit Kaiser und Kur¬
fürsten gebracht weiden; und zu den Competenzc» derselben sollte namentlich
die Sichtung und Verarbeitung jenes von den kaiserlichen Gerichten einzusen¬
denden Materials für eine neue Rechtsgesetzgebung im Reiche, zugleich aber auch
die Feststellung eines Militärbudgets für Unterhaltung des obenerwähnten
stehenden Neichsheeres sowie die Bestimmung über die Mittel der zu bildenden
Reicbskriegskasse zu Frankfurt a. M. und die Abnahme der Rechnungen über
diese Fonds gehören, — also, um mit Ausdrücken unserer Zeit zu reden,
zwei ganz parlamentarische Aufgaben: eine gesetzgeberische und eine finanz-
controlirende.

Allein Cusanus blieb hierbei nicht stehen. Er wollte die Macht des Kaisers
auch noch durch eine andere wichtige Reform erweitert und gekräftigt wissen,
welche zugleich dazu dienen sollte, die geistlichen Reichsfürsten wieder mehr und
mehr ihrem eigentlichen Berufe, dem geistlichen, ungestörter zurückzugeben. Ueber-
zeugt einerseits von den Nachtheilen des weltlichen Regiments der Bischöfe (den
Papst nicht ausgenommen) für Kirche, Reich und Unterthanen, und andererseits
bestrebt, ihnen ihre fürstliche Würde, ihre äußere Stellung im Reiche und in
der Kirche zu erhalten, kam er auf den Gedanken, die Kirche zwar im Besitze
dieser Rechte und Einkünfte aus dem weltliche» Gebiete und den Bischöfen ihre
rcichsfürstlichc Würde zu belassen, die eigentliche Regierung und Verwaltung
ihres weltlichen Gebietes aber (das des Papstes nicht ausgenommen) auf den
Kaiser übergehen zu lassen, der sie durch Beamte, die er im Einvernehmen mit
den betreffenden geistlichen Würdenträgern zu ernennen haben würde, führen
ließe. Es leuchtet ein, welchen Zuwachs hierdurch die kaiserliche Macht gewonnen
haben würde.

Wenn wir diese Reformvorschläge des Nikolaus Cusanus überschauen, so
scheinen sie auf den ersten Blick ziemlich eng an das historisch Gegebene sich
anzuschließen. Cusanus will nicht den Einheitsstaat, geschweige denn den erb¬
lichen Einheitsstaat. Er läßt die Kurfürsten mit ihrem wichtigen Wahlrechte
und ihrer fundamentalen Stellung im Reiche ebenso wie die große Versamm¬
lung der Reichsfürsten, den alten Reichstag, diese beiden Unterbaue der kaiser¬
lichen Spitze im Wesentlichen unangetastet und giebt sich ausdrücklich für einen
Conservativen insofern aus, als er es sich zum Verdienste anrechnet, daß er in
seinen Vorschlägen zu neuen Zuthaten aus das historisch bereits Begründete,
Dagewesene und Bewährte zurückgehe.

Das that er allerdings. Cusanus wollte die alte Kaisermacht, wie sie >»
der glänzenden Zeit des Reichs gewesen, annähernd wiederherstellen und glaubte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/478>, abgerufen am 23.12.2024.