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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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wenn feine Aussicht vorhanden war. daß die Richtersprüche auch wirklich exe-
cutire würden? An dieser Stelle schlägt Cusanus das in den HussitcMmpfen
immer mehr als Bedürfniß erkannte Mittel der Errichtung und Unterhaltung
eines stehenden Reichsheeres vor, dessen Kosten nicht aus der schwer beizutreiben-
den Reichsstcuer, dem "gemeinen Pfennig", sondern durch die kaiserlichen Zölle
und aus den Auflagen, welche man den Fürsten zum Besten des Gemeinwesens
zu erheben gestattet habe, bestritten werden sollten.- Jene kaiserlichen Zolle, bei
deren Erhebung das Reichsvbcrhaupt allerdings weit unabhängiger von dem
guten Willen der Einzelnen war als bei der Erhebung der bisher dazu aus-
ersehenen Capitalsteuer, sollten mit den etwa noch weiter nöthig werdenden
Beiträgen der Reichsstände alljährlich in eine gemeinsame, dem Kaiser zur Ver¬
fügung stehende Kasse in Frankfurt a. M. fließen. Mit diesem Ncichsheere
sollte der Kaiser den Rechtssprüchen seiner Gerichte die nöthige Vollstreckung
sichern, und wenn den Fürsten dadurch ein Theil ihrer Einkünfte entging, fand
Cusanus eine billige Ausgleichung hierfür darin. daß sie dagegen wiederum
manche Aufwande ersparen würden, die ihnen bisher der eigene Rechtsschul)
durch Unterhaltung eigener Truppen gekostet habe.

In der Organisirung der Reichsregicrung läßt Cusanus die zeitherigen
Hauptorgane wohlweislich unverändert fortbestehen. Den Kurfürsten weist er
nach wie vor die Wahl des römischen Königs zu. da seinem Systeme von dem
Werthe freier Zustimmung und Selbstbestimmung ein Wahlreich an und für
sich zusagen mußte. Auch war ja sein. Absehen nicht auf Zeichnung eines
utopischen Staats, sondern solcher Reformen gerichtet, die einige Aussicht auf
praktische Durchführung hatten. Ebenso ließ er den großen Reichstag, die große
Versammlung aller geistlichen und weltlichen Reichsfürsten zur Erledigung.wich¬
tiger Reichsangelegenheiten, in der bisherigen Weise, also je nach Bedürfniß von
Zeit zu Zeit in unbestimmten Zwischenräumen durch den Kaiser zusammen-
berufen.

Aber neben diesen beiden zeitherigen Organen der Reichsregicrung wollte
Cusanus ein neues, regelmäßiger thätiges, leichter zusammenzuberufcndcs und
mehr zur Arbeit geeignete o Organ in einer alljährlich unter dein Borsitze des
Kaisers oder des ersten Kurfürsten in Frankfurt a. M. lagerten anderen Ver¬
sammlung geschaffen wissen, welche er ebenfalls Reichstag nennt und die wir
zum Unterschiede vom alten und eigentlichen Reichstage, der Versammlung der
Fürsten, den zweiten Reichstag oder Reichstag des Volkes nennen wollen.

Dieser zweite Reichstag sollte außer dem Kaiser als Vorsitzenden und den
mit ihm je als eines gedachten sieben Kurfürsten in eigener Person aus den
36 (aus Adel. Geistlichkeit und Bürgerstand erwählten) Richtern der zwölf kaiser¬
lichen Gerichte und endlich aus je einem Abgeordneten jeder größeren Stadt
des Reichs sich zusammensetzen, also eine ganz ansehnliche Vertretung der freien


wenn feine Aussicht vorhanden war. daß die Richtersprüche auch wirklich exe-
cutire würden? An dieser Stelle schlägt Cusanus das in den HussitcMmpfen
immer mehr als Bedürfniß erkannte Mittel der Errichtung und Unterhaltung
eines stehenden Reichsheeres vor, dessen Kosten nicht aus der schwer beizutreiben-
den Reichsstcuer, dem „gemeinen Pfennig", sondern durch die kaiserlichen Zölle
und aus den Auflagen, welche man den Fürsten zum Besten des Gemeinwesens
zu erheben gestattet habe, bestritten werden sollten.- Jene kaiserlichen Zolle, bei
deren Erhebung das Reichsvbcrhaupt allerdings weit unabhängiger von dem
guten Willen der Einzelnen war als bei der Erhebung der bisher dazu aus-
ersehenen Capitalsteuer, sollten mit den etwa noch weiter nöthig werdenden
Beiträgen der Reichsstände alljährlich in eine gemeinsame, dem Kaiser zur Ver¬
fügung stehende Kasse in Frankfurt a. M. fließen. Mit diesem Ncichsheere
sollte der Kaiser den Rechtssprüchen seiner Gerichte die nöthige Vollstreckung
sichern, und wenn den Fürsten dadurch ein Theil ihrer Einkünfte entging, fand
Cusanus eine billige Ausgleichung hierfür darin. daß sie dagegen wiederum
manche Aufwande ersparen würden, die ihnen bisher der eigene Rechtsschul)
durch Unterhaltung eigener Truppen gekostet habe.

In der Organisirung der Reichsregicrung läßt Cusanus die zeitherigen
Hauptorgane wohlweislich unverändert fortbestehen. Den Kurfürsten weist er
nach wie vor die Wahl des römischen Königs zu. da seinem Systeme von dem
Werthe freier Zustimmung und Selbstbestimmung ein Wahlreich an und für
sich zusagen mußte. Auch war ja sein. Absehen nicht auf Zeichnung eines
utopischen Staats, sondern solcher Reformen gerichtet, die einige Aussicht auf
praktische Durchführung hatten. Ebenso ließ er den großen Reichstag, die große
Versammlung aller geistlichen und weltlichen Reichsfürsten zur Erledigung.wich¬
tiger Reichsangelegenheiten, in der bisherigen Weise, also je nach Bedürfniß von
Zeit zu Zeit in unbestimmten Zwischenräumen durch den Kaiser zusammen-
berufen.

Aber neben diesen beiden zeitherigen Organen der Reichsregicrung wollte
Cusanus ein neues, regelmäßiger thätiges, leichter zusammenzuberufcndcs und
mehr zur Arbeit geeignete o Organ in einer alljährlich unter dein Borsitze des
Kaisers oder des ersten Kurfürsten in Frankfurt a. M. lagerten anderen Ver¬
sammlung geschaffen wissen, welche er ebenfalls Reichstag nennt und die wir
zum Unterschiede vom alten und eigentlichen Reichstage, der Versammlung der
Fürsten, den zweiten Reichstag oder Reichstag des Volkes nennen wollen.

Dieser zweite Reichstag sollte außer dem Kaiser als Vorsitzenden und den
mit ihm je als eines gedachten sieben Kurfürsten in eigener Person aus den
36 (aus Adel. Geistlichkeit und Bürgerstand erwählten) Richtern der zwölf kaiser¬
lichen Gerichte und endlich aus je einem Abgeordneten jeder größeren Stadt
des Reichs sich zusammensetzen, also eine ganz ansehnliche Vertretung der freien


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[0477] wenn feine Aussicht vorhanden war. daß die Richtersprüche auch wirklich exe- cutire würden? An dieser Stelle schlägt Cusanus das in den HussitcMmpfen immer mehr als Bedürfniß erkannte Mittel der Errichtung und Unterhaltung eines stehenden Reichsheeres vor, dessen Kosten nicht aus der schwer beizutreiben- den Reichsstcuer, dem „gemeinen Pfennig", sondern durch die kaiserlichen Zölle und aus den Auflagen, welche man den Fürsten zum Besten des Gemeinwesens zu erheben gestattet habe, bestritten werden sollten.- Jene kaiserlichen Zolle, bei deren Erhebung das Reichsvbcrhaupt allerdings weit unabhängiger von dem guten Willen der Einzelnen war als bei der Erhebung der bisher dazu aus- ersehenen Capitalsteuer, sollten mit den etwa noch weiter nöthig werdenden Beiträgen der Reichsstände alljährlich in eine gemeinsame, dem Kaiser zur Ver¬ fügung stehende Kasse in Frankfurt a. M. fließen. Mit diesem Ncichsheere sollte der Kaiser den Rechtssprüchen seiner Gerichte die nöthige Vollstreckung sichern, und wenn den Fürsten dadurch ein Theil ihrer Einkünfte entging, fand Cusanus eine billige Ausgleichung hierfür darin. daß sie dagegen wiederum manche Aufwande ersparen würden, die ihnen bisher der eigene Rechtsschul) durch Unterhaltung eigener Truppen gekostet habe. In der Organisirung der Reichsregicrung läßt Cusanus die zeitherigen Hauptorgane wohlweislich unverändert fortbestehen. Den Kurfürsten weist er nach wie vor die Wahl des römischen Königs zu. da seinem Systeme von dem Werthe freier Zustimmung und Selbstbestimmung ein Wahlreich an und für sich zusagen mußte. Auch war ja sein. Absehen nicht auf Zeichnung eines utopischen Staats, sondern solcher Reformen gerichtet, die einige Aussicht auf praktische Durchführung hatten. Ebenso ließ er den großen Reichstag, die große Versammlung aller geistlichen und weltlichen Reichsfürsten zur Erledigung.wich¬ tiger Reichsangelegenheiten, in der bisherigen Weise, also je nach Bedürfniß von Zeit zu Zeit in unbestimmten Zwischenräumen durch den Kaiser zusammen- berufen. Aber neben diesen beiden zeitherigen Organen der Reichsregicrung wollte Cusanus ein neues, regelmäßiger thätiges, leichter zusammenzuberufcndcs und mehr zur Arbeit geeignete o Organ in einer alljährlich unter dein Borsitze des Kaisers oder des ersten Kurfürsten in Frankfurt a. M. lagerten anderen Ver¬ sammlung geschaffen wissen, welche er ebenfalls Reichstag nennt und die wir zum Unterschiede vom alten und eigentlichen Reichstage, der Versammlung der Fürsten, den zweiten Reichstag oder Reichstag des Volkes nennen wollen. Dieser zweite Reichstag sollte außer dem Kaiser als Vorsitzenden und den mit ihm je als eines gedachten sieben Kurfürsten in eigener Person aus den 36 (aus Adel. Geistlichkeit und Bürgerstand erwählten) Richtern der zwölf kaiser¬ lichen Gerichte und endlich aus je einem Abgeordneten jeder größeren Stadt des Reichs sich zusammensetzen, also eine ganz ansehnliche Vertretung der freien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/477>, abgerufen am 23.12.2024.